Freitag, 01. Dezember 2023

Aktienrente
Wie Christian Lindner mit Aktien die Rente sichern will

Kein Geld in der Rentenkasse – also warum nicht mit Aktien das Loch stopfen? So die Idee von Finanzminister Christian Lindner (FDP). Aber wie genau soll das funktionieren? Welche Folgen hätte das für das Rentensystem? Und welche Risiken gibt es?

12.09.2023

    Ein Mann mit hellen Haaren schaut in die Kamera und lacht. Er trägt einen Anzug. Hinter ihm ist ein Monitor auf dem "Generationenkapital" steht. Ees ist Christian Lindner (FDP). Der Bundesfinanzminister nimmt an einer Veranstaltung in Frankfurt teil.
    Warum nicht auch den Staatshaushalt mit Aktien finanzieren? Bundesfinanzminister Christian Lindner setzt zumindest bei der Rente auf den Kapitalmarkt. (picture alliance / dpa / Jörg Carstensen)
    Das deutsche Rentensystem hat ein Finanzierungsproblem. Als Lösung will Bundesfinanzminister Christian Lindner auf den Kapitalmarkt setzen, um die Altersvorsorge abzusichern. Aktien sollen sicherstellen, dass die Rentenbeiträge nicht steigen und gleichzeitig die Renten nicht gekürzt werden müssen. Details zu seinem Plan hatte der FDP-Politiker Mitte Januar 2023 vorgestellt.

    Inhaltsverzeichnis

    Warum ist zu wenig Geld in der Rentenkasse?

    Das deutsche Rentensystem ist umlagefinanziert. Das bedeutet: Erwerbstätige zahlen in die Rentenkasse ein, das einbezahlte Geld wird an die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt. Durch den demografischen Wandel gerät dieses System jedoch in eine Schieflage: Den einzahlenden Erwerbstätigen stehen immer mehr Rentenempfänger gegenüber. Diese Situation könnte sich noch verschärfen, wenn in den kommenden Jahren die geburtenstarke Generation der sogenannten Babyboomer in Rente gehen wird.
    Um dieses Problem zu lösen, müssten entweder der in die Rentenversicherung einfließende Betrag wachsen, etwa durch höhere Beiträge, oder der Abfluss aus der Kasse verringert werden, etwa durch Kürzung der Rentenzahlungen. Weitere Möglichkeiten wären die Verlängerung der Lebensarbeitszeit oder eben eine Änderung des Rentensystems und dessen Finanzierung.
    Die Ampelkoalition will weder die Rente kürzen, noch Rentenbeiträge erhöhen oder die Menschen länger arbeiten lassen. Momentan kann sich die Regierung dies nur leisten, weil jährlich mehr als 100 Milliarden aus dem Staatshaushalt als Zuschuss in die Rentenkasse fließen - fast ein Viertel des Gesamtetats der Regierung und absehbar noch mehr. Mit der Aktienrente will Lindner gegensteuern und eine alternative Finanzierungsmöglichkeit etablieren.

    Wie will Lindner die Rente künftig absichern?

    Bundesfinanzminister Lindner will die Altersvorsorge über den Kapitalmarkt absichern. Dazu soll ein Fonds eingerichtet werden, den der Bund mit Grundkapital füllt. Eine öffentlich-rechtliche Stiftung soll das Geld verwalten und vor allem gewinnbringend anlegen - unter anderem in Aktien. Die Renditen würden der gesetzlichen Rentenversicherung zufließen; mögliche Verluste würde der Bund ausgleichen.
    Laut den Plänen Lindners sollen in einer "Ansparphase" 15 Jahre lang mindestens zehn Milliarden Euro jährlich in den Rentenfonds eingezahlt werden, um einen Kapitalstock in dreistelliger Milliardenhöhe aufzubauen. Erst danach ab 2037 soll die Rendite des Fonds ins Rentensystem fließen. Abschließend geklärt ist dies in der Koalition aber noch nicht. Offen ist unter anderem, woher die jährlich zehn Milliarden Euro für den Kapitalaufbau kommen sollen. Wegen der sogenannten Schuldenbremse dürfte eine Finanzierung aus dem Staatshaushalt kaum möglich sein.
    Für die jährlichen Zahlungen sollen deshalb Darlehen aufgenommen werden, für die dann aber Zinsen fällig würden. Das heißt, die Stiftung, die mit dem Generationenkapital an der Börse spekuliert, müsste nicht nur das Geld zur Deckelung der Rentenbeiträge erwirtschaften, sondern auch genügend Rendite, um zusätzlich die Darlehnszinsen begleichen zu können – sonst müsste die Bundesregierung wieder Geld zuschießen.
    Damit das Generationenkapital nicht durch die Politik beeinflusst wird, soll das Geld von einer unabhängigen Stelle verwaltet werden. Bisher ist bekannt, dass der Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung (KENFO) dabei unterstützen soll. Dieser besteht seit 2017 und soll durch seine Investitionen die Zwischen- und Endlagerung des radioaktiven Abfalls aus Deutschland finanziell sicherstellen.

    Welche Risiken gibt es?

