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Vor 95 Jahren
Sven Hedins Aufbruch zu seiner letzten Asienexpedition

Bei seiner vierten und letzten Entdeckungsreise nach Zentralasien sollte der schwedische Geograf Sven Hedin 1927 eine Fluglinie zwischen Berlin und Peking vorbereiten. Erst rund 80 Jahre später wurde bekannt, dass das Geld für das teure und heikle Projekt von der deutschen Reichsregierung stammte.

Von Irene Meichsner | 20.05.2022
 Der Topograf und Entdecker Sven Hedin circa 1900 auf einem Trampeltier in der zentralasiatischen Steppe
Sven Hedin um das Jahr 1900 auf einem Trampeltier in Zentralasien (picture alliance / CPA Media)
"In den letzten Tagen vor dem Start hatten wir uns mit den unzähligen praktischen Dingen beschäftigt, die mit der Ausrüstung einer großen Karawane einhergehen. Am frühen Morgen des 20. Mai 1927 kamen unsere Kamele, jedes wurde mit zwei Kisten beladen. Dann gab ich das Signal zum Aufbruch. Ich wartete, bis rund 150 Kamele vorbeigezogen waren, und reihte mich ungefähr in der Mitte ein. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie die Karawane länger und länger wurde. Die große Expedition in das Herz Asiens hatte begonnen.“
Sven Hedin war 62 Jahre alt, als er sich von einem Sammellager in Baotou in der inneren Mongolei aus auf den Weg machte. Es war die vierte und letzte Asienexpedition des berühmten Schweden. Und es war zugleich seine teuerste und diplomatisch heikelste Mission Denn, so Hedin 1950 in einem Radiogespräch aus Anlass seines 85. Geburtstags:
"Es war nämlich die Absicht, im Dienste der Lufthansa eine Luftlinie durch Asien, zwischen Berlin und Peking/Shanghai, zu kartieren und zu untersuchen, also für den Bodendienst"

Peking witterte Spionage

Was Hedin bis an sein Lebensende verschwieg: Das Geld für dieses Projekt - umgerechnet rund 6,5 Millionen Euro - stammte nicht von der Lufthansa, sondern der deutschen Reichsregierung, was ein Forscher der Universität Bonn erst 2003 beim Studium von Akten aus dem Auswärtigen Amt entdeckte. Die Lufthansa diente nur als Rechnungsstelle; in Absprache mit Außenminister Gustav Stresemann war darüber strengste Geheimhaltung vereinbart worden.
In China herrschte damals Bürgerkrieg, die Behörden waren misstrauisch, sie befürchteten Spionage und einen Ausverkauf chinesischer Antiquitäten. Erst nach zähen Verhandlungen hatten sie Hedin eine Reiseerlaubnis erteilt – unter der Bedingung, dass neben elf Deutschen, sechs Schweden und einem Dänen auch zehn Chinesen an der Expedition teilnahmen. Zu tun gab es für die Männer genug.
"Es wurden unterwegs ja meteorologische Beobachtungen gemacht, es wurden Karten gezeichnet, geografische Beobachtungen durchgeführt, Pflanzen gesammelt, es wurden Grabungen veranstaltet an Stellen, wo wir an Ruinen kamen. Ja, wir waren sozusagen eine wandernde Universität: 19 Wissenschaftler",

2.000 Kilometer durch die Wüste

erinnerte sich Hans Eduard Dettmann, ein ehemaliger Marineoffizier und Flugsachverständiger, der für die präzise Standortbestimmung zuständig war. Im Hinblick auf die geplante Flugverbindung zwischen Berlin und Peking ging es hauptsächlich darum, Orte festzulegen, die sich für Zwischenlandungen, Benzindepots und Wetterstationen eigneten. Innerhalb eines dreiviertel Jahres legte die Karawane eine Strecke von über 2.000 Kilometern zurück.

"Zu Anfang waren es 30, 40 Kilometer, dann waren es täglich schon etwas weniger, je weiter wir kamen, und je müder die Kamele wurden. Kamen manchmal nur noch 20 Kilometer, 10 Kilometer weiter, wenn wir Sandsturm hatten. Ja, wir haben einmal sogar 36 Stunden in wasserloser Wüsten einen Sandsturm über uns ergehen lassen müssen.“

Enttäuschung in Xinjiang

Sven Hedin,so Eduard Dettmann, war glücklich, endlich wieder unterwegs zu sein - einschließlich aller Entbehrungen: "Im Winter hatte er, genauso wie wir, unseren Pelzschlafsack; wenn man dann am Morgen wieder aufwachte, dann waren richtige Eiszotteln oben an den Pelzen dran.“

Und dann die herbe Enttäuschung, als die Männer im Februar 1928 - nach einem strapaziösen Marsch durch die Wüste Gobi - Urumtschi erreichten, die Hauptstadt der chinesischen Provinz Xinjiang. Doch hier, so Sven Hedin:
„Der Generalgouverneur im Herzen von Asien aber, General Yang - er wollte keine Flugzeuge über sein Gebiet haben. Und sein Gebiet, die Provinz Xinjiang, war ja fast das ganze Zentralasien. In dieser Weise wurde die Flugexpedition verschoben. Und konnte damals nicht ausgeführt werden, wie wir es gewünscht hatten.“

Der Hitler-Verehrer unterwegs in NS-Deutschland

Die elf deutschen Teilnehmer wurden nach Berlin zurückbeordert. Aber Hedin gab nicht auf. Er schaffte es, Gelder der schwedischen Regierung zu mobilisieren, und setzte seine Asienexpedition bis 1935 fort. Gleich nach seiner Rückkehr reiste er für eine Vortragstournee nach Deutschland, wo inzwischen die Nationalsozialisten die Macht ergriffen hatten. Sven Hedin sympathisierte offen mit den Nazis. Seine überschwängliche Begeisterung für Adolf Hitler hat man ihm bis zu seinem Tod 1952 nicht verziehen.