Samstag, 11. Mai 2024

Archiv

Erste Sendung vor 70 Jahren
"Der Internationale Frühschoppen" - Polit-Talk mit Prozenten

Für viele Familien gehörte "der Internationale Frühschoppen" zum Sonntag wie der Braten zum Mittagessen danach. Werner Höfers Außenpolitikjournalisten-TV-Talkshow zählt zu den Legenden bundesdeutscher Mediengeschichte. Sie begann am 6. Januar 1952 – im Radio.

Von Brigitte Baetz | 06.01.2022
"Guten Tag, meine sehr verehrten Damen und Herren, hier ist wieder der Internationale Frühschoppen mit sechs Journalisten aus fünf Ländern."
Eines der prägnantesten Fernsehrituale der bundesdeutschen Nachkriegszeit startet als Radiosendung. Die Journalistenrunde „Der Internationale Frühschoppen“ wird am 6. Januar 1952 zum ersten Mal im NWDR ausgestrahlt. Die älteste erhalten gebliebene Ausgabe ist die vom 13. September des gleichen Jahres. Moderator ist Werner Höfer, ein Thema das beginnende Zusammenwachsen Westeuropas.
Höfer: „Welche Erfahrungen haben sie denn gemacht, die kleinen drei, wenn Sie mir den Begriff erlauben, welche Erfahrungen haben sie denn nun gemacht: Holland, Belgien, Luxemburg?
Niederländischer Journalist: „Man muss dazu sagen, dass die wirtschaftliche Union zwischen Belgien und Luxemburg schon seit Dezennien besteht ...“

Ein Moderator nicht frei von Eitelkeit

Nur sieben Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ist Werner Höfer ein selbstbewusster, wenn nicht gar selbstverliebter deutscher Gastgeber für eine Gesprächsrunde mit internationaler Beteiligung. Und neben ausländischen Journalisten ist auch die erste Garde der einheimischen Presse dabei, wenn Höfer zur sonntäglichen Mittagszeit dazu einlädt, das Weltgeschehen zu diskutieren. Ob arabisch-israelisches Verhältnis, Olympische Spiele in Mexiko, Bau der Mauer oder Studentenunruhen in Deutschland - die Sendung ist immer aktuell und ein Erfolg von Anfang an. Ab August 1953 wird sie auch im ARD-Fernsehen übertragen. Für viele Familien gehört der Internationale Frühschoppen bald zum eigenen Sonntagsritual wie der Braten zum Mittagessen danach. Für den langjährigen WDR-Hörfunkdirektor Manfred Jenke hat Werner Höfer mit seiner Runde wichtige demokratische Aufbauarbeit geleistet:
„Die Grundidee, dass man Menschen unterscheidungsfähig macht für unterschiedliche und widerstreitende Aspekte und Interessen – also Churchills Vorstellung vom ‚government by discussion‘, eine dem NS-Führerprinzip entgegengesetzte Idee - diese Idee, die verwirklichte er, indem er diese Gedanken, Ideen und Positionen in Gestalt der Journalisten aus fünf Ländern personifizierte."

Zu sehr Höfer-One-Man-Show?

Doch Kritik gibt es auch. Nicht nur der „Spiegel“ moniert, dass Höfer sich selbst zu sehr in Szene setze und Meinungsverschiedenheiten zu oft mit launigem Humor überspiele:
Höfer: „Hier geht es inzwischen zu wie in einer polnischen Kneipe, wo schwarz gebrannter Wodka gereicht wird.“
Frau: „Und das ist genauso wie in einer deutschen Kneipe, wo Branntwein bzw. Bier getrunken wird."Höfer: „Aber dies ist ein Weinlokal!“

Männer-Gruppenbild mit Serviererin

Es ist in großen Teilen eine Männerwelt, die Höfer präsentiert, auch wenn immer wieder wehrhafte Journalistinnen vertreten sind. Im Hintergrund agieren Serviererinnen mit weißen Schürzen, die den mal mehr, mal weniger gepflegten Austausch der Journalistenriege durch regelmäßiges Nachschenken von Wein und Apfelsaft beflügeln. Und es darf geraucht werden, während Werner Höfer seiner Liebe zu Wortgirlanden und apodiktischen Stellungnahmen frönt:„Ich bin nicht Ihrer Meinung, lasse mich aber in Stücke reißen für Ihr Recht, Ihre Meinung vertreten zu können.“

Gesendet wird auch unter erschwerten Bedingungen

Höfer, der zwischenzeitlich auch Fernsehdirektor des WDR ist, plant seine Urlaube so, dass er sonntags immer Zeit für seine Sendung hat. Einmal moderiert er gar per Telefon:
„Der Gastgeber meldet sich aus weiter Ferne, notgedrungen, denn er ist gestrandet auf einer Insel, die Sylt heißt. Und eben diese Insel ist wie fast ganz Europa gestern von einem unvorstellbar heftigen Orkan heimgesucht worden. Und er hat eben dieses Eiland von gestern Nachmittag bis eben von jedweder Verbindung zur Außenwelt abgeschlossen, nichts ging mehr.“
Beim obligatorischen Toast am Ende der Sendung gratuliert "Spiegel"-Herausgeber Rudolf Augstein dem Moderator aus der Ferne: „Ad multos annos! Mögen Sie im Jahre 2000 hier noch den Frühschoppen machen, lieber Werner Höfer. Prosit für Sie!"

Höfer von der Vergangenheit eingeholt

Höfer erwidert, „Ich bedanke mich!“ - Der "Spiegel "ist es allerdings, der 1987 Werner Höfers Karriere abrupt beendet. Das Magazin berichtet, dass der Journalist 44 Jahre zuvor die Hinrichtung eines jungen Pianisten in einem Artikel gerechtfertigt hat. Karlrobert Kreiten war Ende des Zweiten Weltkrieges wegen sogenannter Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt worden. Höfer, der NSDAP-Mitglied war, bestreitet, die inkriminierten Passagen selbst geschrieben zu haben. Der WDR trennt sich fast umgehend von seinem Vorzeigemoderator. Der Internationale Frühschoppen wird sonntags im Ersten durch den "Presseclub" ersetzt, in dem allerdings nur noch Journalisten deutscher Medien diskutieren. Höfer kündigt an, den WDR nie wieder betreten zu wollen.