Dienstag, 19. März 2024

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Streikrecht für Beamte vor Gericht
"Die Loyalität wird mit dem Streikrecht nicht aufgekündigt"

Streikrecht auch für beamtete Lehrer – das forderte die NRW-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Dorothea Schäfer im Dlf. Seine Interessen streikend durchzusetzen, sei zwar stets erst das letzte Mittel, es sei aber aus GEW-Sicht ein Grundrecht. Das Grundgesetz verbiete das übrigens gar nicht.

Dorothea Schäfer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 17.01.2018
    Demonstration von ver.di, GEW, GdP, dbb Beamtenbund und Tarifunion am 09. Februar 2017 in Köln. Dorothea Schäfer - NRW Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Demonstration diverser Gewerkschaften in Düsseldorf Demonstration from ver Tue GEW GdP DAR Federation officials and Tariff Union at 09 February 2017 in Cologne Dorothea Schäfer NRW Chairman the Trade union Education and Science Demonstration diverse Unions in Dusseldorf
    An Kundgebungen dürfen beamtete Lehrer zwar teilnehmen, die Arbeit niederlegen aber nicht. Zu Unrecht, findet Dorothea Schäfer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. (imago stock&people)
    Tobias Armbrüster: Lehrer dürfen nicht streiken. Genauer: Beamtete Lehrer dürfen nicht streiken, so wie alle anderen Beamten auch nicht. Seit Jahrzehnten gehört dieses Streikverbot zur DNA des öffentlichen Dienstes in Deutschland. Aber viele Lehrer wollen das nicht länger hinnehmen. Auch sie wollen das Recht haben, in einen Arbeitskampf einzutreten, zum Beispiel, um mehr Gehalt zu fordern. Sie haben geklagt bis zum Bundesverfassungsgericht. Am Vormittag haben nun dort in Karlsruhe die mündlichen Verhandlungen begonnen.
    Am Telefon ist Dorothea Schäfer. Sie ist Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen. Schönen guten Tag, Frau Schäfer.
    Dorothea Schäfer: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Frau Schäfer, ein Streikrecht auch für Beamte. Darf es noch etwas mehr sein?
    Schäfer: Das ist ein Grundrecht aus unserer Sicht, und deswegen haben wir ja auch die streikende Kollegin, die als beamtete Kollegin teilgenommen hat, unterstützt und vertreten sie jetzt auch vor dem Bundesverfassungsgericht als GEW.
    Armbrüster: Das heißt aber, den Beamten, den beamteten Lehrern, den genügen auch die vielen Privilegien nicht, die sie jetzt schon haben?
    Schäfer: Von vielen Privilegien zu sprechen, ist ja auch sehr übertrieben. Sie haben eine bessere Netto-Bezahlung als die angestellten Kolleginnen und Kollegen.
    Bisher keine Gegenwehr gegen Einschnitte möglich
    Armbrüster: Das ist ja nicht ganz unwichtig.
    Schäfer: Wir haben aber in den letzten Jahren gemerkt, dass die Arbeitgeber, also die Landesregierungen, da auch einschneidende Veränderungen gemacht haben, ohne dass sich irgendein Lehrer, eine beamtete Lehrerin dagegen wehren konnte – zum Beispiel Erhöhung der Arbeitszeit mit der Begründung, wir haben nicht mehr Geld, um zusätzliche Lehrkräfte einzustellen, also müssen alle jetzt mehr und länger arbeiten. Das sind Grundrechte, die man nicht alleine an dem Status festmachen kann.
    Armbrüster: Ich nenne mal noch zwei andere Privilegien, die immer wieder gerne genannt werden. Da ist einmal die lebenslange Jobgarantie, die durchaus üppigen Pensionen im Vergleich zur Rente, und dann natürlich auch Nummer drei, die private Krankenversicherung. Das alles reicht nicht?
    Schäfer: Es geht nicht darum, ob das reicht. Es geht uns auch nicht darum, den Beamtenstatus abzuschaffen. Aber die Situation ist ja so: Es gibt zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen 25 Prozent tarifbeschäftigte Lehrkräfte. Die haben ein Streikrecht. Das ist aber schwierig, das dann entsprechend auch anzuwenden. Wenn da zwei, drei Angestellte im Lehrerzimmer sind, kann man ja auch fragen, warum müssen das dann nicht auch beamtete sein, warum werden die nicht verbeamtet. Da gibt es dann gesundheitliche Gründe oder Altersgründe, aber die machen die gleichen Tätigkeiten, können aber dann auch ihre Rechte schlecht durchsetzen, weil der Unterricht dann von den anderen übernommen wird und es im Grunde relativ wirkungslos ist, ob sie dann von ihrem Streikrecht Gebrauch machen oder nicht.
    Armbrüster: Das heißt aber auch, Sie treten da gerade so eine Neiddebatte los unter den Lehrern.
    Schäfer: Die Neiddebatte gibt es ja. Die gibt es sowieso, denn da sind wir an anderer Stelle unterwegs. Dass die Bezahlung der Tarifbeschäftigten so viel schlechter ist als der verbeamteten Lehrkräfte, das ist ja auch nicht in Ordnung. Die machen wirklich die gleiche Tätigkeit. Die geben Noten, die nehmen Prüfungen ab, die sind in Abiturprüfungen eingesetzt und so weiter. Es gibt ja andere Bundesländer, wo es sogar überwiegend nur tarifbeschäftigte Lehrkräfte gibt.
    "Das ist im Grunde so was wie kollektives Betteln"
