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Manfred Weber (EVP) und Jürgen Trittin (Grüne) zur US-Wahl
US-Demokratie auf der Kippe

Donald Trumps erster öffentlicher Auftritt nach Schließung der Wahllokale macht sowohl Manfred Weber (EVP) als auch Jürgen Trittin (Grüne) große Sorge. Beide befürchten, dass Trump die Legitimität der Wahl weiter infrage stellen könnte. Trittin sprach sogar von der möglichen Ankündigung eines Staatsstreiches.

Manfred Weber und Jürgen Trittin im Gespräch mit Philipp May |
Manfred Weber (CSU) und Jürgen Trittin (Bündnis 90 / Die Grünen) in einer Bild-Kombination
Manfred Weber (EVP) und Jürgen Trittin (Grüne) machen sich Sorgen um die Demokratie in den USA - aber auch die in Europa (picture alliance / dpa / Philipp von Ditfurth / Swen Pförtner)
Jürgen Trittin (Grüne) und Manfred Weber (EVP) haben den Europäern geraten, zunächst die offiziellen Zahlen und Ergebnisse abzuwarten, bevor sie sich zu den Wahlen äußern. Es müsse klar sein, dass egal, wer ins Weiße Haus einziehe, die USA in den nächsten Jahren stark mit sich selber beschäftigt sein werden. "Biden wird viel Arbeit vor sich haben zu einen, sollte er gewinnen, und Trump wird weiter spalten", sagte Weber im Dlf.
Wählerinnen und Wähler am 30. Oktober 2020 in einer Schlange vor einem Wahllokal im kalifornischen Yorba Linda, USA
Trump will Auszählung der Briefwahl stoppen Donald Trump hat sich zum Sieger der US-Wahl erklärt und gesagt, er wolle die weitere Auszählung der Briefwahlzettel gerichtlich stoppen lassen. Ein Überblick über mögliche Szenarien.
Philipp May: Wie lange verfolgen Sie schon diesen Wahlkrimi?
Manfred Weber: Drei Stunden, so was. Ich bin früh aufgestanden.
May: Was machen Sie mit diesem Ergebnis bisher?
Weber: Zunächst mal positiv ist die hohe Wahlbeteiligung. Und der Schatten, der sich jetzt schon abzeichnet, ist, dass es einen ganz bitteren Kampf ums Ergebnis geben wird. Ich glaube, wir alle sind überrascht, dass die Demoskopen wieder danebengelegen sind, dass einfach die klaren Präferenzen für Joe Biden, die uns prognostiziert worden sind, jetzt nicht eingetreten sind. Aber wir warten jetzt aufs Ergebnis.
Trittin: "Das zeigt ein zutiefst gespaltenes Land"
May: Ich höre gerade, Jürgen Trittin ist ebenfalls am Telefon. Herr Trittin, sind Sie überrascht davon, dass es so knapp ist?
Trittin: Ich war überrascht von der Klarheit, mit der Donald Trump Florida gewonnen hat. Da hat offensichtlich seine Kampagne gegen den Sozialismus bei den Latinos gezogen. Ich bin auf der anderen Seite überrascht, dass es Joe Biden geschafft hat, einen einstmals sehr republikanischen und fest in republikanischer Hand befindlichen Staat wie Arizona zu gewinnen. Und dass am Ende bei einer solchen Mobilisierung es sehr, sehr knapp wird, das darf nicht überraschen, und das zeigt ein zutiefst gespaltenes Land.
Menschen füllen in den USA ihre Wahlzettel aus
US-Präsidentschaftswahl - Bisher kein klarer Sieger
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Weber: "Eine Warnung an Europa"
May: Herr Weber, stellen Sie sich auf Chaos ein?
Weber: Das wird man sehen, wie es jetzt weitergeht. Aber der Gedanke, den Herr Trittin anspricht, ist, denke ich, auch für uns Europäer wichtig. Wir müssen Acht geben, dass in den westlichen Demokratien es nicht noch stärker zu Spaltungen und Vertiefen der Gräben kommt. Ich glaube, dass das, was wir in Amerika die letzten Jahre erlebt haben, auch eine Warnung an Europa ist. Wir müssen den Konsens stärker wieder suchen, das Miteinander, die Mitte wieder mehr suchen und nicht die Spaltung. Das ist vielleicht auch ein Fingerzeig, den wir Europäer, auch wir Deutschen ein Stück weit ernst nehmen sollten.
