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Koalitionsverhandlungen
BDI kritisiert geplanten Mindestlohn

Sehr viele enttäuschende Ergebnisse beklagt der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Ulrich Grillo, mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen. Mindestlohn, Frauenquote und die Energiewende - vieles davon schade der Wirtschaft und werde Arbeitsplätze kosten.

Ulrich Grillo im Gespräch mit Mario Dobovisek | 21.11.2013
    Dobovisek: Der Mindestlohn wird kommen, in der einen oder anderen Form. Die Frauenquote auch, eine bezahlte Kurzpflegezeit und vieles mehr. Direkt oder indirekt hat das dann auch Einfluss auf die deutschen Betriebe. Am Telefon begrüße ich deshalb Ulrich Grillo, den Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Guten Morgen, Herr Grillo.
    Ulrich Grillo: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Union und SPD verhandeln heute noch einmal in großer Runde miteinander. Sehen Sie die Union noch als Ihren wirtschaftspolitischen Verbündeten?
    Grillo: Union und SPD haben vom Wähler, von 70 Prozent der Wähler die Vollmacht gekriegt zu verhandeln, die Regierung zu bilden, und darauf setze ich, dass wir möglichst zügig eine entscheidungskräftige Regierung bekommen, die dann auch die richtigen Entscheidungen fällt.
    Dobovisek: Aber die Frage noch mal: Sehen Sie in der Union Ihren Verbündeten?
    Grillo: Es geht nicht um Union oder um SPD. Es geht um die Regierung, die unser Land nach vorne bringen will. Darum geht es. Es gibt sicherlich in laufenden Verhandlungen sehr viele enttäuschende Ergebnisse. Da sitzen beide Seiten zusammen und da appellieren wir an beide Seiten, doch noch die richtige Richtung einzuschlagen.
    Dobovisek: Welcher großkoalitionäre Kompromiss bereitet Ihnen die heftigsten Bauchschmerzen?
    Grillo: Insgesamt gehen die Entwicklungen in die völlig falsche Richtung. Wir machen uns große Sorgen. Wir reden über zu hohe Mehrausgaben, größtenteils für neue Sozialleistungen, über 50 Milliarden Euro, wenig Investitionen. Wir drehen gerade diese Reformen zurück, die uns in den letzten zehn Jahren stark gemacht haben – Stichwort Mindestlohn, Werkverträge, Zeitarbeit und das Thema Energiewende. Da sehen wir bisher auch nicht die notwendige große Reform. Da sehen wir eher ein Reförmchen und das würde uns nicht weiterbringen.
    Dobovisek: Gäbe es denn eine Pille, mit der Union und SPD Ihre Bauchschmerzen lindern könnten?
    Grillo: Nein, es geht nicht um eine Pille. Wir müssen vor allen Dingen bei den Ausgaben aufpassen. Wir können nur das ausgeben, was wir auch einnehmen. Wir müssen vernünftig priorisieren. Wir können nicht Sozialleistungen schaffen; wir müssen mehr investieren. Wenn Investitionen Vorrang gewinnen, dann wäre das sicherlich richtig für uns. Und wie gesagt, wenn wir eine vernünftige Reform der Energiewende haben, insofern, dass die Kostenbremse kommt, das heißt, dass die Kosten, die entstehen, einfach eingebremst werden, das würde die Industrie weiterbringen.
    Dobovisek: Dann lassen Sie uns, Herr Grillo, doch mal bitte mehrere Punkte nacheinander mal einzeln beleuchten. Union und SPD verkaufen den gesetzlichen Mindestlohn als großen Erfolg, auch wenn genaue Höhe und Einführung noch gar nicht feststehen. Die Freude ist besonders laut, so scheint es jedenfalls, weil angeblich Gewerkschaften und Wirtschaft zustimmen. Ist das so, Herr Grillo? Könnten Sie sich mit dem Mindestlohn inzwischen anfreunden?
    Gesetzgeber darf nicht Lohnfestlegung in Deutschland übernehmen
    Grillo: Ich kann nicht für die Gewerkschaften sprechen. Die Wirtschaft stimmt eindeutig nicht zu. Ich verstehe nicht! Wir haben starke Tarifpartner, die Sozialpartnerschaft zwischen Arbeitgeber und Gewerkschaften. Darum beneiden uns die europäischen Partnerländer, darum beneidet uns selbst Amerika. Ich weiß nicht, warum wir den Gewerkschaften und den Arbeitgebern nicht mehr trauen, sondern meinen, der Staat kann es besser.
