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US-Kino-Start vor 90 Jahren
Als der „Shanghai-Express“ zum Welterfolg fuhr

Nach dem deutschen Erfolg mit "Der Blaue Engel" drehten Regisseur Josef von Sternberg und Marlene Dietrich noch sechs weitere Filme in Hollywood. Ihr größter gemeinsamer Hit wurde der romantisch-exotische Abenteuer-Film "Shanghai-Express". Heute vor 90 Jahren kam er in die Kinos.

Von Hartmut Goege | 12.02.2022
Clive Brook und  Marlene Dietrich in "Schanghai-Express" - Josef von Sternbergs Film von 1932 nach einer Erzählung von Harry Hervey
Clive Brook und Marlene Dietrich in "Schanghai-Express" - Josef von Sternbergs Film von 1932 nach einer Erzählung von Harry Hervey (picture-alliance / akg-images)
Kamerafahrten über dicht gedrängte, mit Körben und Kisten beladene Reisende. Schwenks auf Zigaretten rauchende, ölverschmierte Maschinisten. Überblendungen auf eine elegante, schwarz gekleidete Unbekannte, die sich durch das Bahnhofsgetümmel drängt, auf Händler, Hühner und eine magere Kuh, die vor einer dampfenden Lokomotive die Gleise blockieren.
Rund zehn Minuten lässt sich Regisseur Josef von Sternberg am Anfang Zeit, um das geschäftige Treiben im Pekinger Bahnhof vor Abfahrt des Shanghai-Expresses einzufangen. Es sind die mit Abstand schönsten Sequenzen des Films: Die aufwendige Gestaltung exotischer Kulissen und die atmosphärisch dichten Licht- und Schattenspiele waren Ausdruck der starken visuellen Kraft, mit der sich Sternberg seit den Zwanzigerjahren einen Namen gemacht hatte.

Fern der Großen Depression zu Hause

Als Shanghai Express am 12. Februar 1932 in den US-Kinos anlief, bediente er vor allem die Lust des Publikums auf romantisch-exotische Abenteuer, weit entfernt von der harten Realität der Depressionszeit. Der Film erzählt die melodramatische Geschichte einer Bahnfahrt während des chinesischen Bürgerkriegs, in deren Verlauf die von Marlene Dietrich gespielte Kurtisane Shanghai Lily auf ihren früheren Geliebten, den Militärarzt Donald Harvey, trifft.
"Hast du oft an mich gedacht, Doc?"
"Mal sehen, wie lange genau ist es her? Fünf Jahre und vier Wochen!"
"Nun, fünf Jahre und vier Wochen lang habe ich an nichts anderes gedacht!"

Die Dietrich als Sexsymbol neuen Typs

Nach dem Welterfolg im "Blauen Engel",sollte Marlene Dietrich mit einem Siebenjahres-Vertrag, Paramounts Antwort auf den ungeheuer populären MGM-Star Greta Garbo werden. Innerhalb von 18 Monaten formte ihr Mentor Sternberg die Dietrich zu einem neuartigen Sexsymbol mit androgynem Touch; was das populäre New Yorker Hochglanzmagazin, "Vanity Fair" nach der Premiere allerdings wenig schmeichelhaft kommentierte:
“Er hat aus ihr eine Paramount-Dirne gemacht. Nach seinen eigenen Worten ist Sternberg sowohl ein Mann, der meditiert, als auch ein Mann der Tat. Aber er konzentriert sich nicht auf den Nabel von Buddha; seine Liebe gilt dem Nabel der Venus."
Solche Kritiken aber machten die Dietrich nur interessanter. Wie schon im gemeinsamen ersten englischsprachigen Film "Morocco", ließ Sternberg sie immer wieder durch Schleier, Rauchschwaden, Netze oder Vorhänge filmen, um das ruchbare ihrer Person hervorzuheben. Laut Drehbuch spielt Marlene Dietrich „eine geheimnisvolle Frau, die sich an der chinesischen Küste mit Gerissenheit durchs Leben schlägt“. Als der Zug von Rebellen überfallen wird, opfert sie sich für ihren einstigen Liebhaber, indem sie ihre „Dienste“ dem Anführer als Tausch für Harveys Leben anbietet. "Du gehst besser, Donald. Ich habe beschlossen, sein Angebot anzunehmen."

Zwischen Kassenerfolg und Verrissen

Eine kleine Szene danach, die nur ihre betenden Hände zeigt, soll dem Publikum offenbaren, dass die verruchte Shanghai Lily fähig ist zu Treue und Moral. Der Kritik, dass die Handlung, wie in vielen seiner Filme einem einfachen Strickmuster folgt, während die Darsteller merkwürdig unbeteiligt wirken, entgegnete Josef von Sternberg später in seiner Autobiografie lakonisch:
„Die Schauspieler konnten meine Anweisungen zwar nicht so schnell befolgen, wie der Zug fuhr, in dem sie saßen, aber ich hielt mein chinesisches Gemälde, das meiner Fantasie entsprang, für sehr eindrucksvoll.“
Shanghai Express wurde zum größten Erfolg der Sternberg-Dietrich-Konstellation. Ihr verschleierter Blick und ihre kühle Weiblichkeit kamen beim Publikum an, nicht aber bei allen Filmjournalisten. Rudolf Arnheim etwa, angesehener Kritiker in Tucholskys "Weltbühne", spottete:
„Die mimische Unbeweglichkeit dieser unaufhörlich von den Gefahren der Erschießung, der Folterung und des unfreiwilligen Beischlafs bedrohten Paramount-Menschen muss Buster Keaton vor Neid erblassen lassen. Statt dem üblichen Kitsch hemmungsloser Gefühlsaufwallung hat Sternberg den Kitsch der Diskretion erfunden.“
Am Ende – der Anführer wird erstochen, Shanghai Lily befreit - führt die Abenteuer-Reise beide wieder zusammen. Das Duo Dietrich-Sternberg hielt es noch drei Jahre und drei Filme miteinander aus, bevor allein Marlene Dietrichs Weltstar-Image, Fahrt aufnahm. Josef von Sternbergs Arbeiten ohne „seinen“ Star wirkten zunehmend belangloser.