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Vor 125 Jahren geboren
Béla Hamvas - ein Solitär der ungarischen Literatur

Es ist Katalin Kemenyi, der Frau des ungarischen Schriftstellers und eigenwilligen Denkers Béla Hamvas, zu verdanken, dass das umfangreiche Werk ihres Mannes die Zeiten überdauerte: Im sozialistischen Ungarn erschien es nur im Untergrund. Heute vor 125 Jahren wurde Béla Hamvas geboren.

Von Doris Liebermann |
"Béla Hamvas" und "Karnevál" sind auf einem Screenshot der Homepage zu sehen
Das "Karneval-Online Projekt" hat Béla Hamvas' Opus magnum "Karneval" im Internet auf Deutsch zugänglich gemacht (www.hamvaskarneval.mediatransform.de/ (Bildschirmfoto))
"Schon als Kind hatte ich mir gewünscht, einmal ein ganzes Jahr lang das Regen der Natur zu verfolgen, vom Aufspringen der Knospen bis zum Fallen der Blätter, ohne auch nur eine einzige Bewegung zu verpassen. Von der Natur sieht am meisten der Künstler. Der Gärtner betrachtet nicht den Baum, sondern die Ernte.“
Die Welt als Wunder – so verstand sie Béla Hamvas: Schriftsteller, Philosoph und Kunsthistoriker, Land- und Lagerarbeiter, Ausgestoßener und Einzelgänger. Beeinflusst von den alten Schriften der Weltreligionen, galt sein Interesse dem spirituellen Wissen der Menschheit, der Geschichtsphilosophie, der Sprachwissenschaft, der Psychologie und Soziologie.

Ein universaler Homme de Lett­res

Geboren wurde Béla Hamvas am 23. März 1897 in Eperjes, dem heutigen Prešov in der Slowakei als Sohn eines evangelischen Pfarrers. Seine Kindheit verbrachte er in Bratislava, nach dem Zerfall Österreich-Ungarns lebte er in Budapest. Er studierte deutsche Philologie und ungarische Literatur, besuchte musiktheoretische Seminare und beherrschte mehrere Sprachen. Einige Jahre war er als Journalist tätig, machte sich einen Namen als Essayist und arbeitete später als Bibliothekar in der ungarischen Nationalbibliothek.

Hamvas' Manuskripte gingen im Krieg verloren

Zusammen mit dem Religionswissenschaftler Karl Kerényi gründete Hamvas 1935 in Budapest den "Insel-Kreis", eine Gesellschaft für Schriftsteller und Philosophen, die sich vom zunehmend faschistischer werdenden Ungarn abgrenzten. Während des Zweiten Weltkrieges wurde Hamvas dreimal zum Militärdienst einberufen, zuletzt beging er Fahnenflucht. Im letzten Kriegsjahr traf eine Bombe seine Wohnung und vernichtete seine Manuskripte und seine umfangreiche Bibliothek. Viel habe Hamwas  darübergeschrieben, sagt der Künstler, Filmemacher und Hamvas Übersetzer Gabor Altorjay:
"Weil er dachte, dass er stirbt, aber das war für ihn der große Sprung, das Begreifen, dass Besitz in dieser Welt nur sehr beschränkt gilt.“ - "Und dann begann er wieder zu schreiben nach dem Krieg, bis er aus der Bibliothek rausgeschmissen worden ist.“

Im sozialistischen Ungarn kaltgestellt

Hamvas passte mit seiner „bürgerlichen“ Geisteshaltung nicht in die sozialistische Volksrepublik Ungarn, die 1949 nach stalinistischem Vorbild entstand. Weil er den „sozialistischen Realismus“ ablehnte, wurde sein Buch über die ungarische Avantgarde-Malerei von dem marxistischen Philosophen Georg Lukács scharf angegriffen. Hamvas wurde zwangspensioniert und erhielt Publikationsverbot. Um weiteren Verfolgungen zu entgehen, fristete er sein Leben fortan außerhalb Budapests, lebte vom geringen Ertrag eines Obstgartens und verdingte sich als Lagerarbeiter in einem Großkraftwerk. Sein vielschichtiges Werk schrieb er für die Schublade: 80.000 Manuskriptseiten, die zu seinen Lebzeiten unveröffentlicht blieben. Eine Zeit des Darbens, wie er sich erinnerte:
"Ich lebte nur von Resten. Mal eine halbe Stunde, mal zehn Minuten, oder ein Nachmittag, den ich für mich stahl. Ich konnte mich den Dingen nicht stellen.“

Monumentalroman "Karneval" - ein "Schicksalskatalog"

An den Wochenenden fuhr er nach Budapest und kehrte beladen mit Büchern in seine Arbeitsbaracke zurück. Er übersetzte Konfuzius und Laotse, verfasste Essays über die Krise der Moderne und schrieb mehrere Romane. Herausragend ist sein Monumentalroman „Karneval“, ein „Schicksalskatalog“, wie er ihn selbst nannte, ein esoterischer Maskenball mit hunderten Figuren, eine metaphysische Reise des Helden durch Zeit und Raum, durch das Diesseits und Jenseits. Dazu Übersetzer Gabor Altorjay:
„Der Roman, der 1950 geschrieben wurde, war 35 Jahre lang mit Maschinen als sozusagen Samisdat verbreitet worden, 1.200 Seiten. Und es war an sich die Bedingung, den Roman zu bekommen, ein Exemplar selber zu vervielfältigen, also die 1.200 Seiten abzutippen.“

Bislang kaum ins Deutsche übersetzt

Erst siebzehn Jahre nach Hamvas’ Tod - er starb 1968 - erschien "Karneval" im noch sozialistischen Ungarn. Davon, so  Gabor Altorjav, "wusste jeder Intellektuelle und in dem Augenblick, da das erschien, in drei Tagen sofort sind zehntausend Exemplare verschwunden.“
Heute gilt Béla Hamvas als Kultautor in Ungarn. Bei uns sind bislang nur Bruchstücke seines Werkes erschienen. Der Roman „Karneval“ ist auf Deutsch im Internet zu finden.