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Ukrainischer Ex-Premier Asarow im Exil
Düsteres Bild von der Ukraine

In der Ukraine ist weder ein Ende des Krieges noch ein Ende der Regierungskrise in Sicht. Nun hat sich ein Retter angeboten, von dem man in Kiew schon lange nichts mehr gehört hat und wohl auch nicht hören wollte. Der langjährige Ministerpräsident Nikolaj Asarow, den die Proteste auf dem Maidan fortgespült hatten. Das lässt ihm wohl keine Ruhe.

Von Sabine Adler | 01.04.2016
    Der frühere ukrainische Ministerpräsident Nikolaj Asarow.
    Der frühere ukrainische Ministerpräsident Nikolaj Asarow. (Imago / ITAR-TASS)
    Dass er einmal ein politischer Flüchtling wird, hätte sich Nikolaj Asarow nicht träumen lassen. Vor zwei Jahren bat der ehemalige ukrainische Ministerpräsident in Moskau um politisches Asyl. Wie Viktor Janukowitsch hat Asarow die Ukraine verlassen, als das Parlament den Präsidenten abwählte, einen Übergangspräsidenten ernannte. Mit Janukowitsch stand er mitten im Auge des Orkans, als es Ende 2013 um den Assoziierungsvertrag der Ukraine mit der EU ging.
    Setzen Sie sich, sagte Parlamentspräsident Rybak, ich erteile dem Premierminister das Wort. Setzen Sie sich, lassen sie uns zuhören. Der betagte Regierungschef begann zu erklären, dass das Ende des Assoziierungsprozesses das einzig mögliche war in der gegenwärtigen Situation der Ukraine. Doch er fand kein Gehör.
    "Alles müsste genau andersherum gemacht werden"
    Seit den dramatischen Ereignissen war der Ex-Premier nicht mehr im Parlament, nicht mehr in der Ukraine. Verbittert erklärt Nikolai Asarow in Moskau: "Wo soll ich sonst leben? Ihre Regierung hat gegen mich Sanktionen verhängt. Die Ukraine hat gegen mich Gerichtsverfahren eröffnet. In dieses faschistische nationalistische Land, das Sie unterstützen, kehre ich niemals zurück."
    Nikolai Asarow widerspricht sich nicht nur einmal in dem anderthalbstündigen Interview. In die Ukraine, wo alles falsch laufe, will er nicht zurück, doch erst kürzlich bot er sich als Ministerpräsident an, um die derzeitige Regierungskrise zu beenden.
    "Mit diesem Vorschlag wollte ich den Leuten sagen, dass die Politik der vergangenen zwei Jahre völlig falsch ist. Alles müsste genau andersherum gemacht werden. Meine Aufgabe ist, den Landsleuten die Wahrheit zu sagen, aber man lässt mich nicht in den ukrainischen Medien auftreten. Deshalb muss ich das von Moskau aus über das Internet oder über die russischen Medien machen. Rund 20 bis 30 Prozent der Ukrainer sehen die russischen Programme. Ich sage ihnen, dass sie so schlecht leben nicht wegen des Krieges, den Russland entfesselt hat, das erzählt ihnen die jetzige Regierung. Ich sage ihnen, ihr lebt so schlecht, weil ihr einen Staatsstreich gemacht habt, weil ihr korrupt seid, weil ihr Staatsgelder stehlt und die Wirtschaft ruiniert. Ich weiß das, ich war Premier und Vizepremier."
    Ärger über den Reputationsverlust, Wut auf die neuen Machthaber
    Angeblich schreiben ihm Hunderte Bürger jeden Tag, dass er zurückkehren soll. Doch die alten Zeiten sind vorbei, die Verbindung zum Ex-Präsidenten gekappt. Von dem Präsidenten will der einstige Janukowitsch-Vertraute heute nichts mehr wissen.
    "Ich war nie ein Janukowitsch-Mann, nie. Ist Herr Steinmeier ein Merkel-Mann?"
    "Aber Sie sind der gleichen Partei wie Janukowitsch gewesen."
    "Ja, aber unsere Wege waren unterschiedlich."
    In Moskau schwankt seine Stimmung zwischen Ärger über den Reputationsverlust, Wut auf die neuen Machthaber, die nichts vom Fach verstehen und auf den Westen, der wie er sagt an allem Schuld ist.
    "Ich möchte, dass sie mich verstehen. Wir brauchen dringend die Unterstützung der demokratischen europäischen Gesellschaften."
    "Obwohl der Westen angeblich Schuld am Maidan ist?"
    "Natürlich ist er schuld, selbstverständlich sind sie schuld!"
    Dass die Armut in der Ukraine rapide gestiegen, die Wirtschaftsleistung gesunken sind, habe nichts mit dem Krieg zu tun. So wenig wie Russland Schuld an der Okkupation der Krim und dem Krieg in der Ostukraine ist.
    "Das hat die Regierung gemacht."
    "Die russische Regierung!"
    Keine Kritik an der Situation in den besetzten Gebieten
    "Ich meine die Regierung, die ich gar nicht Regierung nennen möchte, sondern Junta, Putschisten. Sie haben die Krim weggestoßen. Sie haben alles dafür getan, dass die Krim weg wollte. Sie haben den Krieg in den Südosten der Ukraine gebracht. Die ersten Panzer im Donbass kamen aus Kiew. Welchen Krieg hätte es gegeben, wenn der Umsturz nicht gewesen wäre. Ich hätte doch nie erwartet, dass diese Idioten in Kiew Panzer in die Ostukraine, in den Donbass schicken. Was hätte Russland denn tun sollen? Zusehen? Zuschauen, wie Donezk, die Stadt, in der ich zwölf Jahre gewohnt habe, zerstört wird?"
    Asarow zeichnet ein düsteres Bild von der Ukraine, womit er vor allem eins sagen will: Ohne ihn geht es ihr schlecht.
    "Ich habe den Wunsch, den Faschismus, der derzeit herrscht, nicht zuzulassen. Eine im 8. Monat schwangere Frau wird in Odessa in Untersuchungshaft festgehalten. Der Journalist Oles Busin wurde ermordet. Der Anwalt Juri Grabowski. Soll ich fortfahren mit der Aufzählung? Ich will nicht, dass so etwas in unserem Land geschieht. Zehntausende sind spurlos verschwunden."
    Amnesty International verzeichnet Kriegsverbrechen auf beiden Seiten, nicht aber Zehntausende Verschleppte. Die Situation in den besetzten Gebieten, wo es keine Parteien gibt, keine Presse- und Meinungsfreiheit, kritisiert der Ex-Kabinettschef mit keinem Wort. Erst Recht nicht die Rolle des Moskaus, das die Besetzung zahlloser Städte im Donbass orchestriert hatte und die Separatisten bis heute instruiert. Kremltreue aus Überzeugung, nicht aus Gastfreundschaft.