Mittwoch, 15. Mai 2024

Generationenkapital
Wie die Bundesregierung mit Aktien die Rente sichern will

Das Finanzierungsloch in der Rentenkasse mit Aktiengewinnen stopfen? Auf dieses Konzept einigten sich FDP-Finanzminister Lindner und SPD-Arbeitsminister Hubertus Heil noch im März. Wie genau soll das funktionieren? Und warum blockiert Lindner es nun?

11.05.2024
    Christian Lindner (FDP, l), Bundesminister der Finanzen, spricht neben Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, bei einem Pressestatement zum geplanten Rentenpaket II.
    Das Generationenkapital oder auch die Aktienrente sind ein wesentlicher Teil des Rentenpakets II. Finanzminister Christian Lindner und Arbeitsminister Hubertus Heil haben sich weitgehend geräuschlos geeinigt. (picture alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Das deutsche Rentensystem hat ein Finanzierungsproblem. Um die Altersvorsorge abzusichern, wollen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auch auf den Kapitalmarkt setzen. Im März 2024 einigten sich die beiden Politiker auf das von Lindner präsentierte Konzept. Der Ansatz: Aktiengewinne sollen sicherstellen, dass die Erhöhung der Rentenbeiträge gedämpft wird und die Renten zugleich nicht gekürzt werden müssen.
    Es ist allerdings unklar, wie es mit dem Projekt  weitergeht. Denn Lindner blockierte Anfang Mai den Kabinettsbeschluss des Vorhabens. Auch die FDP-Fraktion im Bundestag kündigte an, dem Gesetz in seiner aktuellen Form nicht zuzustimmen. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach aber: Das Gesetz solle noch im Mai durchs Bundeskabinett.

    Inhaltsverzeichnis

    Warum ist zu wenig Geld in der Rentenkasse?

    Das deutsche Rentensystem ist umlagefinanziert. Das bedeutet: Erwerbstätige zahlen in die Rentenkasse ein, das einbezahlte Geld wird an die Rentnerinnen und Rentner ausgezahlt. Durch den demografischen Wandel gerät dieses System jedoch in eine Schieflage: Den einzahlenden Erwerbstätigen stehen immer mehr Rentenempfänger gegenüber. Diese Situation könnte sich noch verschärfen, wenn in den kommenden Jahren die geburtenstarke Generation der sogenannten Babyboomer in Rente gehen wird.
    Um dieses Problem zu lösen, müssten entweder der in die Rentenversicherung einfließende Betrag wachsen, etwa durch höhere Beiträge, oder der Abfluss aus der Kasse verringert werden, etwa durch Kürzungen bei den Rentenzahlungen. Weitere Möglichkeiten wären die Verlängerung der Lebensarbeitszeit oder eine Änderung des Rentensystems und dessen Finanzierung.
    Die Ampelkoalition will weder die Renten kürzen noch Rentenbeiträge erhöhen oder die Menschen länger arbeiten lassen. Momentan kann sich die Regierung dies nur leisten, weil jährlich mehr als 100 Milliarden aus dem Staatshaushalt als Zuschuss in die Rentenkasse fließen - fast ein Viertel des Gesamtetats der Regierung und absehbar noch mehr. Mit der Aktienrente - von der Ampel auch Generationenkapital genannt - will die Regierung gegensteuern und eine alternative Finanzierungsmöglichkeit etablieren. Die Aktienrente ist wesentlicher Teil des Rentenpakets II.

    Wie funktioniert das Generationenkapital?

