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100. Geburtstag des Karikaturisten
Paul Flora - Meister der Feder von übermütiger Schwermut

Er konnte mit schwarzer Tusche blendend weißen Schnee aufs Blatt bringen, sagte ein Freund über Paul Flora. Der heute vor 100 Jahren geborene Zeichner begleitete mit feiner - wie scharfer Feder die Zeitläufte. Und erzählte noch lieber zartbitterböse Geschichten.

Von Andrea Westhoff | 29.06.2022
Der österreichische Maler, Zeichner, Grafiker, Illustrator, Karikaturist und Schriftsteller Paul Flora  in einer Aufnahme von 1990
Der Grafiker, Illustrator und Karikaturist Paul Flora im Jahr 1990 (imago stock&people)
„Auf einem Baum zwei Raben stolz / Die war'n so schwarz wie Ebenholz“
Raben waren so etwas wie das Markenzeichen Paul Floras. Sie seien „tief, düster, und es umgibt sie eine Aura des Unglücks und der Weisheit.“
Zugleich hat er die tiefere Bedeutung dieses Motivs in seinen Zeichnungen bestritten: "Ein weißes Blatt, ein schwarzes, intelligentes Tier, das ist doch eine ideale Kombination. Mit denen hat es nichts Geheimnisvolles auf sich.“
Aber nicht nur bei den Raben – Paul Flora hat stets alle Mutmaßungen über eine „Botschaft“ in seiner Kunst zurückgewiesen: „Ich will mit meinen Bildern wirklich nix provozieren. Ich habe auch keine Botschaft. Kunst ist eine Verzierung des Lebens, und wenn man irgendwas macht, was richtig ist und was gut ist und was vielleicht Leute unterhält oder Leute amüsiert oder was immer, dann bewirkt man etwas.“

Kugelrunde Bürgersleute - und immer wieder Raben

Das ist Paul Flora zweifellos gelungen: Er wurde am 29. Juni 1922 in Glurns geboren, der kleinsten Stadt in den Südtiroler Alpen. Fünf Jahre später zog die Familie mit ihren insgesamt sieben Kindern nach Innsbruck. Dort fiel das zeichnerische Talent von Paul Flora schon früh auf. 1942 bekam er einen Studienplatz an der Akademie der Bildenden Künste in München, wurde aber 1944 doch noch als Soldat eingezogen. „Als der totale Krieg auch auf mich angewiesen war“ - bemerkte er dazu sarkastisch.
1945 hatte Paul Flora seine erste Einzelausstellung in Bern. Seine Bilder sind meist schwarz-weiß, vor allem mit Tusche und Feder ließ er in ganz feinen Strichen und Schraffierungen seinen skurrilen Figurenkosmos entstehen: Geister, Gaukler, Marionetten, kugelrunde oder spindeldürre Bürgersleute. Er zeichnete auch „seine“ urigen Tiroler, Häuser, stets in leichter Schieflage, wundersame Fluggeräte – und immer wieder Raben. Oder: Venedig:
"Venedig ist erstens schön, wie jedermann weiß, Venedig ist romantisch und alles Mögliche, und Venedig ist, ich muss es immer wieder sagen, der einzige Ort auf der Welt, der immer gleich bleibt und wo man nie zu spät hinkommt.“

Der Mensch war für Paul Flora "Ein Irrläufer der Evolution"

Mit seiner schwarz-weißen Schraffur-Technik, die alles wie unter einem Schleier erscheinen lässt, fing er besonders gut den morbiden Charme der Lagunenstadt ein. Ratten und Pestdoktoren mit ihren Schnabelmasken taten ein Übriges.
Der Grundton in Paul Floras Kunst war immer ein bisschen melancholisch, sein Menschenbild eher düster: „Ich hab ja immer die Meinung gehabt, dass der Mensch ein Irrläufer der Evolution ist, also das ist keineswegs die Krone der Schöpfung, es gibt ja kein Geschöpf auf der Welt, das so dumm und so boshaft und so irgendwas ist wie der Mensch“, sagte er angesichts der Jugoslawienkriege 1992.

Zweifel an politischer Macht der Karikatur

Paul Flora war durchaus ein politischer Mensch. Von 1957 bis ‘71 arbeitete er als Karikaturist für die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ und fertigte rund 3.000 Zeichnungen an, die häufig von internationalen Blättern wie der „Times“ übernommen wurden. Aber als „politischer Zeichner“ wollte er nicht gesehen werden. „Ich glaub überhaupt net, dass eine politische Karikatur heut' irgendeine Wirkung haben kann. Politisches Wirken oder ‚alle Kunst ist politisch‘ (…) halt ich persönlich für einen Unsinn.“
Einen „Bilderschriftsteller“ nannte ihn Erich Kästner einmal treffend. Flora selbst betrachtete sich hingegen, „als einen Erzähler, der aber halt Geschichten aufzeichnet statt sie aufschreibt, im Grunde sind‘s ja Geschichten.“

Paul Flora als Schriftsteller

Seine literarische Ader zeigte sich an den Titeln seiner Bildbände: „Flora´s Fauna“ , „Trauerflora“, "Als der Großvater auf die Großmutter schoß“. Und gelegentlich hat Paul Flora tatsächlich Texte geschrieben: „I tät ja ganz gern öfters schreiben, aber das ist so wahnsinnig anstrengend. Zeichnen ist viel, viel leichter.“
Bis zu seinem Tod 2009 hat Paul Flora unermüdlich gezeichnet. Es gibt fast 150 von ihm illustrierte Bücher und Bildbände und eine riesige Zahl an Einzelblättern. Eine seiner letzten Arbeiten nannte er "Das Gespräch der Raben". Die Zeichnung – zwei dieser schwarzen Vögel auf einer Stange sitzend, die Köpfe einander zugewandt – findet sich auch auf Paul Floras Grabstein in Glurns.