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Schutzzone in Syrien
Politologe: "Kramp-Karrenbauer hat viel in Bewegung gebracht"

Eine multilaterale Mission in Nordsyrien sei eine sinnvolle Initiative, sagte der Friedensforscher Michael Brzoska im Dlf. Dies funktioniere allerdings nur, wenn die Bundesregierung alte Positionen aufgebe und beispielsweise bereit wäre, den zivilen Aufbau in Syrien zu unterstützen.

Michael Brzoska im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Ein syrischer Junge trägt auf einer Straße Essen auf seinem Kopf.
Im Falle einer mulitlateralen Schutzzone sei ein UNO-Mandat viel wahrscheinlicher als ein NATO-Mandat, so der Politikwissenschaftler Michael Brzoska (dpa / Anas Alkharboutl)
Dirk-Oliver Heckmann: Eine Schutzzone für den Nordosten Syriens - was halten Sie von der Idee? Der SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich hat ja von einer Militarisierung der Außenpolitik gesprochen. Das habe ich Professor Michael Brzoska gefragt, ehemals Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik in Hamburg.
Michael Brzoska: Es kommt natürlich sehr darauf an, mit was für einem Mandat und mit wessen Unterstützung und gegen wen eine solche Schutzzone eingerichtet wird. Wir haben ja in der Geschichte schon sehr verschiedene Schutzzonen gehabt. Wenn es tatsächlich so wäre, dass die beteiligten Parteien, Syrien, Russland, die Türkei, die Kurden, sich mit so einer Schutzzone einverstanden erklären könnten, dann wäre das eine sehr gute Idee. Wenn es aber natürlich bedeutet, dass man gegen eine dieser Parteien kämpfen müsste, dann wäre das tatsächlich sehr problematisch und würde einer Militarisierung entsprechen.
Türkische Soldaten patrouillieren in der nordsyrisch kurdischen Stadt Tal Abyad an der Grenze zwischen Syrien und der Türkei
Forderung nach Schutzzone in Syrien Bei ihrer Forderung nach einer international kontrollierten Schutzzone in Syrien habe sich Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht mit der SPD abgesprochen, sagte der SPD-Politiker Fritz Felgentreu.

Heckmann: Aber davon ist erst mal nicht auszugehen, denn eine Schutzzone gegen den Willen der Beteiligten einzurichten, dürfte schwierig werden. Die Frage ist ja auch, Herr Brzoska: Wer soll geschützt werden? Oder soll es das Ziel sein, dass die Hunderttausenden, die laut UNO-Angaben vor den Kämpfen geflüchtet sind, darunter Zehntausende Kinder, die Möglichkeit haben, zurückzukehren dort in die Region? Oder besteht nicht vielmehr die Gefahr, dass sich die internationalen Truppen als Bewacher von drei Millionen syrischen Flüchtlingen wiederfinden, die in die Türkei geflohen waren und die Erdogan ja abschieben möchte und die gar nicht aus der Region kommen, sich wiederfinden als Erfüllungsgehilfen der Türkei wie in einem gigantischen Freiluftgefängnis?
Brzoska: Genau das ist die zweite große Frage, dass bisher noch nicht wirklich erklärt worden ist, was denn das Ziel der Schutzzone wäre. Normalerweise bedeutet eine Schutzzone, dass lokale Institutionen das bestimmen sollen, was zum Beispiel die Frage von wer darf da siedeln betrifft. Das würde bedeuten, dass im Grunde genommen diejenigen, die vor dem türkischen Angriff dort gewohnt haben, wieder zurückkehren können müssten, hingegen syrische Flüchtlinge, die jetzt in der Türkei sind, eigentlich nicht in diese Schutzzone abgeschoben werden dürften. Aber auch das ist die Frage: Wie würden denn eine solche Schutzzone eingerichtet? Wäre das mit Zustimmung der Türkei? Würde die Türkei dabei verlangen, dass sie auch in der Lage sein könnte, Flüchtlinge dort hinzugeben? Die Einrichtung einer solchen Schutzzone ist eigentlich nur denkbar mit Zustimmung mehrerer Staaten, die wahrscheinlich auch im Gegenzug dann bestimmte Bedingungen stellen würden, um überhaupt ihre Zustimmung zu bekommen.
Heckmann: Das ist genau der Punkt, um den es in den nächsten Tagen und Wochen wahrscheinlich gehen wird. Der Vorstoß war ja erst mal sehr schlagwortartig von Annegret Kramp-Karrenbauer. Jetzt hat sie es gestern konkretisiert, heute auch noch mal, und zwar stellt sie sich ein UNO-Mandat vor. Ist das denn, Herr Brzoska, überhaupt realistisch? Denn Russland besitzt ein Vetorecht. Oder ist es nicht im Gegenteil gut, dass man nicht gleich die Flinte ins Korn wirft und das zumindest mal versucht?
