Dienstag, 30. April 2024

Aus der Nachrichtenredaktion
Der angebliche BAMF-Skandal in Bremen – ein Zwischenstand

"Skandal" bei der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Im Frühjahr kannte Deutschland kaum ein anderes Thema. Was ist nach vier Monaten davon übrig geblieben?

Von Marco Bertolaso | 03.08.2018
    Nahaufnahme des Schildes mit dem schwarzen Bundesadler und dem Behördennamen auf gelbem Grund mit rotem Rahmen. Das Schild hängt an einer grauen Wand.
    Die Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Mohssen Assanimoghaddam / dpa)
    Auch die Deutschlandfunk-Nachrichten haben regelmäßig über diese Angelegenheit berichtet. Das Thema hat nicht nur die Politik beschäftigt, sondern auch die Stimmung zum Thema Flucht und Asyl beeinflusst. Nun fragen uns Hörerinnen und Hörer: Sind die Vorwürfe haltbar oder sind sie in sich zusammengebrochen? Hier der Versuch einer Zwischenbilanz.
    Am Anfang stand eine Recherche
    Für die Öffentlichkeit begann alles am 20.4.2018. "Süddeutsche Zeitung", NDR und Radio Bremen hatten recherchiert und präsentierten Ergebnisse. Hier ein Zitat aus der SZ:
    "Eine leitende Bamf-Mitarbeiterin soll in etwa 2.000 Fällen Asyl gewährt haben, obwohl die rechtlichen Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren. (…) Nur 98 der Asylanträge lagen demnach im Zuständigkeitsbereich der Bremer Bamf-Außenstelle. Die übrigen Antragsteller kamen, davon gehen die Ermittler aus, nicht aus Bremen, sondern überwiegend aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Sie seien nach den positiv beschiedenen Anträgen wieder dorthin zurückgeschickt worden. Ein beschuldigter Anwalt aus Hildesheim soll dafür Bustransporte organisiert haben und mit der ehemaligen Bamf-Leiterin mit Hilfe von vorab ausgestellten Listen für eine priorisierte Bearbeitung der Fälle in Bremen gesorgt haben."
    In der Verdachtsberichterstattung war auch von etwaiger Korruption die Rede, wiederum die "Süddeutsche Zeitung":
    "Noch ist nicht klar, ob und wie die Beamtin oder die Anwälte mit der Sache Geld verdienten. Die ehemalige Bamf-Mitarbeiterin soll zumindest Zuwendungen, etwa in Form von Restaurant-Einladungen, erhalten haben."
    In der BILD-Zeitung las man dann am 21.4.2018 die Überschrift:
    "ASYL-SKANDAL – Bestochen? Amtschefin genehmigt 2.000 Anträge einfach so"
    Heftige politische Debatte
    Ermittlungen und Ereignisse überschlugen sich, die Bremer Außenstelle darf keine Asylentscheidungen mehr treffen, die Leiterin ist nicht mehr im Amt und wehrt sich vor Gericht gegen die Anschuldigungen. Aber auch die Chefin des Bundesamtes selbst, Jutta Cordt, wurde inzwischen entlassen. Der Bundestags-Innenausschuss tagte in mehreren Sondersitzungen. Die Fraktionen stritten über einen Untersuchungsausschuss, für den sich laut Politbarometer Anfang Juni fast zwei Drittel der Deutschen aussprachen. All das begleitet von enormer Aufmerksamkeit in der Presse.
    Einige Medien haben Chronologien des Falls zusammengestellt, so etwa die "Süddeutsche Zeitung" und Radio Bremen.
    Viele glauben, dass die Diskussion über "Bremen" die Stimmung im Land verändert und den Boden für die von der CSU angezettelte Unions- und Regierungskrise mit bereitet hat. Im Deutschlandfunk sprach der Europarechtler Daniel Thym von einer "Retraumatisierung". Den Menschen sei auch durch "Bremen" wieder in Erinnerung gerufen worden, dass der deutsche Staat 2015/2016 die Kontrolle teilweise verloren habe.
    Was wir wissen
    Auch Anfang August 2018 liegt noch manches im Dunklen. Festhalten lässt sich Folgendes:
    Seit Mai werden alle positiven Asyl-Entscheidungen aus Bremen bis ins Jahr 2000 zurück überprüft. Bisher wurden in 17 Fällen Entscheidungen revidiert. Das geht aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke hervor. Wie viele der etwa 18.000 positiven Bremer Bescheide der vergangenen 18 Jahre schon überprüft sind, wurde nicht bekannt. Allerdings sollten es nach dem eigenen Anspruch des BAMF die meisten sein, hatte die Behörde doch im Mai erklärt, man wolle die Prüfung in drei Monaten abschließen.