    Dobovisek: Eine Kommission soll ja den Mindestlohn bestimmen, eine Kommission möglicherweise auch mit Beteiligung der Gewerkschaften und allen anderen Sozialpartnern. Der Arbeitgeberpräsident Kramer, der neue, stellt heute seine Forderung an diese Kommission. Die dürfe keine Alibi-Veranstaltung sein, sagte er. Was fordern Sie, Herr Grillo?
    Grillo: Da kann ich den Herrn Kramer nur unterstützen. Es darf keine Alibi-Funktion sein. Es darf aber auch keine Kommission sein, die einmal im Jahr insgesamt die Richtung der Lohnentwicklung festlegt, für alle Branchen, für alle Tarifverträge. Da muss man sehr aufpassen, das ist unser Bedenken, dass da der Gesetzgeber dann irgendwann die Lohnfestlegung in Deutschland übernimmt, und das darf nicht sein.
    Dobovisek: Was soll denn die Kommission dann konkret leisten?
    Grillo: Wir brauchen meines Erachtens keine Kommission. Wir brauchen auch nach wie vor keinen gesetzlichen Mindestlohn, sondern wir sollten das den Tarifparteien überlassen und der Staat sollte sich aus dieser Lohnfindung meines Erachtens heraushalten. Das ist meine feste Überzeugung!
    Dobovisek: Aber offensichtlich klappt das ja nicht ganz so gut, wenn wir teilweise Löhne haben, die aufgestockt werden müssen, Löhne bei ungefähr fünf Euro. Warum also nicht das abfedern mit einem Mindestlohn?
    Grillo: Man kann es auch positiv sehen, dass Leute, die ins Arbeitsverhältnis eingehen, mit niedrigen Löhnen die Chance haben, arbeiten zu können. Und dass die Differenz noch aufgestockt wird, das ist was Positives. Damit führen wir Arbeitslose, Langzeitarbeitslose ins Arbeitsleben heran.
    Dobovisek: Gefährdet der Mindestlohn Arbeitsplätze in Deutschland?
    Grillo: Ich bin sicher, dass er mit Arbeitsplätze gefährdet. Die verschiedenen Maßnahmen. Interessanterweise das Finanzministerium hat ja gestern zahlen veröffentlicht, dass insgesamt rund 1,5 bis 1,8 Millionen Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, wenn alle Themen, nicht nur Mindestlohn, sondern auch Mehrausgaben und so weiter kommen, und das ist für mich eine erschreckende Zahl.
    Dobovisek: Lässt sich die Union da Ihrer Meinung nach von der SPD über den Tisch ziehen?
    Grillo: Ich weiß nicht, wer da wen über den Tisch zieht, aber insgesamt sind die Ergebnisse unbefriedigend und da appelliere ich letztlich an alle Verhandlungspartner, letztlich natürlich an das Führungstrio, zum Schluss doch noch die richtigen Entscheidungen zu fällen, zu priorisieren bei den Ausgaben und das Thema Energiewende voranzubringen und nicht zu viel staatliche Eingriffe festzusetzen.
    "Wir brauchen keine Frauenquote"
    Dobovisek: Ein weiterer Punkt die Frauenquote in den Aufsichtsräten. Wieder ein Eingriff der Politik in die Wirtschaft?
    Grillo: Genau! Meines Erachtens sollten Führungspositionen in Unternehmen, auch in Aufsichtsräten nach Eignung und Leistung festgelegt werden. Und wenn wir genug Frauen haben, dann werden die selbstverständlich auch in die Aufsichtsräte kommen. Die Neubesetzung der Aufsichtsräte, da liegen die Quoten jetzt schon über 40 Prozent. Das heißt, wir brauchen keine staatliche Quote. Der Zug geht in die richtige Richtung.
    Dobovisek: Die Industrie hätte ja der freiwilligen Selbstverpflichtung nachkommen können, die sie sich ja auch selbst auferlegt hat. Bedarf es also der gesetzlichen Keule, wenn es denn freiwillig nicht geht?
    Grillo: Nein, ganz eindeutig nicht! Ich habe ja gerade gesagt, dass die Neubesetzungen in den Aufsichtsräten schon Quoten von über 40 Prozent für Frauen zeigen. Das zeigt ja genau, dass die Industrie in die richtige Richtung geht, ohne diese gesetzliche Pflicht. Das heißt, es braucht sie gar nicht.
    Dobovisek: Dann brauchen Sie ja gar keine Angst vor der Quote haben.
    Grillo: Nein. Das ist aber grundsätzlich der Eingriff des Staates in freie unternehmerische Entscheidungen. Dieses immer mehr Staat, immer weniger privat, immer weniger unternehmerische Freiheit, dagegen kämpfen wir, weil das ist die falsche Richtung.
    Dobovisek: Vermissen Sie die FDP?
    Grillo: Das liberale Gedankengut im Bundestag hat uns sicherlich nicht geschadet. Insofern ja, wir vermissen sie auch.
