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Städte- und Gemeindebund zu unbegleiteten Flüchtlingen
Landsberg: Für Extremfälle fehlt das rechtliche Instrumentarium

Es seien Einzelfälle, aber mit verheerender Wirkung, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg im Dlf über straffällig gewordene minderjährige Flüchtlinge. Neben einem anderen System müsste man auch darüber reden, ob solche Personen nicht abgeschoben werden könnten.

Gerd Landsberg im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes.
    "Die brauchen möglichst schnell Arbeit. Die brauchen Sprache", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg über unbegleitete Flüchtlinge im Dlf. (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Die Kommunen verlangen vom Bund mehr Geld für die Integration unbegleiteter Flüchtlinge. Wer immer die neue Regierung bilde, müsse die Finanzzusagen verstetigen, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Landsberg, im Deutschlandfunk.
    Besondere Probleme bereiteten jugendliche Flüchtlinge, die kriminell würden. Es handele sich zwar um Einzelfälle, sie stellten die Kommunen aber vor große Herausforderungen. Es sei immer schwieriger Sozialarbeiter zu finden, die bereit seien, solche Jugendliche zu betreuen.
    Landsberg erklärte, das Jugendstrafrecht in Deutschland sei auf Hilfe etwa für Schwererziehbare angelegt. Jugendliche Flüchtlinge seien dagegen in der Regel starke Persönlichkeiten, die von ihren Eltern geschickt würden. Deshalb müsse es möglich sein, sie in ihre Herkunftsländer abzuschieben.

    Das Interview in voller Länge:
    Stefan Heinlein: Es ist ein lauter Hilferuf aus Mannheim. Dort fühlt man sich allein gelassen von der Landesregierung in Stuttgart. "Das Grundvertrauen, dass der Staat seine Bürger schützen kann, ist nicht mehr vorhanden." So schreibt Ende Oktober der Oberbürgermeister der Stadt, Peter Kurz, an das Innenministerium. Der Grund: Eine Gruppe minderjähriger Flüchtlinge überwiegend aus Marokko ist verantwortlich für immer mehr Straftaten in Mannheim: Drogenhandel, Diebstahl und Gewaltdelikte. Ein kriminelles Milieu, das von der Polizei nur schwer kontrolliert werden kann, auch weil die Strafverfolgung der meist minderjährigen Flüchtlinge kaum möglich ist.
    Zwei Monate sind seit dem Hilferuf vergangen, doch er stößt in Stuttgart bislang auf weitgehend taube Ohren. Die Probleme allerdings, sie bleiben, und darüber möchte ich jetzt reden mit dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Guten Morgen, Herr Landsberg.
    Gerd Landsberg: Guten Morgen, Herr Heinlein.
    Heinlein: Ist Mannheim ein Einzelfall?
    Landsberg: Nein, Mannheim ist leider kein Einzelfall. Wir hören das auch aus anderen Städten, Badenweiler, Hamburg oder Bremen, ganz ähnliche Situationen: kleine Gruppen, die durch Straftaten auffallen. Wenn man es allerdings ins Verhältnis setzt, dass die Jugendämter etwa 62.000 jugendliche Migranten betreuen, dann sind es natürlich doch Einzelfälle, aber mit verheerender Wirkung. Sie haben es anmoderiert. Die Bürger sagen, wenn ich falsch parke oder zu schnell fahre, dann wird das vollzogen, ich muss bezahlen, und da macht der Staat nichts. Insofern ist der Hilferuf schon verständlich.
    Kriminalität bei Kindern: "Das gibt es selbstverständlich auch bei Deutschen"
    Heinlein: Wie unterscheidet sich denn die Zahl der Straftaten von minderjährigen Flüchtlingen von Kindern und Jugendlichen, die bei uns in Deutschland aufgewachsen sind? Oder einfacher gefragt: Sind Flüchtlingskinder krimineller als deutsche Kinder?
    Landsberg: Eindeutig nein. Wir haben das auch bei Deutschen, jugendliche Serientäter, häufig dann sogar unter 14. Das gibt es selbstverständlich auch bei Deutschen. Eine genaue Statistik habe ich nicht, aber das ist ein Problem, was zunimmt, und wird natürlich in den Medien dann auch entsprechend hochgefahren.
    Heinlein: Warum bekommt man dann die Probleme nicht in den Griff, wie Sie sagen?
