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Umgang mit Flüchtlingen
"Wir sind insgesamt ein bisschen verkrampft"

Die Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen sei in Deutschland "ein bisschen verkrampft, sagte die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch im DLF. Es werde immer versucht alles einzuordnen und zu trennen, etwa in gute und schlechte Flüchtlinge. Das sei aber schwierig, beziehungsweise gar nicht machbar. Politik sei aber auch dazu da, Menschen berechtigte oder unberechtigte Ängste zu nehmen.

Ursula Münch im Gespräch mit Daniel Heinrich | 01.09.2015
    Porträt der Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (Bayern), Ursula Münch
    Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing (dpa/OPeter Kneffel)
    Daniel Heinrich: Am Telefon bin ich verbunden mit Ursula Münch, Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing am Starnberger See. Frau Münch, gestern Abend sitzt der bayerische Innenminister Joachim Herrmann in der ARD bei "Hart aber fair" und spricht von "wunderbaren Negern". Was in Gottes Namen hat er sich denn dabei gedacht?
    Ursula Münch: Ob er sich viel dabei gedacht hat, weiß ich nicht. Er scheint, darauf reagiert zu haben, auf einen Beitrag, der ja wohl in der Sendung kam, wo jemand sich abfällig über "Neger" geäußert hat, und dieses abfällige Zitat hat Herrmann wohl aufgreifen wollen und es ins Positive wenden wollen. Das was man ihm unterstellt, wollte er, glaube ich, genau nicht machen, sich nicht abfällig äußern, sondern eigentlich das zurückweisen, diese Bezeichnung, die heutzutage nicht mehr üblich ist.
    Heinrich: Das hat er ja nur mittelbar geschafft. Direkt gemeint hat er den Schlagersänger Roberto Blanco. Der ist Ehrenmitglied in der CSU und hat heute klargestellt, dass er die Aussage gar nicht so dramatisch fand. Sind wir in Deutschland aus lauter Angst vor politischer Korrektheit eigentlich zu verkrampft in dieser ganzen Debatte?
    Debatte über gute und schlechte Deutsche nicht hilfreich
    Münch: Wir sind insgesamt ein bisschen verkrampft, weil wir natürlich versuchen, immer alles einzuordnen. Wir versuchen, in dieser Debatte um die Flüchtlinge und um die wichtige Frage, wie gehen wir mit Flüchtlingen um und wie gehen wir mit dieser Herausforderung um, weil wir immer wieder versuchen, gute und schlechte voneinander zu trennen, sowohl die guten und die schlechten Flüchtlinge - das ist schwierig, beziehungsweise gar nicht machbar - und wir versuchen aber auch die guten und die schlechten Deutschen mit Blick auf die Aufnahmegewährung zu unterscheiden, und auch das ist manchmal gar nicht so einfach und im Grunde bringt das ja alles nichts. Wir sollten uns alle darum bemühen, ordentlich mit Menschen umzugehen und zu versuchen, diejenigen, die wohl längerfristig da bleiben oder auch für immer da bleiben, vernünftig in dieses Land zu integrieren und dieses Schwarz-Weiß weder mit Blick auf die Flüchtlinge mit diesen vermeintlich klaren Trennungen, noch diese Trennung in gute Deutsche und schlechte Deutsche, außer dass man weiß, diejenigen, die tatsächlich was zuschulden kommen lassen, diejenigen, die Asylbewerber-Unterkünfte anzünden, das sind natürlich die Schlechten. Das ist selbstverständlich. Aber alle anderen, da bringt diese Unterscheidung herzlich wenig, aber dazu neigen wir wohl ein bisschen.
    Heinrich: Sie haben es jetzt schon angesprochen. Auch dieser Shitstorm, der jetzt in den sozialen Medien wieder losgegangen ist - am Wochenende die Debatte, wo es mehr Nazis gibt, in Ost- oder in Westdeutschland. Führen wir eigentlich dort ein bisschen Debatten auf Nebenkriegsschauplätzen, weil wir keine echten Antworten haben?
    Münch: Das sind meines Erachtens tatsächlich Nebenkriegsschauplätze. Viel wichtiger ist es, dass tatsächlich diejenigen gefunden werden, die versuchen oder es tatsächlich tun, Asylbewerber, Flüchtlinge zu verängstigen, Unterkünfte anzuzünden oder noch schlimmeres planen. Derer muss man habhaft werden, das muss die Polizei tun, das müssen die Ermittlungsbehörden tun. Und ansonsten muss sich der Rest der Gesellschaft darum kümmern, einerseits die eigenen Vorurteile und die eigenen Ängste abzubauen, aber dazu muss natürlich auch Politik helfen. Auch Politik ist dazu da, Menschen berechtigte oder unberechtigte Ängste zu nehmen, indem man dann auch dazu beiträgt, Flüchtlinge zu integrieren und aber gleichzeitig auch der Bevölkerung in Deutschland so gut wie möglich darüber informiert, warum eigentlich so viele kommen, so viele Flüchtlinge kommen und warum wir gleichzeitig die nicht abwehren können, warum es auch nicht helfen wird, irgendwelche Gesetze zu ändern, sondern was eigentlich getan werden muss, um diejenigen, die hier bleiben können oder müssen, hier zu integrieren.
    Probleme sind auf der Landes- und der kommunalen Ebene
    Heinrich: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Politik darauf die Antworten kennt?
