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Vom Feindbild zum Forschungsgegenstand

Das Interesse an der Geschichte der Deutschen und Österreicher ist in Kroatien und Bosnien in letzter Zeit deutlich gestiegen. Die zu jugoslawischen Zeiten gepflegten Feinbilder von Unterdrückern und Volksfeinden sind verblasst. Eine Tagung in Sarajevo hat sich nun mit den neuen Forschungsansätzen befasst.

Von Martin Sander | 06.10.2013
    "Die einfache Bevölkerung hier, jedenfalls der größte Teil, bedauert es, dass es zum Attentat kam und Österreich hier nicht länger blieb. Es gab damals einen Aufschwung in allen Bereichen. Es wurde gebaut. Man legte Straßen an, errichtete Eisenbahnstrecken, eröffnete Bergwerke oder Fabriken. Es kamen Unternehmer, und man gründete Schulen."

    Im Zentrum von Sarajevo dominiert die Architektur der Österreicher.

    "Man kann eigentlich sagen, dass Sarajevo in drei Ringen entstanden ist. Es gibt die alte osmanische Stadt, es gibt die österreichisch-ungarische Stadt, und es gibt die Stadt aus der realsozialistischen Zeit. Das kann man bei jedem Besuch sofort wahrnehmen."

    Carl Bethke ist Professor für Geschichte in Tübingen. Gemeinsam mit Historikern aus Kroatien und Bosnien-Herzegowina hat er eine Tagung organisiert, auf der man die Rolle von Österreichern und Deutschen in Kroatien und Bosnien diskutierte.

    "Die Beschäftigung mit den Deutschen in Südosteuropa war etwas einseitig auf die ländlichen Bevölkerungselemente fokussiert aus regelrecht ideologischen Gründen. In den letzten Jahren haben sich die Motivationen ein bisschen gewandelt. Jetzt werden auch sehr stark städtische Milieus fokussiert, bürgerliche Schichten, auch Arbeiter, imperiale Eliten. Und von daher wächst das Interesse an diesen städtischen Gruppen und besonders an ihrem Beitrag zum Transfer von Ideen und Kapital, von Wissen. Und diese Gruppen haben auch in Sarajevo eine beträchtliche Rolle gespielt."

    Auf der Tagung ging es um die Rolle der deutschsprachigen Presse im Bosnien der österreichischen Zeit, ihre politische Orientierung in den zunehmenden Nationalitätenkonflikten, aber auch um ihre Sprache, ein Deutsch, in dem zur Bindung der einheimischen Leser zunehmend slawische Worte, Wendungen oder ganze Absätze eingeflochten wurden. Mehrsprachig waren auch die Koffermenschen. Koffermenschen, so wurden die Zuwanderer genannt, die nach der Okkupation Bosniens durch Österreich-Ungarn 1878 ins Land strömten – Beamte, Ärzte, Architekten, Unternehmer, Eisenbahner. Oft stammten sie aus den slawischen Teilen der Habsburger Monarchie, zum Beispiel aus Tschechien oder Polen.

    Die österreichische Herrschaft zog auch Einwanderer aus Norddeutschland an. Aus Abneigung gegen den Kulturkampf der Bismarck-Ära kamen zum Beispiel Katholiken aus dem Emsland nach Nordbosnien und gründeten dort Kolonien – in einer überwiegend serbisch-orthodoxen Nachbarschaft. Am Ende des Zweiten Weltkriegs setzten Flucht und Vertreibung fast aller Deutschen ein. Das geschah auf Betreiben des Titostaats, doch ohne dass die Siegermächte die abgesegnet hätten – anders als in Polen oder der Tschechoslowakei. Zugleich blieben etliche Jugoslawen deutscher Herkunft im Land, wie der Zagreber Historiker Vladimir Geiger erläutert. Geiger, geboren 1962, beschäftigt sich mit den Deutschen in Kroatien in und nach dem Zweiten Weltkrieg. Für ihn ist es auch Familiengeschichte:
    "Als ich zur Welt kam, gab man mir den typisch slawischen Namen Vladimir. Da lebte mein Urgroßvater noch und erkundigte sich, warum meine Eltern mir keinen Namen von uns geben – Hans oder Sepp. Obwohl meine Vorfahren Deutsche waren, bekannten sie sich während des Zweiten Weltkriegs nicht als Deutsche. Sie hatten sich auch im Königreich Jugoslawien nach 1918 nicht als Deutsche deklariert, obwohl sie Deutsche waren und sich so fühlten, sodass meine engere Familie 1945 keine Probleme hatte, die weiteren Angehörigen aber schon."

    Das Interesse an der Geschichte der Deutschen und Österreicher ist in Kroatien und vor allem in Bosnien in letzter Zeit deutlich gestiegen. Dabei haben die Historiker die Blickrichtung geändert. Die zu jugoslawischen Zeiten gepflegten Feinbilder von Unterdrückern, Volksfeinden und Nazikollaborateuren sind verblasst. Amila Kasumovic von der Universität Sarajevo erläutert:

    "Die Geschichte ist nicht nur weiß oder schwarz. Also müssen wir die Grautöne suchen. Ich denke, das ist die Aufgabe der neuen Generation von Historikern."