Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Änderung zu Stickoxid-Grenzwerten
"Nackte Panikreaktion, angesichts der Landtagswahlen in Hessen"

Die Bundesregierung will das Emissionsschutzgesetz ändern und damit Fahrverbote verhindern. Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe kritisiert das Vorhaben: "Die Maßnahme ist einfach rechtswidrig", sagte er im Dlf. Schließlich seien die Grenzwerte für Stickstoffdioxid europaweit festgelegt.

Jürgen Resch im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 23.10.2018
    Abendlicher Berufsverkehr auf dem Kaiserdamm im Zentrum von Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa | Verwendung weltweit
    Abendlicher Berufsverkehr auf dem Kaiserdamm im Zentrum von Berlin. (Michael Kappeler / dpa)
    Dirk-Oliver Heckmann: Am Sonntag sind auf Betreiben von Hessens Ministerpräsident Bouffier Vorstand und Präsidium der CDU in Berlin zusammengetroffen. Das Ziel, kurz vor der Wahl in Hessen noch mal Botschaften an das Wahlvolk zu senden. Das eine Signal war, weitere Waffenlieferungen an Saudi-Arabien soll und kann es derzeit nicht geben. Das zweite Signal, das Bundesemissionsschutzgesetz soll geändert werden.
    Wir hätten gerne mit dem SPD-geführten Umweltministerium unter Svenja Schulze darüber gesprochen. Leider stand uns niemand aus dem Ministerium zur Verfügung. Ebenso wenig übrigens wie aus der SPD und der Unions-Bundestagsfraktion. Dafür wurden teilweise Termingründe genannt.
    Zeit aber hat Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Das ist eine nichtstaatliche Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation, die zahlreiche Städte wegen der Nichteinhaltung von Stickstoff-Grenzwerten verklagt hat und in mehreren Fällen Fahrverbote durchgesetzt hat. Guten Morgen, Herr Resch!
    Jürgen Resch: Einen schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Resch, die Bundesregierung will das Emissionsschutzgesetz ändern und damit Fahrverbote in Städten, in denen der Grenzwert nur geringfügig überschritten wird, verhindern. Ist das ein taugliches Instrument?
    Resch: Das ist eine nackte Panikreaktion, angesichts der Landtagswahlen in Hessen. Die Maßnahme ist einfach rechtswidrig, denn die EU-Kommission hat festgelegt, übrigens mit den ganzen Mitgliedsstaaten, dass die Grenzwerte bei 40 liegen, und es ist einfach nicht zulässig, dass ein Mitgliedsstaat die Werte verändert.
    Wir haben übrigens dazu am 27. Februar genau zu dieser Frage eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gehabt. Man hat ja zuvor schon mit anderen Formulierungen versucht, Fahrverbote zu verhindern. Die Kernaussage des Bundesverwaltungsgerichts war: Wenn nationales Recht gegen europäisches Recht steht, ist das nationale Recht unangewandt zu belassen.
    Aber es geht ja noch weiter. Frau Merkel hat sich die Hand führen lassen von der Automobilindustrie, hat in einer falschen Liste nachgeschaut. Selbst wenn jetzt ihre europarechtswidrige Regelung käme, was ich gar nicht glaube, sie gelte nicht für Hessen. Frankfurt hat nämlich Belastungswerte von knapp 60 Mikrogramm und ist so oder so von Fahrverboten betroffen.
    Man sieht einfach, wenn man drei Jahre lang jetzt nachdenkt, die Probleme zu lösen, und immer nur sich mit der Automobilindustrie trifft, dann kommt so was heraus. Die Bundesregierung ist offensichtlich nicht mehr in der Lage, eigenständige Entscheidungen zu treffen und wirklich den Menschen zu helfen, den Millionen von Menschen, denen betrügerische Fahrzeuge angedreht wurden, mit denen sie jetzt nicht mehr in die Stadt hineinkommen.
    Verkehrsminister Alexander Dobrindt (l-r, CSU),VDA-Präsident Matthias Wissmann und der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, applaudieren der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am 14.09.2017
    VDA-Präsident Matthias Wissmann (Mitte) und der Vorstandsvorsitzende der Daimler AG, Dieter Zetsche, applaudieren der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) (dpa/Andreas Arnold)
    "Man möchte nicht an die Autoindustrie heran"
    Heckmann: Herr Resch, Sie sagen, rechtswidrig. Das werden Union und SPD völlig anders sehen. Das muss man auch mal sehen, wie das ausgeht, wenn es vor Gericht landet. Aber ist es nicht erst mal nachvollziehbar, dass Union und SPD die Interessen von Dieselfahrern schützen wollen?
    Resch: Die Interessen der Dieselfahrer werden dadurch nicht geschützt, denn die Dieselfahrer haben ein Recht darauf, dass ihre Fahrzeuge überall einfahren können. Die haben teilweise vor drei Jahren ein Euro-fünf-Fahrzeug gekauft. Ihnen wurde versprochen, das sei ganz besonders sauber. Diese Fahrzeuge haben 60 Prozent an Wert verloren. Deswegen fordern wir von Anfang an, dass die Automobilindustrie gezwungen wird, in einem zwei- bis vierstündigen Werkstattaufenthalt die nicht funktionierende Abgasreinigung durch einen praktischen SCR-Kat, durch eine Nachrüstung auszutauschen, und damit können sie dann auch in diese sogenannten Intensivstädte einfahren.
