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Vor 70 Jahren unterzeichnet
Das kurze Leben des Deutschlandvertrags

Am 26. Mai 1952 unterzeichneten die Bundesrepublik, die USA, Frankreich und Großbritannien den "Deutschland-" oder General-Vertrag, der die Souveränität Deutschlands nach dem Krieg neu regeln sollte. Doch platzte das Abkommen schon bald im Streit um die Wiederbewaffnung Westdeutschlands.

Von Bernd Ulrich | 26.05.2022
Die Unterzeichner des Deutschlandvertrages (l-r): Sir Anthony Eden (Großbritannien), Robert Schuman (Frankreich) und Dean Acheson (USA) sowie Bundeskanzler und Außenminister Dr. Konrad Adenauer. Am 26. Mai 1952 haben die Außenminister der drei Westmächte sowie Bundeskanzler Konrad Adenauer im Bonner Bundesratssaal den Deutschlandvertrag und die Zusatzverträge feierlich unterzeichnet. Mit dem Vertrag wird die volle Souveränität für alle innen- und außenpolitischen Entscheidungen der Bundesrepublik geregelt.
Der Deutschlandvertrag wird am 26. Mai 1952 unterzeichnet (picture-alliance / dpa)
"Ladies and Gentlemen - die Abkommen, die heute unterschrieben wurden, sind für jedes der hier vertretenen vier Länder von größter Bedeutung. Die Bundesrepublik erhält die Unabhängigkeit in auswärtigen Angelegenheiten und die Befugnisse in den inneren Angelegenheiten, die einem freien Staat zustehen. Das Vereinigte Königreich, Frankreich und die Vereinigten Staaten begrüßen, gemeinsam mit den anderen freien Nationen, einen neuen Partner in ihrer großen Bemühung, Frieden und Sicherheit in der Welt zu etablieren.“

So der US-amerikanische Außenminister Dean Acheson am 26. Mai 1952. Zur Unterzeichnung kam an jenem Montag der „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten“, kurz General- oder Deutschlandvertrag genannt. Der für den Rundfunk berichtende Reporter zeigte sich nicht ganz so zuversichtlich in der Beurteilung des Vertragswerks:
“Ob die Geschichte diesen Tag als einen großen Tag bewerten wird, - oder ob sie ihn als einen Fehlschlag bezeichnen wird, das weiß keiner. Wir kämpfen noch leidenschaftlich um das Für und Wider.“

Adenauer spekulierte auf ein Ende des Besatzungsregimes

Gerungen wurde insbesondere um die im Deutschlandvertrag festgeschriebene Bindungsklausel, wonach ein vereinigtes Deutschland zum Westen gehören müsse. Der Sozialdemokrat Carlo Schmid am 10. Juli 1952 im Bundestag:
„Und nun kann Deutschland doch nur zustande kommen, wenn die Russen mit gesamtdeutschen Wahlen einverstanden sind. Und glaubt man denn, dass sie das tun werden, wenn von vornherein feststehen soll, dass der Teil, den Russland aufgibt, einem Block zugeschlagen werden soll, den dieses Russland als feindselig empfindet?“
Für Bundeskanzler Konrad Adenauer hingegen gewann mit dem Vertrag die Hoffnung auf ein Ende des Besatzungsregimes der Westalliierten an Kontur:
„Die Unterzeichnung hier in diesem Raume ist, wenn man sie im Zusammenhang sieht mit der Unterzeichnung des Vertrages über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft morgen in Paris, in Wahrheit ein Ereignis von historischer Bedeutung. Hier ist jetzt ein Schlussstrich gezogen worden unter den schrecklichen Krieg und die Nachkriegszeit.“

Das fatale Junktim EVG und Deutschlandvertrag

Tatsächlich war die Gültigkeit des Deutschlandvertrages an die Zustimmung aller beteiligten Staaten zum Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) gekoppelt. Dieser wiederum sah die umstrittene Wiederbewaffnung der Bundesrepublik vor. Ein westdeutscher Wehrbeitrag aber bildete den Kern einer Politik der Westintegration bei voller Souveränität, wie sie von Konrad Adenauer verfolgt – und von den Westalliierten gewünscht wurde. Doch alle Hoffnungen endeten vorerst am Veto von Frankreich. Kurt Sontheimer, bald darauf einer der bedeutendsten Politikwissenschaftler der Bundesrepublik, berichtete im August 1954 aus Paris:
„Ich werde in der kommenden Woche ins Parlament gehen, um die Europadebatte zu verfolgen. Die Franzosen haben Angst, fürchten Deutschland jeden Tag mehr. Es ist ein Jammer.“

Der Weg zur vollen Souveränität der Bundesrepublik

Am 30. August 1954 lehnte die französische Nationalversammlung den EVG-Vertrag ab. Die nun schnell verhandelten und am 5. Mai 1955 in Kraft tretenden Pariser Verträge boten mehr als einen Ersatz. Der amerikanische Politikwissenschaftler Robert G. Livingston:
„Das Vertragspaket brachte der Bundesrepublik 1955 die volle Souveränität, den Rang eines gleichberechtigten Bündnispartners, die NATO-Mitgliedschaft, eine amerikanische, britische und französische Garantie für die Freiheit West-Berlins und vieles mehr.“
Freilich - erst als es zur deutschen Wiedervereinigung kam, endeten die letzten Auseinandersetzungen um die Selbstverantwortung der Bundesrepublik. Möglich wurde dies, weil die Außenminister der USA, Frankreichs, Großbritanniens und der UdSSR am
1. Oktober 1990 ein bedeutendes Dokument unterzeichneten: Es bekräftigte den Verzicht auf die bis dahin immer noch gültigen Rechte und Verantwortlichkeiten der Siegermächte in Deutschland und vor allem in Berlin. Erst jetzt und mit der Ratifizierung des sogenannten Zwei-plus-Vier-Vertrags Mitte März 1991 – abgeschlossen zwischen beiden deutschen Staaten und den vier Siegermächten – erlangte das vereinigte Deutschland seine volle völkerrechtliche Souveränität.