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125. Geburtstag des Librettisten
Ira Gershwin - der Text-Tüftler

Seine Freunde nannten den Songtexter Ira Gershwin ob seines Perfektionismus' den "Juwelier". Für seinen kongenialen, jüngeren Bruder George schrieb er etwa das Libretto zur Oper "Porgy and Bess" - und damit auch Musikgeschichte.

Von Regina Kusch | 06.12.2021
Der Texter und der Pianist: Das Duo Ira (links) und George Gershwin schreibend und Klavier spielend
Ira (links) und George Gershwin um 1930 (picture alliance / Everett Collection)
"Das Klavier musste durchs Fenster in unsere Wohnung an der Lower East Side gehievt werden. Als Ältester sollte eigentlich ich Unterricht bekommen, aber George setzte sich sofort an das neue Instrument und spielte gekonnt einen populären Schlager. Wir alle waren ganz perplex, bis George uns erklärte, er habe heimlich auf dem Klavier eines Schulkameraden geübt. Ich hatte nichts dagegen, dass meine Eltern beschlossen, lieber solle George die Stunden nehmen."
Diese Anekdote erzählte Ira Gershwin, geboren am 6. Dezember 1896 als Israel Gershowitz in New York, 50 Jahre später in einem Interview. Seine Leidenschaft galt nicht, wie bei seinem jüngeren Bruder George, dem Klavierspielen, sondern dem Tüfteln an Texten. In den 1920er-Jahren avancierten der eher bedächtige Ira und der temperamentvolle George zu einem der erfolgreichsten Songwriter-Teams am Broadway.

Stundenlanges Feilen an einer Silbe

Mit ihrer Show "€žLady, Be Good" etablierten sie ein neues Musical-Genre, in dem nicht nur die Musik, sondern auch die Sprache zum Kunstwerk wurde. Ira Gershwin puzzelte hingebungsvoll an seinen Versen und feilte manchmal stundenlang an einer Silbe. Er spielte mit den unterschiedlichen Klängen von Vokalen, verkürzte Phrasen, indem er Worte zusammensetzte, nutzte die plakative Ausdrucksweise der Werbebranche oder baute umgangssprachliche Redewendungen in seine Lyrik ein. Für ihn war die Sprache Bestandteil der Musik, so der russisch-amerikanische Pianist Kirill Gerstein:
€"Seine Worte sind ein untrennbarer Teil von vielen George-Gershwin- Hits, die wir kennen, lieben, und er selbst schrieb in sein Tagebuch, dass er alles hört, Geräusche vom Aufzug oder Klingeln vom Telefon oder einen Schrei von einem Kind, und er notiert: Was habe ich heute gehört? Das ist so klangorientiert." - €ž"Wenn man die Musik liebt, ein Gefühl für Reime hat, einen Sinn für Witz und Humor, ein Auge für gelungene Sätze, ein Ohr für die neuesten Redewendungen - dann braucht man, denke ich, vier oder fünf Jahre Arbeitserfahrung mit anerkannten Komponisten, um ein guter Texter zu werden."

Der erste Pulitzerpreis für einen Liedtexter

Die New Yorker Theater rissen sich um Shows wie "A Girl Crazy"€œ, in der Ginger Rogers als Molly Grey der Durchbruch zum Star gelang, oder "€žEin Amerikaner in Paris". Da setzten die Gershwin-Brüder Hupen von Pariser Taxis als Effekt-Instrumente ein. Mit "Porgy and Bess"€œ brachten sie die erste afroamerikanische Liebesgeschichte an den Broadway, und für ihr Musical "€žOf Thee I sing", eine bissige Polit-Satire über einen skurrilen Präsidentschaftswahlkampf, erhielt Ira Gershwin 1932 als erster Songtexter den renommierten Pulitzer-Preis. Als George 1937 an einem Gehirntumor starb, zog sich sein Bruder erschüttert aus dem Musikgeschäft zurück, so Kirill Gerstein:
"Nach seinem Tod hat Ira drei Jahre gar nichts geschrieben, wollte nicht, war wirklich so ein Bewahrer seines Erbes und hat immer beobachtet, dass sein Nachlass in korrektem Zustand war.

Mehr als 700 Songtexte

Aber dann hat er doch weitergearbeitet. Er hat für Judy Garland den Film "A Star is Born"€˜ gemacht und Texte für Billy Wilders Film "Kiss Me Stupid"€˜". Für Kurt Weill schrieb Ira Gershwin den Text für €"žLady in The Dark", ein Musical über die Psychoanalyse, und gemeinsam sangen sie [*] den €ž"Song of the Rhineland"€œ, ein satirisches Duett über die deutsche Gemütlichkeit: "žDrink, drink! Donnerwetter! What is better? / Drink, drink / Fill the seidel! / Don't be idle! Drink, drink! / Drink it all down 'til you fall down / Drink day and night to Gemütlichkeit."
Als Ira Gershwin 1983 starb, hatte er mehr als 700 Songtexte verfasst. Weltstars wie Frank Sinatra, Ella Fitzgerald oder Barbra Streisand ließen seine Lieder weiterleben.
[*] An dieser Stelle haben wir eine falsche Jahresangabe gestrichen.