Berlin, Plenarsitzung im Bundestag Deutschland, Berlin - 09.09.2020: Im Bild ist Niels Annen spd während der Sitzung des deutschen Bundestags zu sehen. Berlin Bundestag Berlin Deutschland *** Berlin, Plenary Session in the Bundestag Germany, Berlin 09 09 2020 In the picture you can see Niels Annen spd during the session of the German Bundestag Berlin Bundestag Berlin Germany
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Die Demokratie in den USA werde jetzt wahrscheinlich noch einem Stresstest unterzogen, sagte Niels Annen (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt im Dlf. Europa dürfe jetzt nicht lamentieren, sondern müsse eigene Prioritäten setzen.
Weber: "Wir bräuchten ein starkes Amerika als Partner"
May: Sie wissen es ja wahrscheinlich am besten. Sie suchen den Konsens ja auch in Ihrer eigenen Fraktion beziehungsweise in Ihrer eigenen EVP-Fraktion, und Sie finden ihn oder Sie haben ihn häufig nicht gefunden, zum Beispiel mit Viktor Orbán, der mittlerweile nicht mehr Teil der Fraktion ist. Ist das im Prinzip schon der Vorgriff, den wir hier in Europa auch sehen? Sind das die ersten Zeichen eines Grabens?
Weber: Die Entwicklungen in Ungarn, auch in Polen, auch in anderen Staaten der EU zeigen uns zumindest, dass wir auch nicht blauäugig glauben sollten, dass unsere Werte auf Dauer gegeben sind. Deswegen kämpfen wir derzeit im Europäischen Parlament für einen verbindlichen Rechtsstaatsmechanismus, dass es Geld nur dann gibt, wenn man den Rechtsstaat anwendet. Und auch die globale Dimension spielt da mit rein, weil wir bräuchten ja ein starkes Amerika als Partner, ein partnerschaftliches Amerika für Europa, damit wir auch den Systemwettbewerb mit China gestalten können. Auch da geht es um unsere Werte, um unsere Grundausrichtungen, und vor dem Hintergrund müssen wir uns bewusstmachen, was uns ausmacht, was unsere Grundlagen sind, und wir hoffen, dass wir im Weißen Haus einen Partner haben, mit dem wir das auch global umsetzen können.
Trittin: "Trump ist der Auffassung, dass Europa schlimmer sei als China"
May: Da glauben ja Demokraten wie Republikaner, dass wir im Systemwettbewerb mit China (gerade Deutschland) gar nicht so richtig im Boot sind. Sind wir im Boot, Jürgen Trittin, im Systemwettbewerb mit China auf Seiten der Amerikaner?
Trittin: Da würde ich die Lager in den USA differenzierter beschreiben. Die Demokraten sehen, dass wir in diesem Systemwettbewerb auf gemeinsamer Grundlage sind. Wir vertreten eine Politik von Rechtsstaatlichkeit. Wir vertreten eine Politik der Demokratie und der offenen Märkte. Genau diese Haltung ist eine Haltung, die Donald Trump ablehnt. Er ist der Auffassung, dass Europa schlimmer sei als China, und Deutschland sei, wörtliches Zitat, der schlimmste Täter dort. Das heißt, Donald Trump hat ein massives Zerwürfnis in den transatlantischen Beziehungen zu verantworten, die ich unter einem Präsidenten Joe Biden bei allem Fortbestehen von Interessenskonflikten in der Politik gegenüber Russland, in der Art und Weise, wie wir China zurückbringen, sich an die Regeln der Welthandelsorganisation zu halten, glaube, dass es dort einen kooperativen und keinen so konfrontativen Weg gibt, diese Interessenskonflikte auszutragen. In einem Punkt, würde ich sogar sagen, würde die Wahl von Biden für Europa eine Chance bedeuten. Biden hat zugesagt, zurückzukehren ins Pariser Klimaabkommen. Das ist das Abkommen, was heute den Austritt der USA am heutigen Tag zu verzeichnen hat. Das würde übrigens auch und gerade Europa einen Bündnispartner bringen, beispielsweise China dazu zu bringen, von Klimaschutz nicht nur zu reden, sondern bei der Kohleverstromung auch ernsthafte Schritte zu unternehmen.
