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Pop-Art-Pionier
Zum 100. Geburtstag von Richard Hamilton

Der britische Künstler Richard Hamilton gilt als Vater der Pop-Art, denn er benutzte früh die bunten Bilder des Massenkonsums und der Werbung. Sein heute berühmtestes Werk aber ist farblos: Er gestaltete das Weiße Album der Beatles. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.

Der britische Maler und Grafiker Richard Hamilton vor seinem Werk "Lobby" 2008 in der Kunsthalle Bielefeld
Der britische Maler und Grafiker Richard Hamilton vor seinem Werk "Lobby" 2008 in der Kunsthalle Bielefeld (imago stock&people)
"What is it, that makes today’s Homes so different, so appealing?“ - „Was ist es nur, dass unser Zuhause heutzutage so anders macht, so anziehend?“
Richard Hamiltons Collage mit diesem ironischen Titel ist ein kleines, unscheinbares Blatt, doch es gilt heute als erstes Werk der Pop-Art. Eine Papierarbeit, die Ausschnitte aus Zeitschriften und Zeitungen kombiniert, 25 mal 26 Zentimeter groß und heute zu Hause in der Kunsthalle Tübingen. Zu sehen ist eine merkwürdig zusammengebastelte Wohnung samt ebenso merkwürdigen Bewohnern. Dazu der Kunsthistoriker Klaus Honnef:
"Im Zentrum so eine Bodybuilderfigur, ich glaube, es ist sogar Mike Haggarty, der war damals sehr berühmt, der hält einen Lolli, der sieht aus wie ein Tennisschläger. Rechter Hand von ihm räkelt sich auf dem Sofa etwas ungelenk eine nackte Schönheit. Vor ihm steht ein sehr modernes Tonbandgerät. Im Hintergrund sind die Wände tapeziert mit Plakaten, ein Comic, ein Kinoplakat. Das heißt, Sie haben das ganze Repertoire der Moderne, die zu ihrem technischen und vor allen Dingen kulturellen Gipfel kommt, in diesem Bild versammelt.“

Entlarvender Blick auf eine Welt voller Waren und innerer Leere

Nicht nur eine ganze Produktwelt vom Staubsauger bis zum Dosenschinken und dem Auto wird hier ausgebreitet – auch die eigene Leistungsfähigkeit, Fit- und -Sexyness. Er ist eine muskelbepackte Sportskanone, sie stellt sich auf dem Sofa aus zwischen Espressotasse und einer sonnig strahlenden Frau im Fernseher. Die Produkte in der Collage sind bunt, die Menschen bleiben farblos, schwarz-weiß. Ein billiges Leben mit teuren Produkten, zusammengeklebt aus dem Katalog, voller Waren und innerer Leere. Klaus Honnef liest das Bild so:
"Der sehr sorgfältig entworfene Raum steht zu dem Personal, und was man sonst sieht, in völligem Gegensatz. Das ist alles gleichsam Flachware, und vor allen Dingen am flachsten ist der Bodybuilder im Zentrum. Das Ganze war eine Frühform der Pop-Art, eine Gesellschaftskritik auf visuelle Art, eine Persiflage.“

 Wie Hamilton Hoch- und Pop-Kultur zugleich desavouierte

Die bunten Bilder der Popkultur, der Neonreklamen und Werbeplakate, transportiert Richard Hamilton in dieser kleinen Collage in die Hochkultur und stellt damit beide bloß, den inhaltsleeren, konsumorientierten Pop und die verkrampfte, sakrosankte Kunsttradition, die sich allzu ernst nimmt. Geboren ist die Popkultur und ihr Name steht mitten in der Collage auf dem Lolli, den der Bodybuilder unterm Arm trägt: Pop. Für Klaus Honnef geht es hier einerseits um Konsum:
"Aber es geht andererseits auch um eine Brücke zwischen den Ansprüchen der Fine Arts und der kommerziellen Kunst, der Unterhaltungskunst, dem Entertainment. Als Kunstinteressierter begegnete man der Kunst mit einer gewissen Ehrfurchtshaltung. Kunst galt als etwas, was die Welt nicht war, das Bessere.“

So beeinflusste Hamilton die Popkultur unmittelbar

Richard Hamilton fand, Kunst könne auch alles Mögliche andere sein und auch sehr alltäglich. So wurde er der Vater der Pop-Art, geboren in London, der späteren Hauptstadt des Pop, am 24. Februar 1922. Seine kleine Collage inspirierte viele, auch Andy Warhol. Dabei blieb Hamilton selbst stets wenig bekannt. Er war der neugierige Pionier, einer der ersten, die Bilder mit dem Computer machten, den Ruhm sammelten andere ein. Dabei beeinflusste Richard Hamilton die Popkultur auch ganz direkt, Roxy Music-Gründer Bryan Ferry studierte bei ihm und die Beatles baten ihn um ein Design für ihr Album, das deshalb das „Weiße“ heißt, weil Richard Hamilton die überraschendste und wiedererkennbarste Gestaltung dafür fand, nämlich keine. Das Cover blieb weiß, allein der Bandname wurde in die Hülle geprägt. The Beatles! Klaus Honnef:

„Er war in der Lage, Kunstwerke zu schaffen auf allen Gebieten, dessen, was man seit der Renaissance kannte, und eben sehr neue. Er war ein richtiger Motor, wirklich ein Veränderer. Ich bin sogar der Meinung, dass er immer noch wirksam ist. Das heißt, dass seine Bedeutung immer noch im Steigen begriffen ist.“