    Mit dem aktienbasierten "Generationenkapital" soll die gesetzliche Rente künftig eine weitere Finanzierungssäule neben Beiträgen und Zuschüssen aus Steuergeld bekommen. Dafür sollen jährlich Milliardenbeiträge in einen Fonds eingezahlt werden. 2024 sollen es zwölf Milliarden Euro sein, bis 2028 soll der Betrag schrittweise weiter ansteigen.
    Für die Darlehen nimmt der Bund neue Schulden auf. Sie werden nicht auf die Schuldenbremse angerechnet, die den Kreditrahmen des Bundes einschränkt. Hinzu kommen 15 Milliarden Euro, die der Bund bis 2028 aus eigenen Mitteln - etwa durch Übertragung von Vermögenswerten wie Unternehmensbeteiligungen - beisteuern will.
    Bis 2035 soll ein Kapitalstock von mindestens 200 Milliarden Euro über Anlagen an den Finanzmärkten Renditen abwerfen, die dann an die Rentenversicherung fließen und so den Anstieg des Beitragssatzes dämpfen sollen. Ab 2036 sollen jährlich zehn Milliarden Euro erwirtschaftet werden. Auf lange Sicht will die Regierung ein Rentenniveau von 48 Prozent des Durchschnittlohns garantieren.
    Die Regierung will dazu eine "Stiftung Generationenkapital" einrichten, die von einem Vorstand und einem Kuratorium geführt wird. Bei der Vorstellung des Konzepts sagte Finanzminister Lindner: "Es ist überfällig, dass wir die Chancen des Kapitalmarkts auch für die gesetzliche Rentenversicherung nutzen."

    Welche Risiken gibt es?

    Wie immer gibt es auch Risiken, wenn es um Aktien geht, denn diese können auch an Wert verlieren. An der Börse gilt: Je größer die Renditeerwartung, umso größer das einzugehende Risiko. Und dann gibt es auch noch die Gefahr von größeren Krisen, bei denen die Kurse stark fallen. Zuletzt erlebten die Börsen 2008 eine Finanzkrise, bei der Banken pleitegingen oder gestützt werden mussten. Nur acht Jahre zuvor sorgte die sogenannte Dotcom-Blase für einen Einbruch am Aktienmarkt und eine Pleitewelle in der New Economy.
    Auf lange Sicht sind Aktien aber recht stabil in den Erträgen - wenn man Zeit hat, diese über viele Jahre liegen zu lassen. Im Schnitt erwirtschaften Aktienanlagen, die breit gestreut sind, sechs bis acht Prozent Rendite im Jahr. Finanzminister Lindner setzt indes tiefer an und geht von "mehr als drei, vier Prozent Rendite" aus.
    Laut Arbeitsminister Heil sind auch Vorsorgemaßnahmen für den Fall getroffen worden, dass "uns der Himmel auf den Kopf fällt" - zum Beispiel bei einem Zusammenbruch der Finanzmärkte. Ins Detail ging Heil aber nicht.

    Kann das Generationenkapital niedrigere Renten und höhere Beiträge verhindern?

    Die Bundesregierung will ein Absinken des Rentenniveaus in der gesetzlichen Altersvorsorge auch künftig vermeiden. "Das werden wir verhindern", sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD). "Es wird keine Rentenkürzungen und keine Erhöhung des Renteneintrittsalters geben."
    Die Entlastungswirkung der Aktienrente darf insgesamt aber als bescheiden beschrieben werden. Denn zur Finanzierung des Generationenkapitals soll Geld am Kapitalmarkt geliehen werden, auf das Zinsen gezahlt werden müssen. Finanzminister Lindner betont jedoch, dass die Zinsen des Staates für Anleihen deutlich unter den zu erwartenden Renditen an den internationalen Kapitalmärkten liegen.
    Nach Abzug der Finanzierungskosten soll das Generationenkapital langfristig zehn Milliarden einbringen, um damit die Beitragsentwicklung abzufedern - so lange die Finanzmärkte mitspielen. Ansonsten wären wieder die Beitrags- oder Steuerzahler gefragt, um das versprochene Rentenniveau zu sichern.
    Der Beitrag zur gesetzlichen Rente wird allerdings auch mit der Aktienrente weiter steigen - nach Prognosen von jetzt 18,6 Prozent auf 22,3 Prozent im Jahr 2035.

    Warum blockiert Lindner das Vorhaben nun?

