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Vor 100 Jahren geboren
Wladyslaw Bartoszewski – ein unermüdlicher Versöhner

Heinrich Böll nannte ihn einen, "leidenschaftlichen Polen, Katholiken und Humanisten": Als Historiker, Publizist und Außenminister verschrieb sich Władysław Bartoszewski zeitlebens der Aussöhnung von Polen und Deutschen. Heute vor 100 Jahren wurde der Auschwitz-Überlebende in Warschau geboren.

Von Doris Liebermann | 19.02.2022
Wladyslaw Bartoszewski 2015 vor dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal bei einer Gedenkfeier zum 72. Jahrestag des Warschauer Aufstands
Wladyslaw Bartoszewski 2015 vor dem Warschauer Ghetto-Ehrenmal bei einer Gedenkfeier zum 72. Jahrestag des Warschauer Aufstands (picture alliance/ dpa/ Jakub Kaminski)
"Ich habe als Kind gelebt als nationale und religiöse Minderheit. Ringsum waren nur die Juden. Das waren meist die armen, in der Mehrheit gläubige Juden, oft sogenannte Kaftan-Juden, die auch nur unter sich gelebt haben und die Gojims, die seltenen Ausnahmen in dem Stadtteil waren, waren völlig fremde Leute. Das hat für mich eine ganz andere Perspektive geschaffen.“
So schilderte der polnische Historiker, Publizist und Politiker Władysław Bartoszewski seine Kindheit in Warschau vor dem Zweiten Weltkrieg. Sein Vater, ein Bankbeamter, hatte eine Dienstwohnung am Rande des jüdischen Viertels bekommen:
Also wenn ich zum Beispiel die alten Bilder von Vishniak schaue, oder alle anderen alte Fotos des jüdischen Lebens in Osteuropa, sehe ich plötzlich meine Kindheit, also mir vertraute Bilder.“

Geehrt als "Gerechter unter den Völkern"

Władysław Bartoszewski war eine moralische Instanz in Polen, war Ehrenbürger des Staates Israel und ein „Gerechter unter den Völkern“, ein Brückenbauer zwischen Ost und West und einer der bedeutendsten Vordenker der deutsch-polnischen Verständigung.
Geboren am 19. Februar 1922 in Warschau, wuchs er in einer liberalen katholischen Familie auf und besuchte ein katholisches Gymnasium. Dort lernte er Deutsch. Nach Hitlers Überfall auf Polen wurde Bartoszewsi 1940 bei einer Massenrazzia von SS und Polizeitruppen aufgegriffen – und erlebte Grausamkeiten, die tiefe Spuren in seinem Leben hinterließen:
"Ich war also nach Auschwitz gebracht, wo ich die Häftlingsnummer 4427 gehabt habe, und ich war in der Gruppe der damals leidenden polnischen Christen, meistens Katholiken, zusammen mit ihnen in diesem Konzentrationslager gewesen."
"Nicht nur das, dass ich selbst geprügelt war, aber dass die anderen Leute, ehrwürdige Leute, Priester, Lehrer, geprügelt waren oder erniedrigt waren oder getötet waren in meiner Anwesenheit, das war für mich eine ganz neue Problematik. Meine Welt hat sich gefunden in der Auflösung, das war ein Erdbeben in meinem damaligen Leben."

Nach der Befreiung aus Auschwitz im Warschauer Aufstand gekämpft

Schwer krank kommt Bartoszewski im Frühjahr 1941 durch Intervention des polnischen Roten Kreuzes frei. Er wurde Mitglied der Armia Krajowa, der Heimatarmee und studierte Polonistik an einer Untergrunduniversität. Er half bei der Rettung Tausender Juden vor dem Holocaust und kämpfte 1944 im Warschauer Aufstand gegen die Deutschen. Die Okkupationszeit war später das Hauptthema der etwa 50 Bücher und 1.500 Artikel, die er als Zeitzeuge und Historiker verfasste.
Nach dem Krieg wurde er im stalinistischen Polen wegen angeblicher Spionage verhaftet.
Sechseinhalb Jahre verbrachte er in verschiedenen Gefängnissen. Auch dies waren prägende Jahre für den gläubigen Katholiken, der 1955 rehabilitiert wurde:
"Denn ich habe bis zum Ende verstanden, dass der Mensch auf dieser Erde die wichtigste Sache ist, nicht ein Kollektiv, nicht eine Partei, nicht eine Gruppe, sondern der Mensch mit seinen positiven und negativen Eigenschaften.“
Nachdem 1981 das Kriegsrecht in Polen verhängt worden war, wurde er wegen seines Engagements in der Solidarność-Bewegung erneut für einige Monate interniert. Mitte der 80er Jahre durfte er ausreisen. Er lehrte als Gastprofessor an mehreren bayerischen Universitäten und lernte Deutsche kennen, die seine Freunde wurden.
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Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs war Władysław Bartoszewski polnischer Botschafter in Wien, später zweimal Außenminister. Bis zum Ende seines Lebens engagierte er sich für die Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen. Seine Bilanz:
„Ich glaube, dass die polnisch-deutschen Beziehungen gehören zur Welt der Wunder, positiven Wunder der Europäisierung der Menschen nach 1990. Die deutsch-polnischen Beziehungen haben so große Fortschritte gemacht, wie keine anderen in Europa.“
Władysław Bartoszewski starb am 24. April 2015 in Warschau. Noch wenige Stunden vor seinem Tod hatte er an einer Rede zur polnisch-deutschen Verständigung gearbeitet.