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200. Geburtstag des Erfinders
Étienne Lenoir - Großvater des Ottomotors

Étienne Lenoir kam am 12. Januar 1822 in einfachsten Verhältnissen zur Welt - und wurde zu einem Urahn der Automobilindustrie. Er entwickelte den ersten funktionstüchtigen Verbrennungsmotor, der zum Vorbild des revolutionären Ottomotors werden sollte.

Von Irene Meichsner | 12.01.2022
Ein Kupferstich aus dem 19. Jahrhundert zeigt den von Étienne  Lenoir entwickelten , ersten funktionstüchtigen Gasmotor
Étienne Lenoirs Gasmotor auf einem Kupferstich aus dem 19. Jahrhundert (imago/UIG)
Er gehörte zu den Pionieren des Automobilzeitalters, aber seinen Namen - Jean-Joseph Étienne Lenoir - kennen heute fast nur noch Eingeweihte. Dabei war es Lenoir, der den ersten funktionstüchtigen Verbrennungsmotor auf den Markt brachte – und nicht etwa Nikolaus Otto, der als Erfinder des berühmten Ottomotors Geschichte schreiben sollte. Dass er einmal Maschinenbauer werden wollte, hatte sich Lenoir schon als zwölfjähriger Junge in den Kopf gesetzt. Im Alter von 16 Jahren verließ er seinen Heimatort Mussy-la-Ville im Großherzogtum Luxemburg, wo er am 12. Januar 1822 zur Welt gekommen war - und machte sich zu Fuß auf den Weg nach Paris. Seine gebrauchten Schuhe soll er am Ortsausgang in den Straßengraben geworfen und dazu gesagt haben, er wolle, "nicht das kleinste Stückchen Erde mitnehmen, das an meinen Schuhen klebt. Keiner in diesem Land will verstehen, was ich tun möchte.“

Er wollte der Dampfmaschine der Garaus machen

In Paris arbeitet Lenoir, zunächst als Kellner, in seiner Freizeit bildete er sich fort. Er las Bücher, besuchte kostenlose Kurse an einer Ingenieurschule und machte bald mit seinen ersten Erfindungen von sich reden - darunter eine neue Methode zur Herstellung von weißer Emaille, ein Signalsystem für die Eisenbahn, eine mechanische Knetmaschine und eine elektrische Bremse.
Danach widmete sich Lenoir seinem ehrgeizigsten Projekt: einem neuartigen Motor, mit dem er das unaufhaltsame Ende der Dampfmaschine einläuten sollte. Der Motor wurde mit Gas betrieben – anders als die Dampfmaschine mit ihrem großen Dampfkessel, der mühsam mit Kohle angeheizt wurde. Der Motor musste nur an die städtische Gasleitung angeschlossen werden, und er war auch für kleinere Handwerks-Betriebe geeignet. Im Januar 1860 führte Lenoir Mitarbeitern des Patentamts einen Prototypen vor – und bekam daraufhin prompt ein Patent auf seine Erfindung:
„Kein Feuer, kein Rauch, der die Nachbarschaft belästigen würde, keine Gefahr von Explosionen. Der Motor kann überall aufgestellt werden, im Keller wie in den höheren Etagen, auf einem Steinsockel oder einem Gestell aus Holz oder Backstein. Die Bedienung erfordert keine besonderen Vorkenntnisse“
Hieß es in einer Werbe-Anzeige der von Lenoir gegründeten „Société des Moteurs Lenoir“.

Allgemeine Begeisterung - und Skepsis

Dass sein Motor viel mehr Gas verbrauchte, als er versprochen hatte, und mit noch mehr Öl geschmiert werden musste, um zu verhindern, dass er heiß lief, tat der allgemeinen Begeisterung keinen Abbruch – obwohl es auch kritische Stimmen gab:
„Ich glaube, definitiv beweisen zu können, daß die Angaben über die Nutzwirkung der Maschine so weit von der Wahrheit abweichen, daß man sich nicht genug über die Ungenirtheit solcher Behauptungen wundern kann“, schrieb ein deutscher Ingenieur 1861.

Nikolaus Ottos zündende Lenoir-Adaption

Zu denen, die sich für Lenoirs Erfindung begeisterten, gehörte Nikolaus Otto. Er war damals noch Vertreter für Kolonialwaren, aber auf der Suche nach einem neuen Betätigungsfeld. Otto beschaffte sich die Pläne für den Lenoirschen Motor und baute ihn in seiner Kölner Werkstatt nach. Weil er mit dem Ergebnis unzufrieden war, entwickelte er einen eigenen Motor – einen Viertakter mit eingebautem Vergaser, dessen Funktionsweise zum Vorbild für alle weiteren Verbrennungsmotoren werden sollte.
"Vielleicht die wichtigste Erfindung des
19. Jahrhunderts überhaupt“, befand Hans Straßl, ehemaliger Oberkonservator am Deutschen Museum in München, dazu in einem Radiobeitrag: „Und es war natürlich ein enormer Gewinn für die kleinen Handwerker, plötzlich eine Maschine zu haben, die man im Keller aufstellen konnte!“

80 teils wegweisende Patente

Lenoir hat die Überlegenheit von Ottos Motor neidlos anerkannt. Er trat in der Folgezeit mit weiteren Erfindungen hervor; darunter ein Apparat zur telegraphischen Übermittlung von Dokumenten, der während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 zum Einsatz kam. Insgesamt brachte es Lenoir auf fast 80 Patente. Auch die Anfänge der Automobilindustrie hat Lenoir, der am 4. August 1900 in der Nähe von Paris starb, noch miterlebt. Doch dafür bedurfte es noch kleinerer und leichterer Verbrennungsmotoren, wie sie schließlich von Carl Benz, Gottlieb Daimler und anderen Technikern gebaut worden sind.