    Landsberg: Ich glaube, wir gehen das vom Rechtssystem her falsch an. Das beginnt damit, dass wir der Auffassung sind und das auch immer gefordert haben, auch Jugendliche müssen auf ihr Alter, ihre Identität untersucht werden, und erst wenn das feststeht, dürfen sie auf die Kommunen verteilt werden. Natürlich hat es sich herumgesprochen: Wenn sie sagen, ich bin jugendlich, dann werden sie anders behandelt. Das ist ja auch bekannt, das ist ja auch in Ordnung. Das ist ein anderes System und darauf muss der Staat reagieren. Wir kennen das Beispiel aus Freiburg. Da steht im Moment ein angeblich Jugendlicher vor Gericht wegen Mordes und Vergewaltigung. Jetzt hat das Gericht, so jedenfalls berichten die Medien, mit dem Vater telefoniert; der ist wahrscheinlich 32 Jahre alt.
    Heinlein: Der Rechtsstaat muss reagieren, sagen Sie, Herr Landsberg. Wie muss der Rechtsstaat reagieren? Müssen die Gesetze verschärft werden, die Vorschriften, gerade das Jugendstrafrecht?
    Landsberg: Ich glaube, wir brauchen erstens eine Verschärfung, dass auch die Jugendämter berechtigt sind, das Alter festzustellen. Ich glaube zweitens, wir brauchen ein ganz anderes System. Das wird ja verkannt. Unser Jugendhilfesystem ist doch zugeschnitten auf schwer Erziehbare, die Probleme mit den Eltern haben, mit der Schule, mit dem Leben. Aber ein Großteil der jungen Flüchtlinge, die zu uns kommen, das sind gerade die starken. Die werden geschickt von der Familie, die den Schlepper bezahlt. Die brauchen ein ganz anderes Hilfesystem. Die brauchen möglichst schnell Arbeit. Die brauchen Sprache. Die müssen gegebenenfalls natürlich auch noch in die Schule gehen. Darauf sind wir eigentlich gar nicht vorbereitet.
    Und dann – das ist natürlich der letzte Baustein -, wir müssen auch darüber reden, kann man eigentlich nicht auch solche Personen abschieben, wenn sie straffällig werden. In den letzten zwei Jahren ist kein einziger Jugendlicher abgeschoben worden. Interessanterweise: Wenn Sie einen Jugendlichen aufgreifen oder einen Minderjährigen aus Polen oder Frankreich, dann werden die Eltern ausfindig gemacht. Natürlich wird er dann zu den Eltern zurückgeschickt. Da muss man mit den Herkunftsländern entsprechend reden und das setzt natürlich wieder auch ein anderes System voraus, als wir es haben. Wir sagen, es wäre sinnvoll, generell Abschiebungen übrigens jetzt nicht nur von Jugendlichen, sondern auch natürlich von Erwachsenen in die Hand des Bundes zu legen, denn er verhandelt ja auch mit den Herkunftsländern.
    Landsberg: Wenn Jugendliche alles verweigern, dann können Sie relativ wenig machen
    Heinlein: Welche Möglichkeiten haben denn die Kommunen, Jugendliche zu integrieren, die offenbar ja überhaupt kein Interesse haben zum Teil an der Integration in unsere Gesellschaft?
    Landsberg: Klare Antwort: eigentlich keine. Wenn der Jugendliche oder die Jugendlichen alles verweigern – und die Fälle gibt es -, dann können Sie relativ wenig machen. Sie können dann nur sagen, wir wissen jetzt auch nicht mehr was passiert. Gegebenenfalls, wenn sie straffällig werden, auch wenn sie noch nicht strafmündig sind, also unter 14, geschlossene Unterbringung. Das ist aber problematisch, weil die Länder kaum dafür Plätze haben. Hamburg hat einige Plätze geschaffen. Da sind Sie dann sehr schnell mit Ihrem Latein am Ende.
    Heinlein: Haben die Kommunen nicht auch ein Stück weit geschlafen? Die Flüchtlingskrise gibt es ja nicht erst seit vorgestern, sondern seit mehreren Jahren, und die Kommunen hätten alle Möglichkeiten gehabt, sich darauf einzustellen, auf diese besondere Problemlage mit Jugendlichen aus dem Ausland, die andere Maßnahmen, andere Integrationsmaßnahmen brauchen als der deutsche Jugendliche.
