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Vor 80 Jahren: Massaker der SS in Rumbula bei Riga
Einer der größten Massenmorde des NS-Regimes

Am 30. November und 8. Dezember 1941 erschossen deutsche SS- und Polizei-Einheiten im Wald von Rumbula vor den Toren Rigas mehr als 27.500 Jüdinnen und Juden. Die nach Babyn Jar größte Massen-Erschießung auf Geheiß des NS-Regimes, geriet weithin in Vergessenheit.

Von Otto Langels | 08.12.2021
Mit Namen versehene Gedenksteine im Wald von Rumbula nahe Riga. An dieser Stelle erschossen deutsche Truppen 1941  mehr als 27.000 Jüdinnen und Juden
Mit Namen versehene Gedenksteine im Wald von Rumbula nahe Riga. An dieser Stelle erschossen deutsche Truppen 1941 mehr als 27.000 Jüdinnen und Juden (picture-alliance / Uwe Zucchi)
„Am frühen Morgen, noch vor Sonnenaufgang, wurden Frauen und Kinder gezwungen, auf die Straße zu gehen. Dort standen sie dann in langen Reihen.“
Margers Vestermanis, damals 16 Jahre alt, beobachtete, wie am Morgen des 30. November 1941 die Juden das Ghetto von Riga verlassen mussten. Als einziger aus seiner Familie überlebte er den Holocaust.

Die "Vernichtung der Juden" im besetzten Lettland zum Ziel


Die Räumung des Ghettos ging auf einen Befehl des SS-Chefs Heinrich Himmler zurück, „Platz zu schaffen“ für die anlaufenden Deportationen deutscher Juden in den Osten. Dazu der Historiker Peter Klein:
„Heinrich Himmler erwartete von seinem regionalen Stellvertreter Friedrich Jeckeln, dass er die Vernichtung der Juden im Generalkommissariat Lettland, also im besetzten Lettland, sofort umzusetzen habe. Und dieser Befehl wurde von Jeckeln dann vor Ort ausgeführt.“

Nicht der erste Massenmord dieser SS-Einheiten

Zuvor hatten Jeckeln unterstellte SS- und Polizeieinheiten bereits mehrere Massenmorde verübt, darunter Ende September 1941 das Massaker von Babyn Jar bei Kiew mit über 33.000 Toten an zwei Tagen.

Friedrich Jeckeln fuhr mehrfach in die Umgebung Rigas, um ein geeignetes Gelände für die Erschießungen zu finden und entdeckte ein sandiges, hügeliges Gebiet mit lichtem Baumbestand rund zehn Kilometer von der Stadt entfernt.

„Jeckeln ließ etwa ein halbes Dutzend Gruben anlegen. Sie maßen etwa zehn Meter im Quadrat und waren zweieinhalb bis drei Meter tief. Es wurden Rampen angelegt, damit die Opfer später in die Gruben hineingehen konnten.“

„Vernichtung der Juden“ als vaterländische Pflicht

heißt es in den Akten des Landgerichts Hamburg, das 1973 gegen deutsche Polizisten aus Jeckelns Kommando ermittelte. In einer Vorbesprechung schwor der SS-Führer seine Leute auf die als „Umsiedlung“ getarnte Massenexekution ein und erklärte die Mitwirkung bei der „Vernichtung der Juden“ zur vaterländischen Pflicht.

Um vier Uhr morgens am 30. November begann die Räumung des Ghettos. Bei eisigen Temperaturen marschierten die Menschen, in der Mehrzahl Frauen, Alte und Kinder, zum Wald von Rumbula. Dort mussten sie sich bis auf die Unterwäsche entkleiden. Wie es weiterging, berichten die Gerichtsakten:
„In den Gruben mussten sich die Juden mit dem Gesicht nach unten nebeneinander hinlegen. Aus kurzer Entfernung wurden sie durch Genickschüsse aus russischen Maschinenpistolen getötet. Die nachfolgenden Opfer mussten sich auf die soeben vor ihnen Erschossenen legen.“

Auch aus Berlin deportierte Juden unter den Opfern

Die Erschießungen erfolgten parallel in mehreren Gruben, die meisten Juden gingen widerstandslos in den Tod. Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, wurden die SS- und Gestapo-Männer sofort abgelöst, wenn sie ihre Magazine leer geschossen hatten. Historiker Peter Klein:
„Am 30.11. wurden über 20.000 lettische Juden, genauer gesagt Rigaer Juden, aus dem bereits existierenden Ghetto von Riga in den Wald getrieben und dort den ganzen Tag erschossen. Und hinzu kommen ziemlich genau tausend Berliner Juden, die verhängnisvollerweise an demselben Tag angekommen sind und gleich morgens als die ersten tausend erschossen wurden.“

"Ein Berg aus Stiefeln und Schuhen"

Eine Woche später, am 8. Dezember 1941 folgte die zweite Exekution. Diesmal wurden 8.000 Menschen ermordet. Eine der wenigen Überlebenden war Frida Michelson, damals 35 Jahre alt, die einen Augenblick nutzte, als die Schützen abgelenkt waren:
„Ich werfe mich mit dem Gesicht nach unten zu Boden und bleibe reglos wie tot im Schnee liegen. Ich bleibe stumm und starr wie ein Stein. Gegenstände prasseln auf mich herab. Es sind Schuhe. Bald bin ich von einem Berg aus Stiefeln, Filzstiefeln und Schuhen bedeckt. Die Last ist schwer, aber ich darf mich nicht rühren.“

Wie die SS die Spuren beseitigen wollte

Als im Frühjahr 1944 die Rote Armee auf das Baltikum vorrückte und sich die Wehrmacht zurückzog, versuchte die SS, die Spuren des Verbrechens zu beseitigen, Wie, beschreibt. Historiker Peter Klein:
„Alle Massengräber werden ausgehoben und die Opfer, also die Leichen, werden auf großen Eisenbahnschienen, die zu Rosten zusammengestellt worden sind, verbrannt, und anschließend wurde die Asche noch einmal durch eine Knochenmühle gejagt und anschließend in die Düna geworfen.“

Eine Gedenkstätte gibt es erst seit 2002

Der Hauptverantwortliche für das Massaker, Friedrich Jeckeln, wurde 1946 in Riga von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und öffentlich gehängt.
Rumbula aber geriet weitgehend in Vergessenheit. Zu Sowjetzeiten wuchs buchstäblich Gras über die noch vorhandenen Spuren des Verbrechens. Erst seit 2002 erinnert eine Gedenkstätte an einen der größten Massenmorde des NS-Regimes.