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Sensation vor 30 Jahren in Grönland
Entdeckung eines Milliarden Jahre alten Meeresbodens

Es war eine Sensation, als im grönländischen Isua vor 30 Jahren die Entdeckung eines 3,8 Milliarden Jahre alten Meeresbodens bekannt geben wurde. Viele sahen darin den Beweis, dass es schon sehr früh auf der Erde Meere gegeben hatte – und damit die Möglichkeit von Leben.

Von Dagmar Röhrlich | 15.11.2021
Ein Mann steht auf dem bislang ältesten bekannten Stück der Erdkruste, das Geologen auf Grönland entdeckt haben. Der Komplex ist Teil einer 3,8 Milliarden Jahre alten Felsformation, wie ein internationales Forscherteam im US-Fachjournal "Science"  berichtet. Die Forscher unter Leitung des norwegischen Geologen Harald Furnes von der Universität Bergen erhoffen sich von ihrer Entdeckung neue Erkenntnisse zur Erdgeschichte. Das Stück Erdkruste habe sich gebildet, als der Meeresboden vor 3,8 Milliarden Jahren aufbrach. Die sogenannte Isua-Felsformation liegt im Südwesten von Grönland.
Die sogenannte Isua-Felsformation liegt im Südwesten von Grönland. Das Stück Erdkruste soll sich gebildet haben, als der Meeresboden vor 3,8 Milliarden Jahren aufbrach. (picture-alliance/ dpa /Science)
Wir sind in Isua, einem einsamen Ort, etwa 50 Minuten mit dem Helikopter von der grönländischen Hauptstadt Nuuk entfernt. Der Himmel ist tiefblau, das Wetter herrlich. In dem weiten Tal tief unter uns schwimmen Eisberge in einem See aus Schmelzwasser. Darüber glänzt der Gletscher in der Sonne. Wo wir stehen, hat der arktische Sommer die kargen Matten mit einem Meer von Blüten überzogen. Doch im Schatten hält sich der Schnee. Auch um einen unscheinbaren Felsen aus dunkelgrauem Gestein.
Dieser Felsen besteht aus sogenannten Kissenlaven, so, wie sie heute vor Hawaii entstehen, wenn im Ozean heißes Magma auf kaltes Meerwasser trifft und darin erstarrt. Eben in dieser typischen Form, die an rundliche Kissen erinnert, beschreibt Peter Appel vom Geologischen Dienst Dänemarks und Grönlands.
“Sie haben eine sehr interessante Struktur, denn sie sind außen von einem dunklen Rand umgeben, der bei der Abkühlung entsteht.“

Bis zu 3.8 Milliarden Jahre alt

Sogar feine Kanälchen, durch die einst die in der Lava eingeschlossenen Gase ausgeströmt sind, lassen sich noch erkennen. So weit, so normal. Doch da ist noch etwas – und das macht dieses Gestein zu etwas ganz Besonderem:
Diese Kissenlaven sind zwischen 3,7 und 3,8 Milliarden Jahre alt – und damit sind sie das älteste bekannte Zeugnis für einen Meeresboden. Als diese Kissenlaven entstanden, war unser Planet gerade 700 Millionen Jahre alt. Setzt man das gesamte Alter der Erde bis heute mit den 24 Stunden eines Tages gleich, wären gerade etwas mehr als drei Stunden vergangen, als auf diesem Meeresgrund Vulkane Lava spuckten. Als ein japanisches Team zusammen mit Peter Appel 1991 auf einer Konferenz der Geologischen Gesellschaft Amerikas die Entdeckung bekannt gab, war das eine Sensation: Die frühe Erde war nicht der heiße, lebensfeindliche Ort, als der sie lange angesehen worden war, erläuterte der Geologe Stephen Moorbath:
Als ich mit meiner Arbeit auf diesem Gebiet anfing, war man der Meinung, dass es auf der Erde zu dieser Zeit kein Wasser gegeben haben könnte. Man ging davon aus, dass so kurz nach der Entstehung die Oberfläche einfach viel zu heiß war. Es war eine ziemliche Überraschung, als diese Gesteine auftauchten, die alle Merkmale aufwiesen, die auf eine Entstehung im Ozean hindeuten.“
Wir sind zurück im Camp und treffen dort John Myers vom Imperial College der Universität von Neufundland in St. John's. Während draußen Mückenschwärme gegen das Zelt trommeln, erläutert der Geologe:
Wir wissen aufgrund der Kissenlaven, dass es vor 3,8 Milliarden Jahren also eine feste Oberfläche und Wasser auf der Erde gab. Der große Unterschied zu heute war, dass das Innere der Erde damals heißer war, aber prinzipiell scheinen die geologischen Prozesse den heutigen ähnlich gewesen zu sein.“

Die Suche geht weiter

Wenn es Wasser gibt, dann stellt sich auch die Frage nach der Existenz von Leben. Hinweise darauf in Isua zu finden, das war und ist die große Hoffnung. Doch die wurde bislang enttäuscht. Ein paar Täler weiter stehen wir erneut vor unscheinbaren Felsen. Und wieder sind sie es nur auf den ersten Blick.
Wenn wir uns diese Felsen im Detail ansehen, sehen wir, dass sich schwarze Felsen mit weißen Felsen abwechseln, fein geschichtet, alles sehr stark gefaltet und verformt. Diese feinen schwarzen Bänder enthalten Kohlenstoff in Form von Graphit. Und dieser Graphit soll nach Meinung einiger Forscher biologischen Ursprungs sein.“
Es stellte sich heraus, dass die Geochemiker sich bei der Interpretation ihrer Daten hatten täuschen lassen. Diese Steine waren im Lauf ihrer bewegten geologischen Geschichte zu stark verändert worden. Es lässt sich nicht sagen, ob der Kohlenstoff im Graphit von Lebewesen stammt oder nicht. Doch erledigt ist das Thema nicht. Die Suche geht weiter. Und vielleicht finden die Wissenschaftler ja eines Tages Spuren, die belegen, dass die Meere damals nicht steril waren, sondern voller Leben.