    Landsberg: Ich sehe das nicht so. Ich habe ja auch die Zahl genannt. Der ganz, ganz große Teil dieser 62.000, die in der Betreuung der Jugendämter sind, da läuft das ja auch gut. Aber für diese Einzelfälle fehlt uns einfach das Instrumentarium. Wir haben übrigens auch in den letzten Jahren vor diesem Hintergrund das Personal in den Jugendämtern gnadenlos aufgestockt. Wir werben für Pflegeeltern, da passiert schon viel. Übrigens viel ist auch erfolgreich. Das sind teilweise ja auch hoch motivierte Jugendliche. Die wollen Geld nachhause schicken. Die wissen, dass die Familie von ihnen erwartet, dass sie hier sich etablieren und auch integrieren. Aber für diese Extremfälle, über die wir hier sprechen, da fehlt einfach das rechtliche Instrumentarium. Da haben wir nicht verschlafen; wir haben das immer gefordert.
    "Sicherlich müssten die Länder auch mehr Einrichtungen schaffen für Unterbringung"
    Heinlein: Peter Kurz, der Mannheimer Oberbürgermeister, das ist ja ein Hilferuf, den er da zu Papier gebracht hat an das Innenministerium, aber sicherlich auch interessant für den Bund. Welche Möglichkeiten hätten denn die Länder und der Bund, die Kommunen bei ihrer Arbeit mit und für die Flüchtlinge zu unterstützen?
    Landsberg: Sicherlich müssten die Länder auch mehr Einrichtungen schaffen für Unterbringung. Der Bund müsste eine klare gesetzliche Regelung der Altersfeststellung schaffen. Denn in dem Moment, wo der über 14 ist, ist der strafmündig. Und das ist natürlich auch ein Appell an die Justiz der Länder, diese Dinge auch entsprechend zu verfolgen. Auch Jugendarrest gibt es. Es ist ja nicht so, dass es keine Mittel gibt; man muss sie halt nur anwenden.
    Heinlein: Warum hat man in Bund und Ländern offenbar kein offenes Ohr für die akuten Probleme in den Städten und Gemeinden? Denn das Innenministerium in Stuttgart hat offenbar ja noch nicht reagiert auf diesen Hilferuf aus Mannheim.
    Landsberg: Ja, das ist natürlich immer das Problem, dass Sie sofort in Verdacht geraten, Sie wollten die Rechte, die berechtigten Rechte ja von Jugendlichen oder Kindern einschränken. Und immer, wenn Sie irgendetwas unternehmen, was die Freiheit oder die Entwicklung von Kindern vermeintlich einschränkt, dann haben Sie natürlich eine starke öffentliche Meinung gegen sich. Deswegen zögert Politik. Dafür Mehrheiten zu finden, ist schwierig. Und dann kommt ja – ich habe es ja dargestellt – der eigentlich richtige Hinweis, ja gut, das ist ein Problem, aber gemessen an 60.000 oder über 60.000 Jugendlichen ist es dann auch nicht so dramatisch, was aber vor Ort – darüber haben wir ja gesprochen – leider eine verheerende Wirkung hat.
    "Es gibt einen durchschnittlichen Tagessatz von 175 Euro"
    Heinlein: Abseits der Frage der Kriminalität, Herr Landsberg, wie teuer ist die Betreuung minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge? Es gibt Zahlen von bis zu 5000 Euro im Monat.
    Landsberg: Ja, das ist realistisch. Es gibt einen durchschnittlichen Tagessatz von 175 Euro, und das ist auch ein Punkt, den wir natürlich thematisieren. Ein Großteil dieser ja starken Jugendlichen, die muss jetzt nicht die Sozialbetreuung wie ein schwer erziehbarer Deutscher haben. Darüber muss man auch mal reden. Natürlich spielt das Geld auch eine wichtige Rolle und auch das Personal wird immer knapper. Sie finden kaum noch Sozialpädagogen auf dem Markt, die bereit sind, diese Aufgabe zu erfüllen und dafür auch qualifiziert sind. Auch da stoßen wir an unsere Kapazitätsgrenzen.
    Heinlein: Brauchen Städte und Gemeinden auch mehr Geld vom Bund und von den Ländern?
    Landsberg: Eindeutig! Sie wissen: Der Bund zahlt zurzeit zwei Milliarden pro Jahr für Integration, und das läuft 2018 aus. Wir wollen sehr schnell von der neuen Bundesregierung, wer immer sie stellt, die verbindliche Zusage, wir helfen euch bei der Integration dauerhaft weiter, denn das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die man auf keinen Fall nur bei den Kommunen abladen darf.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Landsberg: Bitte schön, Herr Heinlein!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.