Das Bild zeigt die amerikanische Flagge, Dossier zur US-Wahl 2020 
Ein Überblick zur US-Wahl in unserem Dossier (picture alliance / Wolfram Steinberg)
Trittin: "Joe Biden wird mit einem so knappen Ergebnis nicht versöhnen können"
May: Dennoch ist ja klar, auch im Hinblick auf die nächsten Jahre und auf die nächsten Wahlen - wer weiß schon, wie es in vier Jahren ausgeht, wenn Joe Biden jetzt gewinnen würde -, dass die USA nicht mehr sicher auf Seiten Deutschlands steht, beziehungsweise zumindest verbal uns hin und wieder als Gegner attackiert. Wie gehen wir mit einer USA um, die sich so verhält?
Trittin: Ich glaube, wir müssen verstehen, dass die USA nach dieser Wahl erst mal, egal wer gewählt wird, weiter auf sich selbst bezogen bleiben werden. Das hat was zu tun mit der inneren Spaltung. Donald Trump, wird er gewählt werden, wird nicht versöhnen wollen. Joe Biden wird mit einem so knappen Ergebnis nicht versöhnen können. Beide erben aber eine hohe Arbeitslosigkeit, eine massiv explodierte Staatsverschuldung, und sie haben, wenn sie dann in den Wettbewerb mit China treten wollen, gleichzeitig massive Erfordernisse, Investitionen in Infrastruktur zu machen, um den Wettbewerbsrückstand, den die USA auf diesem Gebiet gegenüber China und übrigens auch gegenüber Europa haben, wett zu machen. Das heißt, wir werden uns darauf einstellen müssen, dass wir es die nächsten zwei Jahre (und die Midterm Elections in zwei Jahren sind das entscheidende nächste Datum) mit den USA zu tun haben, die wesentlich mit sich selber beschäftigt sind und weniger als internationaler globaler Akteur agieren. Und das heißt für uns übrigens auch, dass wir uns um unsere Nachbarschaftspolitik selber kümmern müssen.
Weber: "Biden wird viel Arbeit haben zu einen"
May: Manfred Weber, was kommt da auf uns zu in den nächsten Jahren im Umgang mit Amerika?
Weber: Ich teile zunächst die Analyse von Jürgen Trittin in der inneren Bewertung der Vereinigten Staaten, das zerrissene Land. Biden wird viel Arbeit vor sich haben zu einen, sollte er gewinnen, und Trump wird weiter spalten. Die eigentliche Botschaft ist, die Entwicklung in den Vereinigten Staaten schon über die letzten Jahre hinweg, Jahrzehnte vielleicht hinweg ist ein Weckruf an Europa. Wir müssen endlich Selbstbewusstsein entwickeln. Europa muss endlich Autonomie entwickeln. Das ist nicht immer nur einfach und banal, weil gerade bei der Frage der militärischen Kapazitäten sind wir heute zu ganz großen Teilen von der NATO-Kooperation mit den Vereinigten Staaten abhängig als Europäer, und das kann auf Dauer so nicht bleiben. Wir brauchen einen eigenständigen militärischen Pfeiler der Europäischen Union, der auch wirklich Selbstbewusstsein und auch Souveränität ausstrahlt, gerade in der Unsicherheit, die um uns herum herrscht. Das gilt aber auch für die Themen, wo wir schon überzeugt sind, beispielsweise das Klimathema.
May: Herr Weber! Ich muss Sie unterbrechen. Es ist tatsächlich soweit. Donald Trump tritt jetzt vor die Mikrophone.
May: Das jetzt mal als erster Eindruck von Donald Trump. – Ich habe gerade netterweise die Nachricht bekommen, dass sowohl Jürgen Trittin als auch Manfred Weber noch in der Leitung sind. Frage direkt in die Runde: Was machen wir damit?
Weber: "Trump hat sich in seinem Stil geäußert"
Weber: Wir Europäer sollten einfach, denke ich, warten. Es ist ein knappes Rennen. Das haben wir jetzt die letzten Stunden gespürt. Deswegen muss man wirklich alle Zahlen abwarten. Trump hat sich in seinem Stil geäußert, so wie er sich äußert, und am Ende der Tage brauchen wir jetzt die verlässlichen Zahlen. Nur dann kann man wirklich in die Zukunft gehen.
Trittin: "Das kann auch ein Stück Ankündigung eines Staatsstreiches sein"
May: Aber Chaos, Jürgen Trittin, scheint vorprogrammiert?
