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Nord Stream 2
"Gas wird immer mehr zur politischen Waffe"

Die umstrittene Nord Stream 2-Pipeline ist aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht notwendig - und unrentabel, sagte die Energieexpertin Claudia Kemfert im Dlf. Der Gasbedarf werde seit Jahrzehnten überschätzt. Bei dem Projekt stehe vor allem die politische Dimension im Vordergrund.

Claudia Kemfert im Gespräch mit Martin Zagatta |
Die Leiterin der Abteilung Energie im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert.
"Studien zeigen, dass man den Gasbedarf seit Jahrzehnten überschätzt": Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (imago/Jeske)
Martin Zagatta: Guten Tag, Frau Kemfert!
Claudia Kemfert: Guten Tag, Herr Zagatta, ich grüße Sie!
"Dieses Projekt ist ohnehin zu kritisieren"
Zagatta: Frau Kemfert, wenn der CSU-Europapolitiker Manfred Weber jetzt beteuert, dass er als Chef der EU-Kommission, wenn er es denn wird, alle Rechtsmittel anwenden wird, um Nord Stream 2 doch noch zu verhindern: Kann er das denn überhaupt noch oder ist das schon viel zu spät, um diese Pipeline jetzt noch zu stoppen?
Kemfert: Na, ich halte es für sehr spät, um dieses Projekt noch zu stoppen. Die Genehmigungen sind ja alle erfolgt, das Projekt ist in der Umsetzung, und er wird es aus meiner Sicht nicht komplett stoppen können. Was er machen kann, ist, dass er mehr Auflagen verhängt, dass er noch mehr auch ökonomische Kosten damit verursacht, die für die Pipelinebetreiber dann nicht mehr so attraktiv sind.
Aber mit der Gasrichtlinie hat man sich ja jetzt geeinigt, dass man die Auflagen macht und die Trennung von Betrieb und Leitung auch tatsächlich sicherstellt. Das wird Gazprom in einer gewissen Form umgehen können, also dieses Projekt ist ja ohnehin zu kritisieren, aber aus anderen Gründen, aber aufhalten zum jetzigen Zeitpunkt wird man es nur noch schwer können.
Höhere Hürden für russische Anbieter
Zagatta: Wenn diese Auflage so ist – die EU hat ja so entschieden –, Erzeugung und Vertrieb des Gases dürfen nicht aus einer Hand kommen, Sie sagen, das kann Gazprom leicht umgehen. Inwiefern?
Kemfert: Ja, man wird vermutlich – und das deutete sich schon durch die ersten Äußerungen so an – darauf setzen, dass man hier nur einen bestimmten Abschnitt im europäischen Gewässer wählt, wo man bestimmte Auflagen macht und dann durch eine eigentümerrechtliche Trennung dieses gewährleistet. Das sind so ein paar Kniffe und Tricks, die man hier durchaus anwenden kann.
Was ja schon gleich klar wurde, als diese Gasrichtlinie vereinbart wurde, dass man das Projekt damit nicht stoppen wird. Das hatte ja auch niemand im EU-Parlament dann so vorgesehen, aber grundsätzlich, für zukünftige Projekte, wird es schwerer, gerade für russische Anbieter, hier aufgrund der höheren Wettbewerbsanforderungen im Markt noch so wie bisher tätig zu sein.
"Weber hofft auf Stimmen aus Osteuropa"
Zagatta: Wenn Manfred Weber jetzt dennoch darauf setzt, dass er da mit europäischen Auflagen noch etwas verhindern kann oder derart teuer machen kann, was bringt das dann noch, ist das dann reine Schikane?
Kemfert: Nein, es ist vor allen Dingen Wahlkampf, und so muss man es auch einsetzen oder einordnen, denn hier geht es ja um die EU-Präsidentschaft, und die Kommission soll hier dann auch entsprechend reagieren können. Und vor dem Hintergrund hofft er auf Stimmen aus den osteuropäischen Ländern, die ja hohe Kritik an diesem Projekt haben. Das Projekt ist ja auch zu kritisieren, wir brauchen es aus energiewirtschaftlicher Sicht nicht.
Wir haben ausreichende Transportrouten, der Gasbedarf wird in der Zukunft eher abnehmen, also wir haben uns das ja im Rahmen von Studien sehr genau angeschaut. Aus dem Grund ist dieses Projekt ja auch sehr unrentabel und unnötig, aber dennoch, diese Äußerungen sind doch eher vor dem Hintergrund des Wahlkampfs einzuordnen.
Zagatta: Wenn Sie sagen, man braucht dieses Projekt nicht, man braucht diese neue Pipeline nicht, wieso behauptet dann die Bundesregierung, Nord Stream 2 wird gebraucht, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten?
"Viele Alternativen für Gaslieferungen nach Europa"
Kemfert: Ja, man rechnet wie in der Vergangenheit mit völlig überhöhten Gasbedarfen. Das können wir zeigen in unseren Studien, dass man seit Jahrzehnten den Gasbedarf überschätzt, in Realität ist er sehr viel geringer. Es ist zudem so, dass wir Pipelines haben, die auch nicht vollständig ausgelastet sind. Viele EU-Länder haben Flüssiggas-Terminals gebaut, die auch nicht ausgelastet sind.
Also selbst, wenn jetzt die Lieferungen durch die Ukraine eingeschränkt werden oder sogar ganz aufgegeben werden, kann man über Alternativen auch den europäischen Markt mit Gas versorgen.
Hier hat es auch politische Gründe, seitens der Bundesregierung will man eben gerade mit Russland hier bestimmte Verbindungen knüpfen. Aus energiewirtschaftlicher Sicht ist diese Pipeline nicht notwendig.