    Wie immer gibt es ein Risiko, wenn es um Aktien geht. Denn das Geld aus dem Generationenkapital soll Rendite abwerfen. Doch gilt an der Börse, je größer die Renditeerwartung, umso größer das einzugehende Risiko.
    Und dann gibt es immer auch noch die Gefahr von Aktienkrisen, bei denen die Kurse fallen und angelegtes Kapital – zum Teil erheblich – an Wert verliert. Zuletzt erlebten die Börsen 2008 die Finanzkrise, bei dem Banken pleitegingen oder gestützt werden mussten sowie sich Staaten hoch verschuldet mussten. Und nur acht Jahre zuvor sorgte die sogenannte Dotcom-Blase für den Einbruch der Aktien und einer Pleitewelle in der New Economy.
    Auf lange Sicht sind Aktien aber recht stabil in den Erträgen - wenn man Zeit hat, diese über viele Jahre liegen zu lassen. Im Schnitt erwirtschafte Aktienanlagen, die breit gestreut sind sechs bis acht Prozent Rendite im Jahr. Finanzminister Lindner setzt indes tiefer an und geht von "mehr als drei, vier Prozent Rendite" aus.

    Kann die Aktienrente niedrigere Renten und höhere Beiträge verhindern?

    Wenn lediglich einmal zehn Milliarden Euro am Aktienmarkt anlegt würden, würde das selbst bei äußerst optimistischen Superrenditen von acht Prozent nach 15 Jahren gerade einmal zu einer Senkung des Rentenbeitrag um 0,1 Prozent beitragen. Deshalb will Lindner auch nicht einmalig investieren, sondern zehn Milliarden Euro pro Jahr. Doch selbst dann könnte der Beitragssatz nach 15 Jahren um lediglich einen Prozentpunkt verringert werden. Wenn man sich zudem zur Finanzierung des Generationenkapitals noch Geld am Kapitalmarkt leihen müsste, auf das ja Zinsen gezahlt werden müssen, dürfte das Absenkpotenzial noch geringer ausfallen.

    Was denken die anderen Ampelparteien über die Pläne?

    Die Rentenversicherung teilweise durch Kapitaldeckung abzusichern, war ein Anliegen der FDP für die Regierungskoalition mit SPD und Grünen und steht so im Koalitionsvertrag. Doch Rentenpolitik gehört eigentlich zu dem von Hubertus Heil (SPD) geführten Arbeitsministerium. In ein von Heil angekündigtes zweites Rentenpaket soll auch der Vorschlag zum Generationenkapital einfließen. Ein konkretes Konzept liegt bisher aber nicht vor.
    Skepsis gegenüber Lindners Aktienrente hegen unter anderem die Grünen. Sie befürchten zum einen, dass der Kapitalstock kaum zur Schließung der Rentenlücke ausreichen wird. Unmut erregte zudem eine Äußerung von Lindner, wonach er sich vorstellen könne, auch Rentenbeiträge am Aktienmarkt zu investieren. Der ehemalige Vorsitzende der Gewerkschaft Verdi und jetzige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Frank Bsirske, bezeichnet es als „gefährlich“, mit den Rentenbeiträgen zu spekulieren.

    Welche Kritik gibt es am Plan Lindners?

    Kritik kommt aus den Reihen der Links-Partei, der Sozialverbände und der Gewerkschaften, aber auch von Wirtschaftsfachleuten. So wies etwa die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier, auf die Unsicherheit des Kapitalmarkts hin.
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) äußert scharfe Kritik an den Gedankenspielen Lindners, für die geplante Aktienrente später auch Geld aus den Rentenbeiträgen investieren zu wollen. Für den Fall, dass dies tatsächlich geschehen sollte, kündigte Anja Piel vom DGB-Vorstand „erbitterten Widerstand aller Gewerkschaften“ an.
    Nach Einschätzung des Wirtschaftsweisen Martin Werding würde das Generationenkapital keinen substanziellen Beitrag zur Entlastung der Rentenkassen liefern. Mit einem möglichen Ertrag von zehn Milliarden Euro könne man den Beitragssatz zur Rente ab 2035 um 0,5 Prozentpunkte senken, sagte der Wissenschaftler von der Universität Bochum der „Frankfurter Rundschau“.
    Die Linke ist komplett gegen die Aktienrente und fordert stattdessen, dass alle Erwerbstätigen – auch Selbstständige und Beamte – in die gesetzliche Rentenkasse einzahlen sollten. Die CDU lehnt die Pläne der Ampel ebenfalls ab und warnt vor Hedgefonds-Methoden.
    Das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln kritisiert, dass beispielsweise nicht gesichert sei, dass zukünftige Regierungen das Geld des Generationenkapitals wie geplant ausschließlich dazu nutzen werden, um die Rentenbeiträge stabil zu halten, sondern etwa auch zur Finanzierung der Rente.
    Der Ökonom Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bezeichnete den Plan für eine Aktienrente als "gut gemeinten Versuch", da es ökonomisch sinnvoll sei, "dass der Staat dort mitdenkt und für die Menschen besser vorsorgt". Doch das eingeplante Kapital reiche nicht aus, um die Renten künftig spürbar zu erhöhen. "Das ist eher Kosmetik", kritisierte Fratzscher. Der eigentliche Schlüssel für gute Renten liege in besseren Arbeitseinkommen, die den Menschen auch ermöglichten, selbst zu sparen.

    Sandra Pfister, dpa, rzr, ikl