Trittin: Ich stimme Herrn Weber zu, dass wir gut daran tun als Europäer, das abzuwarten. Jede Stimme zählt bei einer Wahl. Das heißt, auch jede Stimme muss gezählt werden. Und erst dann wissen wir, wie die Verteilung der Wahlmänner und Frauen sein wird. Und erst dann wird es für Europa sinnvoll sein, einem Sieger oder Nicht-Sieger zu gratulieren.
Das was wir dort gerade erleben, das kann auch ein Stück Ankündigung faktisch eines Staatsstreiches sein, nämlich den Versuch, die Legitimität dieser Wahl, zu der so viele Menschen wie fast noch nie hingekommen sind, diese Legitimität in Zweifel zu ziehen und einen Sieg für sich zu reklamieren, der von der Zustimmung der Bevölkerung und übrigens auch von der Zustimmung der Wahlmänner und Frauen noch nicht sicher ist.
Trittin: "Trump stellt die Institutionen in Frage"
May: Das heißt, wir müssen tatsächlich in den nächsten Tagen, in den nächsten Wochen das Schlimmste befürchten. Wenn Sie von Staatsstreich reden, das sind ja schon große Worte.
Trittin: Er stellt die Institutionen in Frage. Wir haben das eigentlich selten erlebt, dass vor Ende einer Auszählung und ohne, dass klar war, wer eine Mehrheit im Electoral College hat, hier jemand sich hinstellt und behauptet, er habe gewonnen. Das ist ein verdeckter Aufruf an seine Anhänger, die Legitimität von Wahlergebnissen, die jetzt ankommen, in Frage zu stellen, und insofern heizt er damit die Spaltung des Landes an, und das direkt aus dem Weißen Haus heraus.
Weber: "Die Entwicklung ist schon besorgniserregend"
May: Manfred Weber, befürchten Sie auch das Schlimmste?
Weber: Die Tonlage macht Sorge. Da bin ich schon auch dabei. Und vor allem vor dem Hintergrund, dass es, wie wir vorher diskutiert hatten, einen globalen Wettbewerb über die Systemfrage wieder gibt, ist gerade angesichts der hohen Wahlbeteiligung jetzt die Entwicklung schon besorgniserregend. Wir wollen ja unsere Werte, unsere Vorstellungen gemeinsam vertreten, in die Welt hinaustragen als das richtige Modell, eine Gesellschaft zu organisieren und zu politischen Ergebnissen zu kommen, nämlich über Demokratie. Und wenn das jetzt in Frage gestellt wird, wenn das zumindest in Zweifel gezogen wird, dann macht das mir sehr, sehr viel Sorge.
Weber: "Amerika hat einen funktionierenden Rechtsstaat"
May: Ist Donald Trump noch auf Seite der Demokraten? Oder ist das zu weit gegriffen?
Weber: Ich denke, da muss man jetzt die nächsten Stunden wirklich abwarten, wie es weitergehen wird. Die Äußerungen, die ich gerade im Moment bei Ihnen im Sender von ihm gehört habe, legen das nahe, was wir jetzt gemeinsam analysieren, aber wenn dann die finalen Zahlen vorliegen, muss man sicher schauen, wie er darauf reagieren wird. Nichts destotrotz ist Amerika nicht Donald Trump. Amerika hat einen funktionierenden Rechtsstaat. Das war auch die letzten vier Jahre, wo die Demokraten die Mehrheit im Kongress hatten, die sie jetzt ja auch verteidigt haben. Wir haben schon auch Checks and Balances in den Vereinigten Staaten, die bisher gut funktioniert und solide funktioniert haben, würde ich formulieren, und deswegen würde ich jetzt noch nicht den Stab brechen über die Demokratie in Amerika. Allerdings die Äußerungen machen Sorge, keine Frage.
Trittin: "Trump spielt permanent mit der Regelverletzung"
Trittin: Ich würde auch den Stab nicht über die Demokratie in Amerika brechen, aber ich würde den Stab über einen Präsidenten brechen, der Demokratie nur insoweit achtet, als sie die Beförderung des eigenen Machtanspruchs und des eigenen Egos dient. Das heißt, er spielt permanent mit der Regelverletzung und müsste als Präsident eigentlich derjenige sein, der die Regeleinhaltung hat, und damit ermuntert er und befördert er massiv vorhandene antidemokratische Kräfte in seinem eigenen Land.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.