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Vor 70 Jahren gegründet
Die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft der DDR

Nach 1945 verteilten die sowjetischen Besatzer auf dem Gebiet der späteren DDR Hunderttausende Parzellen an Kleinbauern. Doch erwies sich das als weder effizient noch sozialistisch genug. So entstand am 8. Juni 1952 die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG) der DDR.

Von Andreas Baum | 08.06.2022
 Erntehelfer, Saisonarbeiter, 1961  auf einem Feld der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft"LPG Friedrich Engels"
Erntehelfer im Mai 1961 auf der "LPG Friedrich Engels" (imago images/frontalvision.com)
Anfang der 50er-Jahre präsentierte sich die DDR auf dem Land als ein wahres Idyll. Die riesigen Güter meist adeliger Großgrundbesitzer waren unter Hunderttausenden von Neubauern aufgeteilt worden, die nun auf ihren kleinen Parzellen Getreide und Hackfrüchte zogen, in ihren Gärten Obst und Gemüse anbauten und ein paar Hühner, Schweine und Rinder hinterm Haus hielten. Dieses Bild allerdings war, wie die SED bald feststellen mussten, eine optische Täuschung. Nach der Bodenreform von 1945 wurden viel zu wenige Lebensmittel erzeugt. Viele der Neubauern waren fachfremd, das kleinteilige Wirtschaften war ineffizient und weite Teile der Felder lagen brach. Im Juli 1952 verkündet der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht überraschend eine Wende. Er berichtet von einer Flut von Briefen, in denen Bauern die SED darum bitten, ihre Felder und Höfe zusammenlegen zu dürfen.
„In der Gemeinde Ilberstedt haben sich Neubauern zur gemeinsamen Bodenbewirtschaftung zusammengeschlossen. Die Einnahmen der Mitglieder der Genossenschaft sind höher als die der Neubauern, die noch einzeln wirtschaften.“

Die SED verkaufte die Kollektivierung als freiwillig

Ulbricht erklärte nun, die Partei gebe dem drängenden Wunsch der Bauern nach. Am 8. Juni 1952 hatte sich im thüringischen Merxleben die erste Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft der DDR gegründet. Andere sollten folgen.
„Ich halte es für notwendig, von der Tribüne dieser Konferenz herab den Grundsatz der absoluten Freiwilligkeit bei der Organisierung solcher Produktionsgenossenschaften zu unterstreichen und auf die Unzulässigkeit der Anwendung irgendeines Zwanges gegenüber den Bauern in dieser Frage hinzuweisen.“

"Methoden des Psychoterrors"

In Wahrheit hatte Stalin kurz zuvor die Kollektivierung nach sowjetischem Vorbild angeordnet. Es begann eine Kampagne, die wenig mit der von oben postulierten Freiwilligkeit zu tun hatte und die Einzelbauern sehr unter Druck setzte. Agitationsgruppen gingen in die Dörfer und warben dafür, Maschinen, Vieh und Felder den LPGs zu überschreiben - nicht selten mit rabiaten Mitteln, wie es Horst Matschke beschreibt, später Leiter des Instituts für ausländische Landwirtschaft in Berlin.
„Es kam auch vor, dass, wenn die meisten der Bauern schon keinen anderen Ausweg mehr sahen, als die Eintrittserklärung zu unterschreiben, wenn da nur noch ein paar im Dorf übrig waren, sperrte man die auch mal in den sogenannten Spritzenschuppen ein, um ihnen Besinnungszeit zu geben. Man kann sagen, dass also hier mit Methoden des Psychoterrors gearbeitet wurde.“

Drei sehr unterschiedlich beliebte LPG-Formen

Einzelne Dörfer wurden gar von jungen Parteiaktivisten abgeriegelt, bis alle unterschrieben. Anfangs gab es verschiedene Stufen der Kollektivierung: LPG eins, zwei oder drei. Je nach Typ brachten die Kleinbauern nur das Land, zusätzlich ihre Maschinen oder beim Typ drei Vieh, Gebäude und Bargeld in die Genossenschaft ein. Der von der Partei erwünschte Typ drei war bei den Landwirten unbeliebt. Zwar konnten sie sich anfangs frei entscheiden, die LPG-Typen eins und zwei wurden aber systematisch benachteiligt, bekamen schlechtere Kredite und weniger Maschinen zugeteilt. Zudem mussten ihre Mitglieder ihren privaten Resthof nach Feierabend bewirtschaften, so erzählt es Bäuerin Erna Krampe aus Falkenberg im Oderbruch im DDR-Rundfunk:
„Für die LPG-Typ eins ist es doch immer noch schwer, da wir die Viehwirtschaft zu Hause haben und morgens und abends füttern müssen. Bloß durch den Großeinsatz von der Technik haben wir in diesem Jahr die Kartoffelernte leichter gehabt. Und wir hoffen doch, dass es im nächsten Jahr noch besser klappt.“
Spätestens ab 1958 konnte von Freiwilligkeit keine Rede mehr sein. Die SED beschloss, die Kollektivierung binnen weniger Jahre abzuschließen, auch mit Zwang. 1960 gab es kaum noch Einzelbauern in den Dörfern. Da Grundstücksgrenzen nicht mehr galten, entstanden riesige Felder und LPGs von der Größe ganzer Landkreise. Nun konnten große Maschinen eingesetzt werden, zudem spezialisierten sich die Betriebe, Tierhaltung und Pflanzenproduktion wurden getrennt.
Monokulturen und der massive Einsatz chemischer Schädlingsbekämpfungs- und Düngemittel ließen ganze Landstriche versteppen, Grundwasser und Böden waren bald schwer belastet. Wie wenig konkurrenzfähig die LPGs waren, zeigte sich nach der Wende: Sie mussten im Schnitt drei Viertel ihrer Angestellten entlassen. Bis heute leidet der ländliche Raum in Ostdeutschland sehr unter der Dominanz der vielen Großbetriebe, zu denen die LPGs geworden sind. Ohne massive Subventionen aus Brüssel könnten sie nicht überleben.