Brzoska: Ich denke schon, es ist einen Versuch wert. In der Tat haben sich ja Russland und die Türkei und wahrscheinlich auch unter Absprache mit Syrien, möglicherweise auch den Kurden, erst mal auf ein Arrangement geeinigt und werden nicht einsehen, warum jetzt sich die Europäer, insbesondere Deutschland wieder einmischen sollen. Russland kann das, wie Sie sagen, durch ein Veto auch verhindern, dass es zumindest ein UNO-Mandat gibt. Andererseits könnte Russland, denke ich mal, auch durchaus Chancen darin sehen, dass Deutschland und andere europäische Staaten dort irgendwie beteiligt werden. Es geht natürlich insbesondere um die Frage des zivilen Aufbaus in Syrien, wo sich die europäischen Staaten bisher immer abweisend gezeigt haben, weil sie gesagt haben, wir wollen nicht, dass das Assad-Regime dadurch wieder stärker wird. Aber es könnte eine russische Bedingung sein. Es könnte auch eine Bedingung sein, dass die Soldaten, die in dieser Schutzzone sind, russisch sein müssten. Das hieße natürlich dann, dass Deutschland zum Beispiel akzeptieren müsste, dass deutsche Soldaten unter einem russischen General möglicherweise dort operieren. Es ist nicht ausgeschlossen.
"Kosten eines Wiederaufbaus in Syrien sehr hoch"
Heckmann: Wäre das realistisch?
Brzoska: Ich sage, ich kann mir russische Interessen vorstellen an einer europäischen Beteiligung. Allerdings wäre der Preis, glaube ich, sehr hoch und es wäre die Frage, ob wir das akzeptieren wollen.
Heckmann: Die Frage ist auch, ob Moskau die starke Stellung, die es jetzt dort in der Region hat, gemeinsam mit der Türkei und dem syrischen Machthaber Assad, ob man da so ohne weiteres das Feld räumen möchte und die Macht teilen möchte mit einer internationalen Truppe.
Brzoska: Das ist richtig und Russland ist im Moment in einer sehr starken Position. Allerdings muss man auch sehen, dass natürlich Russland auch möglicherweise sieht, dass die Kosten eines Wiederaufbaus in Syrien sehr hoch sind. Die russische Wirtschaft ist jetzt nicht unbedingt eine der stärksten in der Welt. Insofern könnte es ein gewisses materielles Interesse geben. Allerdings, denke ich mal, nur denkbar, wenn Deutschland und andere europäische Staaten bereit sind, auch zu akzeptieren, dass das Ganze mit einer Regierung Assad läuft, was bisher ja nicht unsere Position war.
Heckmann: Vielleicht muss man da seine Position möglicherweise auch korrigieren.
Brzoska: In der Tat hat der Vorstoß von Frau Kramp-Karrenbauer, glaube ich, sehr viele Implikationen, sowohl was die Zukunft Syriens angeht als auch das Verhältnis zu Russland.
Heckmann: Jetzt haben wir über die UNO und ein mögliches UNO-Mandat gesprochen, ob das realistisch ist, ja oder nein. Sie sagen, ausgeschlossen ist es nicht, kommt ein bisschen darauf an, welche Interessen auch Moskau verfolgt und sieht. Dann gäbe es die andere Möglichkeit eines NATO-Mandats. Ist das völlig undenkbar? Generalsekretär Stoltenberg hat ja heute abwehrend reagiert.
Brzoska: Ich halte es auch für sehr unrealistisch, denn das würde ja bedeuten, dass man gegen den Willen Russlands, gegen den Willen Syriens dort militärisch aktiv wird, möglicherweise auch gegen den Willen der Türkei. Ein NATO-Beschluss müsste ja praktisch einstimmig beschlossen werden, jedenfalls nach den bisherigen NATO-Regeln, und da würde die Türkei wahrscheinlich nicht zustimmen. Ich halte das für sehr unrealistisch, dass die NATO einen solchen Beschluss fasst und dass die NATO auch bereit ist und andere Staaten der NATO bereit sind, ein solches militärisches Abenteuer zu wagen.
UNO-Mandat wahrscheinlicher als NATO-Mandat
Heckmann: Wobei aus Ankara ja durchaus positive Signale gekommen sind, nach dem Motto, so eine Schutzzone haben wir seit Jahren gefordert. Auch die könnte man vielleicht ins Boot holen, oder?
Brzoska: Ja. Aber wie gesagt, ich sehe das sehr skeptisch. Wenn das bedeutet, dass die türkischen Interessen so eingeschränkt werden, wie sich Frau Kramp-Karrenbauer das ja mit der Idee einer Schutzzone, das heißt einer Schutzzone, wo auch die Kurden leben können, vorgestellt hat, das wäre dann eine andere Art von Schutzzone. Das wäre die Schutzzone, die in der Tat die Türkei praktisch ja jetzt schon hat.
