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Wannseekonferenz vor 80 Jahren
Beim Cognac planten sie den Holocaust

In einer Villa am Berliner Wannsee traf sich am 20. Januar 1942 die Spitze der NS-Reichsregierung unter Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, um den Massenmord an den europäischen Juden detailliert zu organisieren. Der hatte bereits Monate zuvor begonnen.

Von Otto Langels | 20.01.2022
In dieser Villa fand die sogenannte Wannseekonferenz zur "Endlösung der Judenfrage" am 20. Januar 1942 statt
In dieser Villa fand die sogenannte Wannseekonferenz zur "Endlösung der Judenfrage" am 20. Januar 1942 statt (imago/McPHOTO )
„Ich weiß, dass die Herren beisammen gesessen sind und haben hier eben in sehr unverblümten Worten die Sache genannt, ohne sie zu umschreiben.“

„Die Sache“, wie sich Adolf Eichmann ausdrückte, war die kaltblütig geplante Ermordung von elf Millionen Juden aus ganz Europa, Gegenstand einer Besprechung von hochrangigen Vertretern des NS-Regimes am 20. Januar 1942. Das Protokoll der Sitzung fertigte SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann an, einer der Hauptorganisatoren des Holocaust. Knapp 20 Jahre später musste er sich vor einem Gericht in Jerusalem verantworten.

Man saß zwanglos bei Cognac - "keine steife Angelegenheit"

Die Konferenz in einer idyllisch am Berliner Wannsee gelegenen Villa habe in lockerer Atmosphäre stattgefunden, so Eichmann vor Gericht:
"Die Ordonanzen reichten während der ganzen Zeit Cognac oder andere Getränke, nicht dass etwa eine alkoholische Wirkung zustande gekommen ist. Ich will damit nur sagen, es war zwar eine offizielle Angelegenheit, aber doch wieder keine steife offizielle Angelegenheit, sondern wo am Ende alles durcheinander gesprochen hatte."

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Die Ermordung der europäischen Juden als Konsequenz des nationalsozialistischen Rassenwahns war keine geheime Kommandosache, sondern von führenden Nazis schon Jahre zuvor öffentlich angekündigt worden, zum Beispiel von Adolf Hitler in einer Rede vor dem Reichstag am 30. Januar 1939:
"Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in- und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa!“

Hunderttausende Juden hatte das NS-Regime bereits ermordet

Nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Sommer 1941 wurden dann Hunderttausende sowjetische Juden umgebracht und Zehntausende deutsche Juden in den Osten deportiert. Zugleich erhielt Reinhard Heydrich als Chef des Reichssicherheitshauptamtes den Auftrag, alle erforderlichen Maßnahmen für eine „Gesamtlösung der Judenfrage“ zu treffen, im Sprachgebrauch der Nazis ein Synonym für die Ermordung der europäischen Juden. Heydrich entwarf am Schreibtisch ein Konzept und lud für den 20. Januar 1942 insgesamt 15 Personen in das Gästehaus der SS am Großen Wannsee 56 bis 58, darunter mehrere Staatssekretäre sowie hohe SS- und Partei-Führer. Einziger Tagesordnungspunkt der nur 90 Minuten dauernden Besprechung mit anschließendem Frühstück: die sogenannte Endlösung der Judenfrage. Peter Longerich, Autor eines Buches über die Wannseekonferenz:
"Die haben über ein Jahr zusammen gesessen, die Sachbearbeiter, haben die Fragen der Deportation beraten. Und nun kommen die Staatssekretäre zusammen, und die sollen eine endgültige Entscheidung treffen in den Fragen, die noch offen sind. Alle befanden sich ja auf völligem Neuland, sie wussten nicht, wie man das macht, wie man elf Millionen Menschen umbringt unter Kriegsbedingungen."
Der frühere SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann vor Gericht in Jerusalem, 13. April 1961
Der frühere SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann vor Gericht in Jerusalem, 13. April 1961 (picture alliance / Votava)

Eichmann protokolliert mit deutscher Gründlichkeit

Das von Adolf Eichmann angefertigte „Besprechungsprotokoll“ hielt die Ergebnisse der Konferenz fest. Darin heißt es:
"Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Endlösung die Juden in geeigneter Weise im Osten zum Arbeitseinsatz kommen, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird entsprechend behandelt werden müssen."
Mit deutscher Gründlichkeit vermerkte das Protokoll die Zahl der Juden, die in den einzelnen Ländern in Betracht kamen: "Bulgarien: 48.000; England: 330.000; Estland: judenfrei; Griechenland: 69.000; Niederlande: 160.000; Portugal: 3.000; Schweden: 8.000; UdSSR: 5 Millionen"!

Wannseekonferenz als Chiffre des Genozids

Kein Teilnehmer erhob grundlegende Bedenken gegen den geplanten Massenmord. Reinhard Heydrich konnte sich allerdings nicht in allen Punkten durchsetzen. So wollte er beispielsweise auch sogenannte Halbjuden und jüdische Ehepartner von Nichtjuden deportieren lassen, scheiterte damit aber am Einspruch des Reichsinnenministeriums.
Heydrich kam wenige Monate später bei einem Attentat in Prag ums Leben. Sein Tod, so Peter Longerich, konnte die Mordmaschinerie des NS-Regimes jedoch nicht aufhalten, "weil Himmler nun tatsächlich daran ging, diese rassistische Vernichtungspolitik in ganz Europa mit Unterstützung Hitlers zu einem Instrument der nationalsozialistischen Kriegsführung für den Rest des Krieges zu machen."
Von den vorgesehenen elf Millionen Jüdinnen und Juden ermordeten die Nationalsozialisten schließlich rund sechs Millionen, die Wannseekonferenz wurde zur Chiffre eines einzigartigen Völkermords.