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Staatsleistungen an die Kirchen
Bis in alle Ewigkeit

Seit der Napoleonischen Zeit werden die Kirchen für die Verluste der Säkularisierung vom Staat entschädigt. Schon vor 100 Jahren stand in der Verfassung, dass damit Schluss sein sollte. Das Grundgesetz übernahm diesen Artikel, doch geändert hat sich bis heute nichts. Nun wollen AfD und FDP das Thema angehen.

Von Thomas Klatt | 12.02.2019
    Ein Mann gibt Geldscheine weiter
    Geld vom Staat für die Kirchen: 1919 wurde ein Ende der Dotationen beschlossen, 100 Jahre später wartet das Gesetz auf seine Umsetzung (imago)
    Derzeit 540 Millionen Euro überweist der deutsche Staat der evangelischen und katholischen Kirche jährlich, ohne dass die Christen dafür irgendetwas tun müssten. Das Geld kommt aus Steuermitteln, das heißt: Auch wer nicht Kirchenmitglied ist, beteiligt sich an der Finanzierung.
    "Die Zahl ist koscher, die Zahl ist richtig, und es ist in der Tat so, dass diese Zahlen von Jahr zu Jahr einer gewissen Progression unterliegen, sie steigen", sagt der Theologe Andreas Fincke, Leiter der Evangelischen Stadtakademie in Erfurt. "Wir haben im Moment mehr als eine halbe Milliarde überschritten, die als Staatsleistungen an beide Kirchen zusammen gehen. Dass seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland etwa 20 Milliarden an die beiden Kirchen geflossen sind."
    Grund für den jährlichen Geldfluss: der Reichsdeputationshauptschluss von 1803, die staatliche Entschädigung für die an Frankreich verlorenen linksrheinischen Gebiete.
    Die EKD will auf das Geld nicht verzichten
    Brandenburg-Preußen etwa war vor gut 200 Jahren einer der großen Gewinner. Das Land erhielt zum Ausgleich für die an Napoleon verlorenen Gebiete fünf mal so viele rechtsrheinische Flächen. Gebiete, die der Kirche weggenommen wurden. Und dafür erhalten die Christen zum Ausgleich bis heute viel Geld, erklärt der Berliner Konsistorialpräsident Jörg Antoine:
    "Die evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz bekommt insgesamt 21 Millionen Euro, davon 7,7 vom Land Berlin, 11,5 vom Land Brandenburg und um die 2 Millionen von dem Land Sachsen."
    07.08.2018, Berlin: Der Berliner Dom und der Fernsehturm in der blauen Stunde.
    Die Kirchen möchten auf die Zahlungen nicht verzichten (dpa / Lisa Ducret)
    Und das macht rund fünf Prozent des derzeitigen Haushaltes der Landeskirche aus. Prälat Martin Dutzmann, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche (EKD) in Deutschland bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, hat den gesamtdeutschen Überblick. Der Staat überweist der Kirche Dotationen, auf die die EKD nicht verzichten möchte, auch wenn Kirchenkritiker etwa aus humanistisch-atheistischen Kreisen dies schon seit Jahren vehement fordern.
    Dutzmann: "Also 2,2 Prozent am Gesamthaushalt, das sind ungefähr, 270 bis 280 Millionen Euro. Ich weiß nicht, was das für ein Zeichen sein soll an das deutsche Volk, wenn wir auf Ansprüche, die wir gegen den Staat haben, einfach so verzichten. Und 2,2 Prozent am Gesamthaushalt ist nicht wenig. Im Übrigen müssen Sie sehen, dass das je nach Landeskirche sehr unterschiedlich ist. Zum Beispiel die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland hat einen viel, viel höheren Anteil ihres Haushaltes, den sie aus Staatsleistungen decken muss als etwa die Evangelische Kirche im Rheinland. Das muss man dann auch noch mal sehen."
    Die Regierungen haben seit Weimar nicht gehandelt
    Allerdings kann keiner der befragten Kirchenvertreter genau beziffern, welche Reichtümer nun genau der Kirche 1803 weggenommen wurden und wie viel diese heute noch wert sind. So weit, so rechtens. Nur gibt es seit genau 100 Jahren den Auftrag, dass es mit den Dotationen ein Ende haben soll. Genau steht das seit 1919 in der Weimarer Reichsverfassung im Artikel 138, der so auch ins Grundgesetz übernommen wurde.
    "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf."
