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Misshandlung von Flüchtlingen
Weitere Verdachtsfälle in NRW

In Nordrhein-Westfalen sind weitere Verdachtsfälle von Misshandlungen gegen Flüchtlinge bekannt geworden. Auch in Bad Berleburg sollen Flüchtlinge drangsaliert worden sein. Nun beginnt eine Debatte darüber, ob der Staat die Flüchtlingsunterkünfte weiter von privaten Firmen sichern lassen soll.

    Flüchtlinge sitzen in einem Speisesaal an langen Tischreihen beim Essen zusammen.
    In der Flüchtlingsunterkunft in Essen leben rund 500 Menschen. (picture alliance / dpa/ Roland Weihrauch)
    Insgesamt soll es in mindestens drei Unterkünften zu Misshandlungen gekommen sein. In Burbach im Siegerland werden mittlerweile sechs Wachmänner verdächtigt. Hinzu kommen zwei Verdachtsfälle in Essen und Bad Berleburg. "Ich bin fassungslos, dass so etwas passieren kann und ich schäme mich dafür, was den Menschen dort geschehen ist", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD).
    Die Bundesregierung dringt auf rasche Aufklärung. "Es ist vollkommen klar, diese Vorfälle müssen rasch und sie müssen dringend aufgeklärt werden", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) kündigte an, sofort mehr Personal für die Überwachung der Standards in den Flüchtlingsheimen bereitzustellen.
    Polizei-Gewerkschafter: "Willkommen im schlanken, privatisierten Staat"
    Der Misshandlungsskandal wird am kommenden Donnerstag den Düsseldorfer Landtag beschäftigen. Die Opposition und die Regierungsfraktion der Grünen sprachen von einer "Schande für Nordrhein-Westfalen". Der nordrhein-westfälische CDU-Vorsitzende Armin Laschet machte die rot-grüne Landesregierung für die Misshandlungsfälle mitverantwortlich. "Die Regierung hat die Aufsichtspflicht nicht wahrgenommen, wie das erforderlich wäre", sagte er. Monika Düker, Landtagsabgeordnete der Grünen in NRW, räumte im Deutschlandfunk die Verantwortung der rot-grünen Landesregierung ein. "Dieses Engagieren dieses Subunternehmens hätte niemals passieren dürfen."
    Die Deutsche Polizeigewerkschaft kritisierte, dass eine "hoheitliche Aufgabe" auf ein "gewinnorientiertes Unternehmen" übertragen worden sei. "Zynisch möchte man sagen: Willkommen im schlanken, privatisierten Staat", sagte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt am Montag im ZDF-"Morgenmagazin". Zudem sei der "Kardinalfehler" begangen worden, die Tätigkeit von Subunternehmen nicht zu verbieten. Damit seien die "Scheunentore weit geöffnet für Kriminelle". Die deutsche Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte, die Behörden sollten die nun bekanntgewordenen Zwischenfälle in NRW zum Anlass nehmen, um ihr gesamtes Management der Unterbringung, Versorgung und Bewachung auf den Prüfstand zu stellen.
    Ermittlungen in Bad Berleburg und Essen
    In Bad Berleburg im Siegerland sollen zwei 30 und 37 Jahre alte Beschäftigte eines Sicherheitsunternehmens einen Bewohner verletzt haben. Gegen sie werde wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt, sagte der Siegener Oberstaatsanwalt Johannes Daheim am Montag. Die beiden Männer sollen für eine andere Firma als die Wachleute in Burbach gearbeitet haben. Weitere Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt. In Essen sollen Sicherheitskräfte Flüchtlinge geschlagen haben. Die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung wegen zwei verschiedener Vorfälle, nachdem zwei Anzeigen eingegangen waren, sagte ein Polizeisprecher am Montag.
    Zwei Sicherheitsleute misshandeln in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach (Nordrhein-Westfalen) einen am Boden liegenden Flüchtling.
    Dieses von der Polizei NRW zur Verfügung gestellte Bild zeigt zwei Sicherheitsleute in der ehemaligen Siegerland-Kaserne in Burbach und einen am Boden liegenden Flüchtling. (picture-alliance / dpa / Polizei Hagen)
    Im Fall Burbach habe man derweil anhand ihrer Stimmen die beiden Männer ermitteln können, die einen Flüchtling gezwungen haben sollen, sich auf eine mit Erbrochenem verschmutzte Matratze zu legen, sagte Daheim. Ein von den Männern aufgenommenes Video hatte die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Außerdem hatte die Polizei ein Handyfoto gefunden, auf dem ein Sicherheitsmann einem gefesselt am Boden liegenden Flüchtling einen Fuß in den Nacken stellt. Die Befragung der Bewohner in dem Heim habe bisher "keine weiteren Hinweise auf Exzesse der Sicherheitsleute ergeben", sagte Daheim.
    Sicherheitsdienst engagierte Subunternehmer
    Die Notunterkünfte in Burbach und Essen sind Einrichtungen des Landes. Betrieben werden beide Heime von der Firma "European Homecare" aus Essen. Den Sicherheitsdienst in Burbach und Essen hatte "European Homecare" nach Angaben der Bezirksregierung Arnsberg dem Nürnberger Unternehmen SKI übertragen. In Burbach engagierte SKI demnach einen weiteren Subunternehmer. SKI sei inzwischen gekündigt, hatte die Bezirksregierung mitgeteilt.
    Stark steigende Asylbewerberzahlen durch Flüchtlingskatastrophen im Nahen Osten und in Afrika stellen die Behörden derzeit vor massive Herausforderungen. Viele Einrichtungen sind überbelegt. In der Zeit von Januar bis August 2014 haben insgesamt 99.592 Menschen in Deutschland Asyl beantragt. Im Gesamtjahr erwartet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rund 200.000 Bewerber.
    (nch/nin)