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50. Todestag
Maurice Chevalier - Erfinder der One-Man-Show

Tausend Chansons und mehr als 50 Filme: das charismatische, aber auch obsessive und narzisstische Multi-Talent Maurice Chevalier stammte aus ärmsten Verhältnissen und wurde ein Titan des französischen Kulturbetriebs. Am Neujahrstag 1972 starb Chevalier in seiner Geburtsstadt Paris.

Von Karl Lippegaus | 01.01.2022
Werbeplakat für den Musical-Film "Folies Bergère de Paris" von 1935  mit Maurice Chevalier und  Ann Sothern in den Hauptrollen
Werbeplakat für den Musical-Film "Folies Bergère de Paris" von 1935 mit Maurice Chevalier, und Ann Sothern in den Hauptrollen (Imago / Everett Collection)
Anfang der 1930er-Jahre gehörte er zu den höchstbezahlten Filmstars in Hollywood. Doch zeitlebens litt der Sohn eines Anstreichers aus einem der ärmsten Stadtviertel von Paris unter der Angst, alles wieder zu verlieren, all den Ruhm und Glanz, das mühsam Erworbene. In seinen zehnbändigen Memoiren zeichnet Maurice Chevalier ein idealisiertes Porträt seiner selbst. Sein Wesen war viel komplexer, sein Leben härter als die beispiellose Erfolgsstory:
„Ich komme von der Straße, das habe ich nie vergessen. Ich möchte dem Volk gefallen und nicht nur denen, die Höchstpreise für erste Plätze zahlen.“

Kinderstar in den Pariser Folies Bergère

Am 12. September 1888 wird er in Ménilmontant geboren und lebt mit der Mutter und zwei Brüdern vierzehn Jahre lang in zwei kleinen Zimmern ohne Fenster. Die Nachbarn begeistert das komische Talent und der Charme des Jungen, den sie „Momo“ nennen und der als Elfähriger singend und tanzend in Cafés auftritt. Bald schon wird er in den Folies Bergère in Paris zum Star; später entwickelt er als erster das Konzept der One-Man-Show und erobert damit sogar das verwöhnte Publikum des Konzertsaales Salle Pleyel.
„Das war sehr schwierig. Es war riskant, in der Salle Pleyel aufzutreten, wo die Virtuosen, Sänger und die großen Orchester gastierten. Ich fürchtete, jemand im Publikum würde aufstehen und rufen: ‚Nein, Monsieur, nicht hier, gehen Sie damit ins Casino de Paris, gehen Sie in die Music-Hall!‘“

Mit 23 Jahren hat Maurice Chevalier ein Verhältnis mit der berühmten Entertainerin Mistinguett, die dreizehn Jahre älter ist als er, sie wird seine Geliebte und Mentorin: „Sie war eine außergewöhnliche Frau, sie war elektrisierend, sie war mehr als schön. Ungemein attraktiv war sie und gefiel den hinteren Rängen genauso wie denen in der ersten Reihe.“

Das Chanson als Völkerverständigung

Zehn Jahre lang arbeitet Chevalier mit Mistinguett - ein schüchterner, wortkarger Mann, der sich völlig verwandelt, sobald er die Bühne betritt. Während des Ersten Weltkriegs wird er verletzt und ist 26 Monate lang als Kriegsgefangener in Altengrabow bei Berlin. Die Zeit dort wird er nie vergessen.
„Verstehen Sie bitte, ich habe mich nie in die Politik eingemischt. Ein Künstler hat erstmal die Aufgabe, das Publikum zu unterhalten, welches auch immer. Das Chanson ist wunderbar geeignet, um die Völker einander näherzubringen.“

Platonische Freundschaft mit Marlene Dietrich

1921 im Casino de Paris trägt er zum ersten Mal seine zukünftigen Markenzeichen: Smoking, Fliege und einen schräg sitzenden Strohhut. Am Ende der Stummfilmära 1927 erlebt der Produzent Irving Thalberg, der Talentsucher der Filmfirma MGM, eine Show mit Maurice Chevalier in Paris und holt ihn nach Hollywood. Er ist die Entdeckung in dem Film „Love Parade“ von Ernst Lubitsch. Eine platonische Freundschaft verbindet ihn mit Marlene Dietrich. Sie sah in ihm die Verkörperung von "la France. Er hat was von einem Bauern. Er lebt sehr einfach.“

Etwas altes Europäisches schmiegt sich an die Rhythmen des Jazz. Chevaliers blendendes Aussehen, sein Lächeln und sein Akzent machen ihn zu einem Sex-Symbol.
Die Sängerin Edith Piaf vor einem Bild von Maurice Chevalier im Jahr 1947.
Die Sängerin Edith Piaf vor einem Bild von Maurice Chevalier im Jahr 1947. (AFP)
Ein letztes Mal gastiert er drei Wochen lang im Théâtre des Champs-Elysées, gibt 28 Vorstellungen und verfällt in tiefe Depression, als alles vorbei ist.

Maurice Chevalier stirbt am 1. Januar 1972 mit 83 Jahren. Seine letzten Worte stammen aus dem Chanson von Charles Trenet, das er berühmt machte: „Y’a de la joie“ – es gibt die Freude.