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Erwin Blumenfeld vor 125 Jahren geboren
Der Fotograf verwandelte "Vogue"-Cover in Kunst

Wie konnte ein Dadaist aus Berlin in den 50er-Jahren zu einem der gefragtesten New Yorker Modefotografen werden? Erwin Blumenfeld vereinte in seinen Bildern Witz, Radikalität und Schönheit – eine seltene Mischung, die das Resultat seines bewegten Lebens war.

Von Carmela Thiele | 26.01.2022
Arbeiten des Fotografen Erwin Blumenfeld, 2013 in einer Retrospektive im Folkwang Museum Essen
Arbeiten des Fotografen Erwin Blumenfeld, 2013 in einer Ausstellung im Folkwang Museum Essen (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
„Stundenlang starrte ich von meinem Lieblingsplatz am Bug des Schiffes hinunter in die Woge, die wir ins Weltmeer furchten – neuen Sorgen entgegen. Um mir Mut einzuflößen, dachte ich zurück, wie ich vor zwei Jahren New York im Handumdrehn erobert hatte, um mir daraufhin einzubilden, New York zu kennen und zu lieben. Wird es mich als Konzentrationslagerphantom überhaupt empfangen? Mir kleinem Emigranten blieb ja wirklich nichts anderes übrig, als mich blindbegeistert, von keiner Sachkenntnis getrübt, Illusionen an den Hals zu schmeißen“, schreibt Erwin Blumenfeld in seiner Autobiografie.
Nach einer Odyssee durch französische Internierungslager war er 1941 mit seiner Familie in New York angekommen - abgemagert und ohne einen Cent in der Tasche. Er sprach in der Redaktion von "Harper‘s Bazaar" vor und bekam sofort einen Auftrag. Zwei Jahre später hatte er sein eigenes Studio am Central Park. Bis Mitte der 50er-Jahre schuf er mehr als hundert Coverbilder für "Harper’s Bazaar", "Vogue" oder "Cosmopolitan". Er gilt als Pionier einer die Konventionen negierenden Modefotografie, für die Richard Avedon und Irving Penn in den 60er-Jahren bekannt wurden. Seine späte Karriere verdankte der damals bereits vierzigjährige Blumenfeld seinen künstlerischen Ambitionen. Er war "ein unglaublicher Perfektionist", sagt die Kunsthistorikerin Helen Adkins: "Nicht, dass ein Foto oder eine Collage sauber sein musste, sondern seine Aussage musste stimmen.“

Der Wahnsinn der Welt in Collagen verarbeitet

Der am 26. Januar 1897 in Berlin geborene Erwin Blumenfeld war der älteste Sohn assimilierter deutscher Juden. Als sein Vater, ein Schirmfabrikant, starb, absolvierte er eine Lehre in der Damenkonfektion. Doch auch danach wurde nichts aus dem erträumten Schriftsteller- oder Schauspielerleben. Nachdem er im Ersten Weltkrieg als Fahrer gedient hatte, siedelte er 1919 nach Amsterdam um und heiratete. Um seine Familie ernähren zu können, versuchte er es mit einem Geschäft für Damenhandtaschen. Wenn keine Kundschaft kam, schuf er im Hinterzimmer seines Ladens Fotomontagen. Mit den von Dada-Berlin inspirierten Collagen verarbeitete er den Wahnsinn der Welt: den Militarismus, die Wirtschaftskrise und den Aufstieg der Nationalsozialisten. Dann, sagt Helen Adkins:
„Als die Nachricht von der Wahl Hitlers ihn erreicht, gerät er außer sich und er macht eine große Serie von Schwarzweißfotos, von Doppelbelichtungen, von Hitler zusammen mit einem kriegsversehrten Schädel aus dem Ersten Weltkrieg, also praktisch das Gesicht, das Antlitz des Todes - das sind sehr, sehr starke Bilder.“

In Paris wird der Broterwerb zur Kunst

1936 ging Erwin Blumenfeld nach Paris, um professioneller Fotograf zu werden. Denn nur wer es in Paris geschafft hatte, so seine Überzeugung, galt in der Branche etwas. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er Kunst und Broterwerb streng getrennt. Der Starfotograf Cecil Beaton notierte in seinem Tagebuch:
„Hier ist endlich jemand, der in keiner Weise von der Arbeit anderer Fotografen beeinflusst ist. Hier ist ein neuer und klarer Geist. Sein Verdienst als Künstler liegt in der Tatsache, dass er unfähig ist, Kompromisse zu schließen, und obwohl ich es gerne hätte, dass er für 'Vogue' arbeitet, sind seine Bilder nicht von 'Vogue'-Qualität, denn sie sind sehr viel ernster, zu provokant und besser als Mode.

Kunst in die New Yorker Hochglanz-Welt geschmuggelt

Dank seines Debüts in Paris schaffte er den Sprung nach New York. Erwin Blumenfeld setzte avantgardistische Techniken ein, die er in seinen Fotomontagen erprobt hatte: Doppelbelichtung, Spiegelmotiv, Solarisation, Fragmentierung. Er kannte den Konstruktivismus, den Surrealismus und die Abstraktion. Eines seiner "Vogue"-Cover von 1950 zeigt lediglich ein geschminktes Auge, einen knallroten Mund und einen Schönheitsfleck.
„Ich nahm mir vor, Kultur in mein neues Vaterland zu schmuggeln, zum Dank, dass es mich aufnahm.“

In den Jahren vor seinem Tod 1969 schrieb Erwin Blumenfeld unter dem Titel „Einbildungsroman“ sein von Brüchen gekennzeichnetes Leben auf. Der Maschinerie der New Yorker Hochglanz-Welt, die ihn als Modefotograf berühmt machte, widmete er nur wenige Seiten. Sein Fazit: In der Neuen Welt regierten allein die Deadline, der Eigennutz und ein Konformismus, der ihm als Europäer immer unbegreiflich geblieben war.