"Die politische Dimension mit einkalkulieren"
Zagatta: Da sagt aber der CDU-Europapolitiker Brok ausdrücklich, er schenke der Zusage des russischen Präsidenten Putin, weiterhin Gas auch die Ukraine zu leiten, überhaupt keinen Glauben. Wie ist das in Energiefragen, wie schätzen Sie das ein, wie zuverlässig war da Putin oder ist Putin gewesen in der Vergangenheit?
Kemfert: Wir sehen ja, dass Gas immer mehr zur politischen Waffe wird. Wir haben auch in der Vergangenheit gesehen, dass schon mal der Gashahn zugedreht wurde. Man hat jetzt die geopolitischen Streitigkeiten mit der Ukraine, und Russland hat ein großes Interesse, eben diese Transportrouten zu vermeiden, und deswegen werden diese Alternativen gebaut.
Aber vor dem Hintergrund muss man auch immer eine politische Dimension mit einkalkulieren, wenn man ein solches Projekt bewertet. Und vor dem Hintergrund: Russland ist verlässlich, aber wenn es um geopolitische Streitigkeiten geht, gibt es dann eben noch andere Komponenten, die auch eine Rolle spielen.
"Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen steigt"
Zagatta: Also Sie vertrauen den Zusagen Putins da nicht unbedingt?
Kemfert: Na ja, wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass es schon mal Fälle gab, wo Russland den Gashahn zugedreht hat, aber das würde ich in der jetzigen Situation nicht erwarten. Nur muss man eben alle Entscheidungen auch vor dem Hintergrund bewerten, inwieweit man hier auch andere politische Streitigkeiten hat, die in ein solches Projekt mit hineinkommen.
Zagatta: Macht sich denn Deutschland da von Russland abhängig, wie Kritiker argumentieren, oder wird da nicht auch umgekehrt ein Schuh draus? Die Russen haben ja auch ein Interesse, dass sie ihr Gas nach Europa exportieren können.
Kemfert: Ja, beides ist richtig. Auf der einen Seite erhöhen wir unsere Abhängigkeit von den russischen Gaslieferungen deutlich mit dieser neuen Pipeline. Deswegen ist es ja auch sinnvoller, mehr auf Flüssiggas zu setzen, auch auf den Bau eines Flüssiggas-Terminals, aber wir können auch andere Terminals nutzen dafür. Das ist auf der einen Seite richtig, aber Russland braucht eben auch den europäischen Markt, braucht auch Deutschland zur Sicherung der Einnahmen.
Die russische Wirtschaft ist sehr stark ausgerichtet auf den Export von Ressourcen inklusive Gas, aber auch Öl und Kohle, und wenn diese Einnahmen eher wegfallen, dann gibt es Probleme, und das will Russland ganz sicher vermeiden.
"Trump macht Geopolitik mit der Waffe Gas"
Zagatta: Wenn Sie dafür plädieren, jetzt mehr auf Flüssiggas zu setzen, ist das dann auch ein Plädoyer dafür, Flüssiggas aus den USA zu importieren, also genau das, was Donald Trump da ja so vehement fordert?
Kemfert: Nein, das amerikanische Flüssiggas ist ja nicht nur umweltschädlich, sondern auch vergleichsweise teuer. Es gibt andere Flüssiggaslieferanten – im Übrigen bietet auch Russland selber Flüssiggas an. Wir sind in Europa in der glücklichen Lage, dass wir Gasproduzenten um uns herum haben, auch aus dem nordafrikanischen Raum, Katar ist hier zu nennen. Und da gibt es genügend andere Möglichkeiten.
Der US-amerikanische Präsident betreibt genauso hier Geopolitik mit der Waffe Gas, indem er eben seine eigenen Wirtschaftsinteressen nach vorne bringen will und hier Europa zwingen will, Flüssiggas aus Amerika zu kaufen. Das sind glücklicherweise marktwirtschaftliche Entscheidungen – nicht der Staat kauft Gas, sondern Unternehmen –, und aus dem Grunde ist es eher unwahrscheinlich, dass wir US-amerikanisches Fracking-Gas hier kaufen werden.
Flüssiggas aus den USA keine sinnvolle Alternative
Zagatta: Überrascht mich ein bisschen, dass Sie das so einschätzen, bei Nord Stream 2 zeigt sich ja gerade, dass da Unternehmensentscheidungen vielleicht hintenanstehen, dass die Politik da eine ganz wichtige Rolle spielt. Wird das da mit den USA nicht so ähnlich? Wirtschaftsminister Altmaier könnte man ja, wenn man will, unter Umständen schon so verstehen.
Kemfert: Ja, den Bau der Pipeline, das ist ja auch endlich mal notwendig, dass wir diesen Bau voranbringen, hätten wir uns schon sehr viel früher gewünscht, aber vor dem Hintergrund, gerade in Norddeutschland brauchen wir für die Schiffe Flüssiggas. Insofern ist es sinnvoll, ein Flüssiggas-Terminal zu bauen. Dass da jetzt Unterstützung kommt, ausgerechnet wenn der amerikanische Präsident Druck macht, ist sicherlich kein Zufall, aber es ist nicht so schädlich vor dem Hintergrund, dass wir auch eher langfristig eine Energiewende vor uns haben, dass Flüssiggas zunächst einmal auch gerade für den Schiffsverkehr wichtig ist. Aber der Traum, dass wir jetzt nur Flüssiggas aus Amerika kaufen, das halte ich tatsächlich für illusorisch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.