    SPD, Grüne und FDP hatten sich zunächst weitestgehend geräuschlos geeinigt. Doch aus den Reihen der FDP kommen bereits seit Längerem Nachbesserungs-Forderungen. Bundesfinanzminister Lindner (FDP) verhinderte dann, dass das Vorhaben am 8. Mai im Kabinett beschlossen wurde. Laut Medienberichten wegen nicht eingehaltener Sparvorgaben mehrerer Bundesministerien für den Haushalt 2025.
    Auch die Bundestagsfraktion der FDP kündigte an, dem Gesetz nur mit Veränderungen zuzustimmen. Sie will, dass die Rentenbeiträge ab 2028 weniger stark ansteigen und die Aktienrente ausgeweitet wird.
    Der Koalitionspartner SPD zumindest teilt diese Sicht nicht. Die rentenpolitische Sprecherin des SPD-Bundestagsfraktion, Tanja Machalet, betonte im Deutschlandfunk: Für die Sozialdemokraten gebe es "keinen Änderungsbedarf". Bundeskanzler Olaf Scholz sicherte indes zu: Das Gesetz komme noch im Mai.
    Für die FDP ist die gesetzliche Aktienrente nur der Anfang. Christian Lindner plant, in diesem Jahr auch die betriebliche und die private Altersvorsorge neu zu ordnen. Hier soll es deutlich mehr Beteiligungsmöglichkeiten am Kapitalmarkt geben - mit höheren Renditen und damit auch deutlich mehr Risiko.

    Welche Kritik gibt es an den Plänen?

    In der CDU werden die Pläne für die Aktienrente sehr kritisch gesehen. CDU-Parteivize Karl-Josef Laumann rief die Ampel-Koalition dazu auf, ihr Rentenpaket zu verwerfen. Es brauche eine „vernünftige, langfristige und mittelfristige Perspektive für die Rentenversicherung", sagte er nach der Drohung der FDP-Fraktion, dem Gesetz nicht zuzustimmen.

    Anderen in der Partei gehen die Pläne für die Aktienrente nicht weit genug. Es wird von einem „„Scheinriesen“ gesprochen, weil die Erträge von zehn Milliarden angesichts der prognostizierten Ausgaben als unbedeutend angesehen werden.
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn sagte im Deutschlandfunk, das generelle Problem am jetzigen Ansatz sei, dass Schulden aufgenommen und dafür Zinsen gezahlt werden müssten. Dadurch gleiche der Kapitalmarkt-Gewinn, der für die Stabilisierung der Rentenbeiträge verwendet werde, „nicht ansatzweise die Beitragssteigerung durch das höhere Rentenniveau aus“.
    Die Linkspartei ist komplett gegen Anlagen auf dem Kapitalmarkt. Es sei unanständig, mit Steuergeld zu spekulieren. Und die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht spricht von einer "Casino-Rente". Die Bundesregierung zocke mit der Alterssicherung der Bürger. Sie fordert eine Volksabstimmung über die Rente.
    Der Sozialverband VdK äußerte sich dagegen positiv über die Pläne zur Stabilisierung des Rentenniveaus. Ziel müsse es aber sein, das Niveau wieder anzuheben, sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele im Deutschlandfunk. Mit Blick auf das Generationenkapital äußerte sie sich skeptisch: „Da fehlen mir noch ganz viele Aussagen und Regeln, um zu wissen, was da auf uns zukommt.“ Dazu zähle die Frage, wie man verhindern wolle, dass nicht auf Kosten sozialer Bereiche oder der Umwelt spekuliert werde.
    Auch die Deutsche Rentenversicherung hat skeptisch auf die Pläne für das Generationenkapital reagiert und will Risiken für Beitragszahler und Beitragszahlerinnen ausgeschlossen wissen. Für das Generationenkapital dürften keine Beitragsmittel verwendet werden, forderte die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach.
    rzr, ikl, nm, abr