Heckmann: Das heißt, welchen Weg würden Sie jetzt empfehlen, wirklich zu versuchen, die UNO zu involvieren, obwohl der Sicherheitsrat seit Jahren ja in diesen Fragen blockiert ist, oder wäre eine Alternative zum Beispiel eine multilaterale Aktion der Europäer?
Brzoska: Ich denke schon, dass eine multilaterale Aktion, einschließlich auch dann des Versuchs, ein UNO-Mandat zu bekommen, durchaus eine sinnvolle Initiative ist. Allerdings muss man das einpacken in eine sowohl diplomatische Offensive, und eine diplomatische Offensive würde bedeuten, dass man Positionen, die man vorher hatte im Verhältnis zum Assad-Regime, wahrscheinlich aufgeben muss, und natürlich auch eine ökonomische Regelung dessen, wie denn jetzt der Wiederaufbau in Syrien stattfinden soll. Das heißt, man müsste auch dann wirklich tatsächlich konkretere Bereitschaft zeigen, wirtschaftliche Unterstützung an die syrischen Kräfte zu liefern. Es bleibt noch der Punkt Idlib. Auch das wäre wahrscheinlich noch ein Hinderungsgrund, der von Russland und Syrien aus ins Feld gezogen würde. Auch da müsste man dann sehen, ob man nicht eine Lösung findet. Der Vorstoß von Frau Kramp-Karrenbauer hat viel in Bewegung gebracht, aber er ist noch weit weg von einer Realisierung, und für eine Realisierung braucht man ein sehr viel umfassenderes Paket, als nur jetzt die Einrichtung einer Schutzzone mit europäischer Beteiligung.
Heckmann: Das wollte ich gerade fragen. Grundsätzlich gefragt: Was halten Sie jetzt von dieser ganzen Diskussion? Ist die aus Ihrer Sicht längst überfällig und gut, dass Annegret Kramp-Karrenbauer das angestoßen hat? Oder hat sie es so angestellt, dass von vornherein eigentlich das Scheitern vorprogrammiert ist?
Brzoska: Ich denke mal, die Idee an sich ist durchaus verfolgenswert. Wie sie es angefangen hat, war nicht sehr klug. Das ist, denke ich mal, auch der Tenor vieler Stimmen in Deutschland gewesen. Es ist auch so, dass es wichtig ist, dass jetzt über das Militärische hinauszudenken und nicht nur mit der Idee einer Schutzzone zu kommen, sondern wirklich das einzubetten in Vorstellungen über die Zukunft Syriens insgesamt. Und man muss natürlich auch sehen, dass Frau Kramp-Karrenbauer möglicherweise noch gewisse andere Interessen im Auge hatte, nämlich noch mal vorzuführen, wie wichtig es ist, dass die Bundeswehr gestärkt wird, damit sie in Zukunft, wenn es vielleicht dann eine Zukunft für ein solches Vorhaben geben könnte, auch dafür gerüstet ist, was sie im Moment wahrscheinlich nicht so richtig wäre.
"Nur unter Preisgabe einer Reihe politischer Positionen"
Heckmann: Wobei die Frage ist, wie es in der Truppe ankommt, wenn die feststellt, dass solche Fragen per SMS und nachträglich möglicherweise auch abgefertigt werden.
Brzoska: Das Verfahren insgesamt war natürlich sehr unglücklich. Die Idee an sich, glaube ich, ist durchaus verfolgenswert. Realistisch ist sie, glaube ich, nur beschränkt und nur unter wirklich der Preisgabe einer Reihe von Positionen, die die Bundesregierung bisher hatte, sowohl zum Assad-Regime als auch zu Russland.
Heckmann: Letzte Frage. Denken Sie, es kommt?
Brzoska: Ich glaube es eher nicht, denn wie gesagt, die Interessen Russlands an einer solchen Lösung sind nur sehr begrenzt, und wir andererseits, glaube ich, sind auch nicht so schnell bereit, jetzt solche grundsätzlichen Positionen zur Assad-Regierung und auch zur Frage, wie man Assad durch finanzielle Hilfe möglicherweise stützen könnte, aufzugeben.
Heckmann: Das würde aber heißen, dass das Kämpfen und das Vertreiben der Zivilbevölkerung weitergeht.
Brzoska: Na ja. Es ist ja erst mal so, dass Russland und die Türkei eine Abmachung getroffen haben zu Lasten der Kurden, massiv zu Lasten der Kurden, und ich glaube, dass die Kurden, so traurig das ist, im Moment keine großen Alternativen haben, als mit dieser Situation zu leben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.