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Vor 225 Jahren auf Haiti
Sklavenaufstand gegen die französische Kolonialmacht

Mitte August 1791, zwei Jahre nach dem Sturm auf die Bastille, griffen die Sklaven in Frankreichs reichster Kolonie Saint-Domingue, dem heutigen Haiti, zu den Waffen, um sich ihre Freiheit zu erkämpfen. Nach einem zwölfjährigen blutigen Bürgerkrieg erlangten sie die Unabhängigkeit und gründeten die Republik Haiti.

Von Hans-Christoph Buch | 14.08.2016
    Der Präsidentenpalast in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince und davor das Mahnmal "Negre Marron". Es zeigt einen Schwarzen, der in eine Muschel bläst und den Ruf an alle Brüder seiner Rasse richtet, die sich nicht mehr der Sklaverei unterwerfen wollen.
    Der Präsidentenpalast in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince und davor das Mahnmal "Negre Marron". (dpa)
    Die neuere Geschichte von Haiti beginnt buchstäblich mit einem Paukenschlag. Noch im Sommer 1791 schreibt der Plantagenverwalter La Barre an seine Gattin in Frankreich:
    "Die Freiheit der Neger ist nur eine Chimäre. Selbst wenn man ihnen die für eine Revolution nötige Intelligenz zutraut, haben sie keine Anführer und sind auf hunderte Plantagen verstreut. Du kannst beruhigt sein; wir schlafen bei offenen Türen und Fenstern."
    In der Nacht des 14. August 1791 schart der Voodoo-Priester Boukman in Bois Caiman im Norden Haitis gewaltbereite Sklaven um sich. Als alle versammelt sind, bricht ein Tropengewitter los. Zuckende Blitze beleuchten die schnell ziehenden Wolken, während eine alte Frau zu singen beginnt. Sie dreht sich im Kreis, schwingt ein Buschmesser über dem Kopf. Ein Schwein wird gebracht, und sie sticht das Messer in die Kehle des Tiers. Das dampfende Blut wird in Kürbisschalen aufgefangen, alle trinken davon und schwören, die Kolonialherren zu töten und ihren Besitz zu zerstören.
    "Gott, der die Sonne gemacht hat und uns Licht schenkt / das Meer aufwühlt und den Sturm heulen lässt / der große Gott, hört gut zu, versteckt hinter Wolken / beobachtet er uns und sieht alles, was die Weißen tun / Gott, der es gut meint mit uns, befiehlt Rache / er führt uns die Arme und verhilft uns zum Sieg / werft das Bild des weißen Gottes weg, der durstig ist auf das Wasser eurer Augen / hört auf die Stimme der Freiheit, die in euren Herzen spricht!"
    Die Felder angezündet und die Kolonialherren massakriert
    Dieser "Rütli-Schwur", dem Haiti seine Freiheit und Unabhängigkeit verdankt, ist in die Schulbücher eingegangen, doch Historiker streiten bis heute darüber, wann und wo genau die Voodoo-Zeremonie stattfand und wer der aus Jamaika stammende Boukman war: Ein Moslem vielleicht, der den Koran lesen konnte? Auch in Brasilien wurden Sklavenrevolten von Muslimen angezettelt.
    Boukman kam bei dem Aufstand ums Leben, doch kurz darauf stand die nördliche Ebene in Flammen, das fruchtbarste Land der Kolonie, die halb Europa mit Zucker und Kaffee versorgte. Brennendes Zuckerrohr trudelte vom Himmel, und der Feuerschein soll bis nach Jamaika zu sehen gewesen sein. Die Sklaven zündeten die Felder an und massakrierten die Kolonialherren und deren Familien. Tausende Weiße und Schwarze kamen in den Kämpfen ums Leben. Die Davongekommenen setzten sich nach Kuba ab, während britische Truppen in Port-au-Prince landeten, um dem revolutionären Frankreich seine lukrative Kolonie zu entreißen.
    Unabhängigkeit erst 1804
    Die Bedeutung von Saint-Domingue - wie Haiti im 18. Jahrhundert hieß - war groß. Ludwig XV. hatte nach dem Siebenjährigenkrieg Kanada an England abgetreten, um die Karibikinsel behalten zu können. Der König und der Adel, aber auch bürgerliche Kaufleute, die sich am Sklavenhandel beteiligten, profitierten von ihrem Reichtum: dem Anbau von Luxusgütern wie Zucker und Kaffee für den Export. 80.0 Kolonialherren hielten ein Arbeitsheer von 500.000 Sklaven in Schach, für das ständig Nachschub aus Afrika herangeschafft werden musste. Die "Freunde der Schwarzen", radikale Jakobiner, agitierten lautstark gegen die Unmenschlichkeit der Sklaverei, und es war nur eine Frage der Zeit, bis das Pulverfass explodieren würde. Im Mai 1791 rief der Abgeordnete Robespierre in der Nationalversammlung:
    "Sollen die Kolonien doch untergehen, wenn ihre Erhaltung uns unser Glück, unseren Ruhm, unsere Freiheit kostet! Sollen die Kolonien doch untergehen, wenn die Kolonialherren uns durch Drohungen zwingen wollen, nur das zu beschließen, was ihren Interessen entspricht!"
    Zweieinhalb Jahre später, im Februar 1794, schaffte der Pariser Nationalkonvent die Sklaverei ab und verlieh den Nachkommen aus Afrika verschleppter Sklaven französisches Bürgerrecht. Aber es dauerte noch einmal zehn Jahre, bis die Aufständischen in einem blutigen Guerillakrieg ein von Napoleon entsandtes Invasionsheer vertrieben hatten und im Januar 1804 die Republik Haiti aus der Taufe hoben. Der einzige erfolgreiche Sklavenaufstand der Geschichte, der die Kolonialmächte das Fürchten lehrte: Nach dem Sieg wurden die im Land verbliebenen Franzosen massakriert, und Haiti half Simón Bolívars Befreiungsarmee mit Waffen und Geld. Das heutige Chaos und Elend im Armenhaus Amerikas steht auf einem anderen Blatt.