    Tatsächlich wurden Asylbewerber aus anderen Bundesländern nach Bremen gefahren, aber das war nicht per se skandalös. Das Bundesamt erklärte NDR und Radio Bremen, die Zahl der in Bremen bearbeiteten Fälle aus anderen Zuständigkeitsbereichen sei zwar hoch, aber die Bremer Außenstelle sei "zeitweise für Antragstellende aus anderen Zuständigkeitsbereichen zuständig" gewesen.
    Die Anerkennungsquote in Bremen war so hoch, weil viele Angehörige der religiösen Gruppe der Jesiden in die Region kamen. Sie waren im Nordirak nach Ansicht vieler Beobachter einem Völkermord durch den sogenannten Islamischen Staat ausgesetzt. Zeitweilig wurden in ganz Deutschland fast alle Jesiden als Flüchtlinge anerkannt, teils auch in einem vereinfachten Verfahren.
    Bisher gibt es keinen Hinweis darauf, dass die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle korrupt war. Vor kurzem hat die Frau eine einstweilige Verfügung gegen den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer (CSU), erwirkt. Mayer hatte öffentlich gesagt, Bremer BAMF-Mitarbeiter hätten "hochkriminell und bandenmäßig" mit Rechtsanwälten zusammengearbeitet. Das darf er bis auf weiteres nicht wiederholen, entschied das Bremer Verwaltungsgericht. In einem weiteren Punkt war die ehemalige Bremer BAMF-Leiterin mit ihrem Eil-Antrag nicht erfolgreich. Demnach darf das Bundesinnenministerium weiter erklären, dass nach damaligem Kenntnisstand in Bremen bewusst gesetzliche Regelungen und interne Dienstvorschriften missachtet wurden.
    Das gesamte Bundesamt stand nach der plötzlichen Ankunft von mehreren einhunderttausend Menschen seit dem Herbst 2015 unter einem enormen Druck. Eigentlich war es eine unmenschliche Aufgabe, die die Behörde nicht fehlerfrei bewältigen konnte. Der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum hat dies im Deutschlandfunk anschaulich beschrieben und kommt zu dem Schluss, dass die Politik die Behörde im Regen hat stehen lassen. Soll heißen, es ist alles andere als verwunderlich, dass es beim BAMF Fehlentscheidungen gab. Auf die Verantwortung der Politik hat auch unsere Hauptstadtkorrespondentin Gudula Geuther mehrfach hingewiesen, zum Beispiel hier.
    Falschentscheidungen können aber auch in die andere Richtung erfolgen. Immerhin sind viele Klagen von abgelehnten Asylbewerbern zumindest erstinstanzlich erfolgreich. Das wird öffentlich viel weniger diskutiert als der "Skandal" von Bremen.
    Die Sicht der Nachrichten
    Als Nachrichtenredakteur lässt mich das Thema mit einem schlechten Gefühl zurück. Ich gebe gerne zu, dass wir uns bei der Ursprungsrecherche angesichts der Quelle (SZ, NDR, Radio Bremen) sicherer gefühlt haben, als dies bei dem einen oder anderen Medium der Fall gewesen wäre. Lesenswert ist ein Beitrag auf dem Portal "übermedien". Dort kann man einerseits lesen, wie der Regensburger Strafrechtler Henning Ernst Müller dem Rechercheverbund fahrlässiges Verhalten vorwirft, gar "Rufmord". Andererseits findet sich dort auch eine Antwort der Journalisten.
    Alles deutet darauf hin, dass es den von vielen vermuteten "großen Skandal von Bremen" nicht gegeben hat. Dies wird inzwischen auch öffentlich nicht mehr behauptet. Die Folgen sind aber immens gewesen, für einzelne Betroffene, aber genauso für die gesellschaftliche Debatte. Sie sind es immer noch. Der Fokus liegt inzwischen auf der allgemeinen Überforderung einer Behörde, die mit zumindest anfangs unzureichenden Mitteln eine Herkulesaufgabe bewältigen sollte.
    Nachrichtenredakteure sind im Beruf grundsätzlich skeptisch und vorsichtig. So haben wir auch die Recherche zu Bremen mit all den Konjunktiven versehen, die geboten waren. Wir wären aber nicht in der Lage gewesen, alles gegen zu recherchieren. Wie sollte das gehen bei komplexen Themen wie BAMF/Bremen, Panama Papers, Russland und die US-Wahl 2016 etc.? Ein Thema zu ignorieren, bis alles geklärt ist, das ist aber auch oft keine Option. Sicher, Beschuldigungen gegen Menschen, für die wir keine Anhaltspunkte sehen, die verbreiten wir nicht. Aber "Bremen" war anders. Denn es gab und gibt ja in der Tat viele Unstimmigkeiten im BAMF-System, die von allgemeinem Interesse und allgemeiner Bedeutung sind.
    Es bleibt der Eindruck einer wichtigen Geschichte, die zunächst einigermaßen falsch erzählt wurde, zu Lasten einiger Einzelpersonen und mit erheblichen Folgen für die gesellschaftliche Diskussion über das Thema Flucht und Migration.