    Münch: Na ja, das ist tatsächlich sehr schwierig. Wir können jetzt nicht so tun, als ob das alles so ganz einfach ist. Die Zahlen sind sehr hoch. Wir haben gleichzeitig nicht das, was wir eigentlich bräuchten, eine europäische Solidarität. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass sehr vieles funktioniert, und was ja ganz interessant ist bei der heutigen Debatte: Wir haben einerseits diese hohen Flüchtlingszahlen, die jetzt angekommen sind in München oder in Bayern. Wir haben aber gleichzeitig zum Beispiel auch die Arbeitsmarkt-Nachrichten bekommen und wir haben heute erfahren, dass wir sehr viele offenen Auszubildendenstellen haben. Wir haben erfahren, dass wir auch da sehr viele Flüchtlinge werden unterbringen können, aber natürlich nicht von heute auf morgen. Die Leute müssen erst mal Deutsch lernen, und zwar gutes Deutsch. Das geht nicht alles hoppla hopp und das wird auch relativ viel Geld kosten. Aber das sind ja im Grunde Nachrichten, sowohl die über die eintreffenden Flüchtlinge als auch über die Arbeitslosenzahlen, die man miteinander in Verbindung bringen kann, und zwar positiv miteinander in Verbindung bringen kann, und da ist die Politik sicherlich schon dran. Das muss noch etwas intensiver werden. Wir haben aber auch das Problem, dass natürlich die Bundespolitik leichter über Sachen redet. Auf der Landesebene, auf der kommunalen Ebene hat man momentan natürlich das Hauptproblem, Flüchtlinge adäquat unterzubringen.
    Heinrich: Die Bereitschaft von vielen, die kommen, die scheint ja schon da zu sein. Diese „Germany, Germany“-Rufe, die wir in Budapest erleben, zeigen ja auch, dass viele Menschen eine absolut positive Grundhaltung gegenüber Deutschland haben. Wie können wir es denn schaffen, diese positive Energie, die die Menschen mitbringen, umzuwandeln in Nutzen bringende, sowohl für die Flüchtlinge wie auch für Deutschland?
    Münch: Wir müssen ja sehen, dass diejenigen, die so eine Flucht auf sich nehmen, gerade aus Syrien, aber auch aus anderen Ländern, dass das ja Leute sind, die etwas in die Hand nehmen können. Die können ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen, die können selber etwas tun, die sind in der Lage, Entscheidungen zu fällen, und zwar in schwierigen Situationen schwierige Entscheidungen zu fällen. Was jetzt ganz schwierig ist, dass wir diese Leute notgedrungen - anders geht es im Augenblick nicht - zunächst mal zu völliger Passivität verurteilen. Wir schicken die in Aufnahmelager, dort müssen die unter Umständen viele Wochen, Monate, unter Umständen auch völlig ohne Tätigkeit, ohne Deutschkurse im Grunde ausharren. Das ist ein Problem, dass wir im Grunde diese positive Energie, von der Sie gerade sprechen, dass wir die jetzt nicht in so einen Ruhestand und womöglich in die Depression abgleiten lassen. Ganz viele Flüchtlinge sind stark für Depressionen anfällig, wenn sie dann nach diesen Wochen und Monaten der Hektik, der Entscheidungen auf einmal zur Passivität gezwungen werden, weil wir sagen, ihr dürft nicht arbeiten und dürft auch nicht Deutsch lernen. Im Grunde müsste man es schaffen, die so schnell wie möglich hier in eine Situation zu bringen, wo sie über ihr Leben wieder weiterhin selbst entscheiden können. Dabei brauchen sie Unterstützung, sei es Sprachkurse, sei es natürlich auch Arbeitsplatzangebote, sobald es geht.
    Ungarn: So kann man in der EU nicht miteinander umgehen
    Heinrich: Jetzt haben wir viel über Deutschland gesprochen. Am Schluss, Frau Münch, die Frage: In den letzten Tagen gab es viel Kritik an der Orbán-Regierung in Budapest: zuerst dieser Grenzzaun, dann gestern der Stopp der Kontrollen am Bahnhof. Sind die Ungarn eigentlich gerade die Bösen in Europa?
    Münch: Die Ungarn sind ein bisschen die Bösen, schlicht und ergreifend deshalb, weil sie sich an die sogenannte Dublin-Verordnung nicht halten. Diese Dublin-Verordnung heißt eigentlich, dass das Land, in dem ein Asylsuchender zum ersten Mal einreist in die Europäische Union, dass dieses Land ihn registrieren muss und dass dieser Flüchtling in diesem Land bleiben muss. Das ist eigentlich der Sinn der Dublin-Verordnung. Diese Regelung überfordert aber gleichzeitig alle Länder, die Außengrenzen haben. Dazu gehört in dem Fall auch Ungarn, Außengrenze Europäische Union. Insofern ist Ungarn tatsächlich auch ein wenig überlastet, das kann man nicht bestreiten, und hat mit aus dem Grund eine gewisse Notleine gezogen. Ein anderes Problem ist gleichzeitig auch - und das ist das Argument der Ungarn -, dass es wohl vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration in Deutschland einen Hinweis gab, dass wir syrische Flüchtlinge nicht in das Erstaufnahmeland, zum Beispiel Österreich oder Ungarn, zurückschicken würden, sondern dass in Deutschland alle syrischen Flüchtlinge auch bleiben könnten. Das war ein missverständliches Signal. Das wurde anscheinend auch falsch interpretiert. Jetzt macht Ungarn Deutschland den Vorwurf, dass wir im Grunde eine falsche Botschaft ausgesendet hätten und dass wir jetzt auch schauen sollen, wie wir mit den vielen syrischen Flüchtlingen fertig werden. So kann man in der Europäischen Union im Jahr 2015 natürlich nicht miteinander umgehen. Das muss schnellstmöglich von beiden Seiten geklärt werden. Anders wird es nicht gehen.
    Heinrich: Das sagt Ursula Münch. Sie ist Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing. Frau Münch, vielen Dank für das Gespräch.
    Münch: Ja bitte, Herr Heinrich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.