    Armbrüster: Aber um die kümmern Sie sich ja heute explizit nicht, sondern es geht heute um die Beamten, und für die wollen Sie jetzt noch ein bisschen mehr, nicht unbedingt mehr Geld, aber zumindest ein Streikrecht, was ja letztendlich dann auf mehr Geld hinauslaufen könnte.
    Schäfer: Wir haben Lehrerinnen und Lehrer, die sind Beamtinnen und Beamte. Die sind aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und sie haben keine Möglichkeit, für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten. Das ist im Grunde so was wie ein kollektives Betteln, wenn man dann sagt, wir brauchen andere Bedingungen, wir brauchen kleinere Klassen, wir brauchen eine andere Bezahlung, denn diese Zusage der angemessenen Alimentation, die hat ja auch in den letzten Jahren sehr gelitten. Zum Beispiel sind Tarifabschlüsse nicht vollständig übertragen worden, mit zeitlicher Verzögerung übertragen worden. Letztlich gibt es sogar Länder, die haben Nullrunden gemacht, das heißt gar keine Erhöhung der entsprechenden Bezahlung. Die Gewerkschaften werden auch, wenn es ein Streikrecht für beamtete Lehrerinnen und Lehrer geben sollte in Zukunft, da mit Augenmaß vorgehen, wie wir das auch im Blick auf die Tarifbeschäftigten immer machen.
    Armbrüster: Frau Schäfer, das ist ja eigentlich ein Deal sozusagen, der seit Jahrzehnten in Deutschland gilt, dass es heißt, ihr seid Beamte, kriegt dafür einige Leistungen, die normale Arbeitnehmer nicht haben, euer Job ist lebenslang garantiert, und im Gegenzug garantiert ihr uns eine gewisse Loyalität, die sich dann zum Beispiel ausdrückt in diesem Verbot eines Streikrechts, in der Tatsache, dass Beamte nicht in einen Arbeitskampf eintreten. Wenn Sie das jetzt aufweichen mit so einer Klage, wenn Sie das Streikrecht durchsetzen, schaffen Sie damit nicht den Anfang vom Ende des Beamtentums? Weil eigentlich muss es dann ja keine Beamten mehr geben.
    Schäfer: Nein. Wir haben ja auch andere Länder, jetzt nicht Bundesländer, sondern andere Länder, wo es auch Beamte gibt im Schulbereich und wo aber dieses Streikrecht nicht in Frage gestellt wird. Wir haben gerade vorher schon gehört von der Kollegin aus Karlsruhe, dass dieses Streikverbot gar nicht formuliert ist in dem Artikel 33 Absatz 5 Grundgesetz, wo die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums formuliert sind.
    "Die Loyalität wird damit nicht aufgekündigt"
    Armbrüster: Aber beide Seiten sind ja seit Jahrzehnten davon ausgegangen, dass es das gibt, auch wenn es nicht festgeschrieben ist.
    Schäfer: Ja. Aber es spricht ja nichts dagegen, dass man 100 Jahre, nachdem das alles sich so entwickelt hat, auch einmal wirklich darüber nachdenkt und jetzt auch vom Bundesverfassungsgericht erwartet, prüft das bitte, dass das in Ordnung ist, also auch im Hinblick auf den Europäischen Menschengerichtshof. Das ist eine Kollision, das hat Bundesverwaltungsgericht schon 2014 festgestellt, und die Landesregierungen und die Bundesregierungen hätten ja auch schon Dinge verändern können.
    Armbrüster: Aber das Problem bleibt ja. Wenn die eine Seite, wenn die Beamten ihre Loyalität aufkündigen, dann kündigen sie eigentlich das Beamtentum auf.
    Schäfer: Nein! Die Loyalität wird damit ja nicht aufgekündigt, wenn ich mich auch in einem Streik dafür einsetzen darf, dass ich andere Arbeitsbedingungen haben will. Der Streik ist immer das letzte Mittel und die Loyalität besteht ja darin, die wird auch von den tarifbeschäftigten Lehrkräften erwartet, dass sie ihre Arbeit ordentlich machen, …
    Armbrüster: Vor allen Dingen, dass sie bei der Arbeit erscheinen, egal was passiert.
    Schäfer: Ja.
    Armbrüster: Auch wenn andere zum Streik aufrufen, sind Beamte trotzdem da und halten den Betrieb, in diesem Fall die Schule am Laufen.
    Schäfer: Ja. Ich glaube, der Unterrichtsausfall in den letzten Jahren ist deutlich größer dadurch, dass nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer eingestellt worden sind, aber nicht dadurch, dass zum Streik aufgerufen worden ist, auch nicht in den Bundesländern, wo es fast ausschließlich tarifbeschäftigte Lehrkräfte gibt. Das ist so ein Schreckgespenst, das da an die Wand gemalt wird, insbesondere vom Beamtenbund, der wahrscheinlich befürchtet, dass er dann irgendwie auch anders agieren muss, als sich darauf auszuruhen.
    "Streik ist immer das letzte Mittel"
    Armbrüster: Wäre das denn gut, wenn Arbeitskämpfe künftig verstärkt auch auf dem Rücken von Schulkindern ausgetragen werden?
    Schäfer: Das wird immer mit Augenmaß gemacht und wenn die Arbeitgeber wissen, dass das droht, sind sie vielleicht auch eher in der Situation zu sagen, wir machen ein ordentliches Angebot. Eine Tarifverhandlung fängt nie mit einem Streik an, auch in anderen Branchen nicht. Das ist immer das letzte Mittel. Insofern haben es dann die Arbeitgeber, das heißt die Landesregierungen auch in der Hand, die Vertreter der Länder, das zu verhindern.
    Armbrüster: Aber gut. Wenn es ein Streikrecht gibt, dann können wir davon ausgehen, dass auch mehr gestreikt wird.
    Schäfer: Ja. Wenn das nötig wird, dann wird das so sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.