    Geschehen ist seitdem nichts. Keine Bundesregierung hat sich daran gemacht, diesen sogenannten Ablösebefehl zu erfüllen. Und die Kirchen? Die warten auf die politische Initiative. Es müsste ein Angebot sein, mit dem die Kirchen zufrieden sein könnten, meint der evangelische Konsistorialpräsident Jörg Antoine aus Berlin:
    "Wir müssten als Gegenwert das bekommen, womit wir die aktuell laufenden Zahlungen ersetzen können. Das hängt davon ab, was man uns gibt. Gibt man uns Grundstücke? Gibt man uns Aktien? Gibt man uns Geld? Dann kann man ja gucken, was daraus finanziert werden kann."
    "Eine Fortführung des Staatskirchentums"
    Und so kann es bis in alle Ewigkeit weitergehen mit den jährlichen Dotationen, solange kein Bundesfinanzminister ein Ablöseverfahren vorschlägt. Der Politologe Carsten Frerk kritisiert seit Jahrzehnten, dass alle Bürgerinnen und Bürger, egal ob Kirchenmitglied, Muslim oder konfessionsfrei, mit ihren Steuern zum Beispiel Gehälter mitfinanzieren.
    "Die Zuschüsse zur Pfarrerbesoldung und zu den Ruhegehältern ist eine Fortführung des Staatskirchentums. Und das hat sich erhalten. Das hat skandalträchtige Elemente."
    Sozialwissenschaftler Dr. Carsten Frerk auf der Säkularen Woche der Menschenrechte 2018
    Dr. Carsten Frerk setzt sich für ein Ende der Zahlungen ein (imago stock&people)
    Seit 100 Jahren nun schon gilt der sogenannte Ablösebefehl in Deutschland. Und schon längst hätten die Kirchen genug Dotationen vom Staat erhalten, klagt Humanist Carsten Frerk:
    "Die Bestimmungen von 1919 waren als Übergangslösung gedacht und alle Ansprüche, die die Kirchen noch hatten, sind durch die bisherigen Zahlungen abgelöst. Das heißt, diese Zahlungen sind zu beenden."
    Vertrag ist Vertrag
    Auch der Erfurter Theologe Andreas Fincke ist sich nicht sicher,
    ob sich die Kirchen selbst damit einen Gefallen tun, wenn sie weiterhin auf die ihnen zustehenden staatlichen Dotationen bestehen:
    "Weil in der öffentlichen Wahrnehmung schwer vermittelbar ist, dass wir eine mehr als 200 Jahre alte Regelung haben, nach der die Kirchen Geld bekommen. Dass Leute im polemischen Diskurs immer die Augen verdrehen und sagen, die Kirchen kriegen wohl nicht genug."
    Martin Dutzmann, Prälat  und Bevollmächtigter des Rates der EKD
    Für den Prälat Martin Dutzmann kommt eine ersatzlose Einstellung der Zahlungen nicht in Frage (imago & Metodi Popow)
    Das aber sieht Prälat Martin Dutzmann ganz anders: Gesetz ist Gesetz, Vertrag ist Vertrag, - und gilt für alle, egal ob Kirchenmitglied oder Atheist und konfessionslos.
    Er sagt: "Weil ich als Atheist auch, wenn ich denn deutscher Staatsbürger bin, Teil dieser Bundesrepublik Deutschland bin, die eine Rechtsverpflichtung gegenüber den Kirchen hat. Damals sind der Kirche überwiegend Ländereien weggenommen worden, aus deren Erträgen sie ihre Arbeit finanziert hat. Und für diese Erträge ist eine Ersatzleistung, keine Entschädigung, eine Ersatzleistung vereinbart worden. Und der Vertrag, der gilt und ist nicht deswegen hinfällig, weil er alt ist."
    "Die Öffentlichkeitsarbeit ist unglücklich"
    Dem würde der evangelische Theologe Andreas Fincke aber gerne noch etwas hinzufügen. Er wünscht sich von seiner Kirche, dass sie in Sachen Dotationen mehr auf die Kritiker zugeht und ehrlicher in Sachen Geld ist.
    "Mir ist aufgefallen, dass das Portal kirchenfinanzen.de, das ist ein Portal der Evangelischen Kirche in Deutschland. Ist es eigentlich ein Zufall, dass alle Zahlen, die man dort findet, erstaunlich veraltet sind? Man könnte ein Interesse vermuten, dieses Thema flach zu halten. Wer aktuelle Zahlen zu dem Thema sucht, muss zu den Kirchenkritikern gehen, und das wäre www.staatsleistungen.de. Da findet man die aktuellen Zahlen. Diese Art der Öffentlichkeitsarbeit ist unglücklich, weil sie den Eindruck verstärkt, die Kirchen würden hier mauscheln und hätten was zu verstecken."