    Kostenentstehung bei der Energiewende zu bremsen
    Dobovisek: Noch ein dicker Brocken die Energiewende. Sie haben es bereits angesprochen. Der Anstieg der Strompreise soll gebremst, die Ökostromförderung reduziert und Industrierabatte reduziert werden, denn 2295 sogenannte energieintensive Betriebe sind derzeit von der Umlage für erneuerbare Energien befreit, darunter Milchbetriebe ebenso wie Schlachthöfe, Tierfutter-Hersteller, Kartoffelverarbeiter, Mineralwasser-Abfüller und Brötchenbäcker, die insgesamt fünf Milliarden Euro einsparen. Hat es die Industrie mit den Befreiungsanträgen da ein bisschen übertrieben?
    Grillo: Insgesamt die Industrie, die im internationalen Wettbewerb steht, muss von den hohen Energiepreisen entlastet werden. Hier geht es um deutlich mehr als eine Million Arbeitsplätze und das ist auf jeden Fall wichtig. Es geht aber grundsätzlich darum, die Kostenentstehung bei der Energiewende zu bremsen. Es geht nicht darum, wie verteilen wir die Kosten. Das ist im Moment Bestandteil der Verhandlungsergebnisse, wie sie anders verteilt werden, dass der Industrie auch etwas weniger, dass sie entlastet wird. Wir müssen aufpassen, dass die Kostenentstehung gebremst wird, und das sind die wichtigen Maßnahmen und da finden wir in den jetzigen Papieren noch viel zu wenig.
    Dobovisek: Bleiben wir doch noch einen Moment bei der Verteilung der Kosten. In welchem Konkurrenzkampf steht denn zum Beispiel die Deutsche Bahn, wenn alle in Deutschland fahrenden Züge die EEG-Umlage bezahlen müssen?
    Grillo: Ich möchte nicht für einzelne Branchen sprechen, nicht für die Bahn sprechen und nicht für Milchhöfe sprechen oder für Golfplätze. Noch mal: Die Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen, die leiden, die müssen entlastet werden. Wenn Missbrauch betrieben wird, dann muss sicherlich Einhalt geboten werden.
    Dobovisek: Die Strompreise steigen, die EEG-Umlage steigt für jeden Verbraucher, für jeden einzelnen Verbraucher. Wie wollen Sie das begrenzen?
    Grillo: Indem wir an den Kosten arbeiten, indem wir die Kostenentstehung bremsen, das heißt den Ausbau der erneuerbaren Energie besser steuern und von den Subventionen runterkommen. Wir bezahlen heute rund 20 Milliarden Euro für Strom, der drei Milliarden an der Börse wert ist, demnächst 24 Milliarden im nächsten Jahr. Von diesen Kosten müssen wir runter. Wir müssen dringend sofort einen Kostenstopp erreichen und da sehen wir im Moment in den Vereinbarungen sehr wenig. Wir müssen mehr Markt reinbringen in diese Systematik, damit wir wie gesagt noch einmal die Kosten in den Griff bekommen.
    Dobovisek: Wir haben ja schon über einige Punkte gesprochen. Viele der Punkte werden Geld kosten. Die Union schließt Steuererhöhungen aus. Brauchen wir für die großkoalitionären Pläne am Ende doch höhere Steuern?
    Grillo: Wir brauchen nicht höhere Steuern, wir müssen eine Priorisierung vornehmen, wir müssen das Geld richtig ausgeben und wir müssen überlegen, wo wir einsparen können und wo wir mehr ausgeben müssen. Das Geld, das wir haben, das müssen wir ordentlich verwenden.
    Dobovisek: Wo könnten wir denn einsparen?
    Grillo: Wir können bei verschiedenen Bedenken einsparen. Es gibt sicherlich im Sozialbereich, es gibt da zum Beispiel das Thema Betreuungsgeld, fällt mir ein. Das macht unseres Erachtens nach wie vor keinen Sinn. Viele andere Punkte, im Einzelnen sicherlich schwierig, aber wir müssen gucken, dass wir das Geld, was wir haben, richtig ausgeben. Erfreulicherweise sprudeln die Steuereinnahmen, sie wachsen auch. Das heißt, wir haben Spielraum. Aber diesen Spielraum müssen wir zielgerichtet einsetzen, um unser Land nach vorne zu bringen.
    Dobovisek: Ulrich Grillo, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, zu den Plänen von Union und SPD, die heute noch einmal in großer Runde über einen Koalitionsvertrag verhandeln. Nächste Woche dann soll der Vertrag stehen. Ich danke Ihnen, Herr Grillo.
    Grillo: Sehr gerne! Vielen Dank auch.
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