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Vor 250 Jahren
Als Polen erstmals geteilt wurde

Um ein Gleichgewicht zwischen Russland, Preußen und Österreich zu halten, musste das Territorium von Polen-Litauen Ende des 18. Jahrhunderts als Ausgleich dienen. Am 5. August 1772 wurde die erste Teilung Polens im Vertrag von St. Petersburg festgeschrieben.

Von Doris Liebermann | 05.08.2022
Die Detailansicht eines Gemäldes von Jan Matejko – darin protestiert der Abgeordnete Tadeusz Rejtan verzweifelt gegen die erste Teilung Polen-Litauens.
Die Detailansicht eines Gemäldes von Jan Matejko – darin protestiert der Abgeordnete Tadeusz Rejtan verzweifelt gegen die erste Teilung Polen-Litauens. (imago images/UIG)
Das berühmte Gemälde des polnischen Malers Jan Matejko „Rejtan – oder der Fall Polens“ stellt eine historische Szene dar: ein prunkvoller, aber derangierter Saal. Dicht gedrängt edle Herren, darunter der König. Auf der Empore festlich gekleidete Damen. Eine vergoldete Tür ist halb geöffnet, dahinter russische Soldaten. Vor der Tür liegt der Abgeordnete Tadeusz Rejtan auf dem Boden. Er hat das Hemd über der Brust weit aufgerissen und protestiert so verzweifelt gegen die Zustimmung des polnischen Parlaments, des Sejm, zu einem Gewaltakt: der ersten Teilung Polen-Litauens.

„Mit diesem Mann am Boden / erhebt sich Polen“, schrieb später die Dichterin Maria Konopnicka, die ihrerseits das tragische Kapitel der polnischen Geschichte aufgriff: die Teilung Polen-Litauens.
200 Jahre lang war Polen-Litauen ein mächtiger Doppelstaat gewesen. Sein Gebiet reichte von der Ostsee fast bis an das Schwarze Meer. Im 18. Jahrhundert aber war das Land durch Kriege und innenpolitische Konflikte geschwächt. Diese Instabilität wussten die drei „Schwarzen Adler“ auszunutzen: Preußen, Russland und Österreich – alle drei mit schwarzem Adler im Wappen.

1764 hatte Stanisław August Poniatowski mit russischer Hilfe den polnischen Königsthron bestiegen. Er war ein früherer Liebhaber und Günstling der russischen Zarin Katharina II., aber nicht die Marionette, für die sie ihn hielt. Seit dem Sieg im Nordischen Krieg war Russland zur neuen Hegemonialmacht in Europa aufgestiegen. Katharina notierte:

„Ich frage mich, ob Russland einen despotischen Nachbarn besser gebrauchen kann, als die glückliche Anarchie, in der sich Polen befindet und die uns in die Lage versetzt, nach Belieben zu verfahren.“

Der russische Einmarsch 1768 und die Gegenwehr Preußens und Österreichs


1768 marschierten russische Truppen in Polen-Litauen ein, um den König gegen aufständische Kleinadlige zu unterstützen. Gleichzeitig wollte Katharina Reformversuche Poniatowskis verhindern. Doch weder Preußen noch Österreich akzeptierten eine russische Vorherrschaft in Polen-Litauen, zumal das Zarenreich durch den gleichzeitig stattfindenden Krieg gegen die Osmanen große Gebietsgewinne im Süden zu erwarten hatte. Auch Österreich erwog einen Kriegseintritt – gegen Russland. Um ein Gleichgewicht der Mächte zu halten, musste Katharina territoriale Zugeständnisse an Preußen und Österreich machen: Opfer war das geschwächte Polen-Litauen.

Der Preußenkönig Friedrich II. strebte schon lange eine Verbindung zwischen Pommern und dem weiter nordöstlich separat liegenden Ostpreußen an. Dazwischen lag polnisches Staatsgebiet. Später wiegelte er ab, wie wichtig ihm diese Gegend war:

„Um jedoch weniger Eifersucht zu erregen, sage ich jedem, dass ich bei meiner Durchreise nur Sand, Tannen, Heide und Juden gesehen habe.“

Beginn der geheimen Verhandlungen über die Teilung Polen-Litauens

Die österreichische Kaiserin Maria Theresia ließ Ende 1769 die Zipser Städte an der polnischen Südwestgrenze besetzen. Ein Jahr später marschierten preußische Truppen in westpolnische Gebiete ein - mit russischem Einverständnis. Preußen und Russland begannen mit geheimen Verhandlungen über die Teilung Polen-Litauens. Maria Theresia hatte Gewissensbisse:

„Gott gebe, dass ich mich nicht einst im Jenseits dafür verantworten muss.“

Aber sie war nicht bereit, Vorteile der beiden anderen hinzunehmen. Friedrich II. kommentierte:

„Sie weinte, aber nahm.“

Am 5. August 1772 wurde die erste Teilung Polens im Vertrag von St. Petersburg festgeschrieben. Polen-Litauen verlor mehr als ein Drittel seiner Bevölkerung und mehr als ein Viertel seines Staatsgebietes – über 200.000 Quadratkilometer mit viereinhalb Millionen Einwohnern. Preußen bekam die gewünschte Landverbindung, Österreich südliche Territorien mit der Stadt Lemberg, und Russland mit 92.000 Quadratkilometern im Osten das größte Gebiet.

Nach zwei weiteren Teilungen verschwand Polen-Litauen ab 1795 ganz von der Landkarte. Erst nach dem Ersten Weltkrieg entstand 1918 wieder ein polnischer Staat. Der Freiheitswille und Widerstandsgeist gegen die Besatzungsmächte aber ist bis heute in der Kunst- und Kulturgeschichte Polens gegenwärtig.