    Die Hilfe für die Automobilindustrie ist im Moment offensichtlich und die für die Bürger bleibt aus, und ich verstehe einfach nicht, warum auch jetzt wenige Tage vor der Landtagswahl weder die SPD, noch die CDU im Bund durchgreift und zum Beispiel auch die 5000 Euro Strafe pro Betrugsdiesel verlangt. Die können sofort exekutiert werden. Dann hätte man 22,5 Milliarden Euro im Topf und könnte daraus die Hardware-Nachrüstungen finanzieren. Möglich wäre es.
    Wir sehen nur: Man möchte nicht an die Autoindustrie heran. Man möchte ihr nichts auferlegen. Man setzt ausschließlich auf Freiwilligkeit. Das verstehen die Bürger, dass das nicht mehr praktisch eine Hilfestellung ist für die saubere Luft, sondern nur noch, um entsprechende Gewinne weiter steigen zu lassen.
    Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch, spricht am 11.01.2018 in Stuttgart (Baden-Württemberg) während einer Pressekonferenz.
    Der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch (picture alliance / dpa / Marijan Murat)
    Heckmann: Herr Resch, ich möchte noch mal zurückkommen zum Emissionsschutzgesetz, dass das geändert werden soll. So der Plan jedenfalls. Es sollen ja nur Städte betroffen sein, in denen der Grenzwert geringfügig überschritten ist und wenn dort andere Maßnahmen ergriffen wurden, und da gibt es ja eine ganze Menge. Das müssen Sie, denke ich, zugeben. Nämlich den Ausbau der Elektrofahrzeuge in den städtischen Flotten, die Software-Updates, die Umtauschprämien und zum Teil auch Hardware-Nachrüstungen.
    Resch: Ja! Fangen wir doch mal mit den letzteren an. Herr Scheuer hat angekündigt, für Busse, für Handwerkerfahrzeuge und für Kommunalfahrzeuge gäbe es jetzt 80 Prozent Zuschuss. Die Wahrheit ist: Es gibt für keinen dieser drei Fahrzeuggruppen 80 Prozent Zuschuss. Wir warten seit über 14 Monaten auf den Beginn dieser Zuschüsse bei den Bussen. Bei den anderen Fahrzeugen hat sich auch mittlerweile herausgestellt, dass man ja erst die Anträge stellen müsste in Brüssel - wird also noch einige Zeit dauern.
    Auch die anderen Maßnahmen, die versprochen werden, Elektrofahrzeuge, die nicht vorhanden sind, führen nicht dazu, dass, wie das Bundesverwaltungsgericht abschließend festgestellt hat, im nächsten Jahr die Luftreinhaltewerte eingehalten werden müssen.
    Wir haben im Moment in der Betrachtung der Entwicklung viele Städte, bei denen die Werte wieder nach oben gehen.
    "Die Grenzwerte gehen nicht automatisch runter"
    Heckmann: Woher wissen Sie das, Herr Resch, dass die Grenzwerte im nächsten Jahr nicht eingehalten werden können mit diesen Maßnahmen?
    Resch: Wir wissen erst mal, dass die Grenzwerte nicht automatisch runtergehen. Wir hatten im letzten Jahr meteorologisch bedingt bessere Werte. Wir sehen aktuell, dass an vielen Messstellen die Werte wieder nach oben gehen. Gerade in Kiel sind sie sehr stark auch wieder angestiegen. Wir haben seit Jahren ein mehr oder weniger Tableau, oder wenn überhaupt einen geringfügigen Rückgang. Das heißt: Dort wo wir 45, 46, 47 Mikrogramm haben, ist es unwahrscheinlich, dass wir im nächsten Jahr die Werte einhalten.
    Die Deutsche Umwelthilfe hat 34 Klagen gestartet. Wir haben bis jetzt sieben Entscheidungen gehabt. Die haben wir alle gewonnen. Und wir haben auch bei 48 begonnen. Wir haben niemand verklagt, der bei 41 oder 42 lag. Aber wir sehen gerade mit großer Sorge, weil keine Maßnahmen ergriffen werden, die Fahrzeuge sauber zu machen, die unterwegs sind, wir sehen mit großer Sorge, dass einfach dieses Tableau sich in Städten auch unterhalb von 50 hält, und es bleiben im Moment keine Maßnahmen übrig, außer, was sehr begrüßenswert ist, dass der Anteil von Dieselfahrzeugen zurückgeht.
    Was mich ganz besonders betrübt ist, dass auch die Euro-sechs-Diesel, die im Moment verkauft werden, zum Teil Rekordwerte haben. Wir haben hier Fahrzeuge, die sind schmutziger, teilweise um das Doppelte schmutziger als Euro-fünf-Fahrzeuge. Deswegen hat Berlin unsere Forderung auch aufgegriffen und prüft im Moment auch Fahrverbote für Euro-6a oder 6c-Diesel.
    Wir kommen nicht darum herum, diese Fahrzeuge für zwei bis vier Stunden in die Werkstatt zu holen und die Bremse für die Luftschadstoffe einfach zu reparieren. Bei der Fahrzeugbremse gäbe es überhaupt keine Diskussion, dass der Hersteller verurteilt wird, das zu machen. Bei der Bremse für die Luftschadstoffe muss es die Bundesregierung endlich tun.
    Autos fahren unter einer Brücke hindurch, an der ein Warnschild mit der Aufschrift "Feinstaub-Alarm Umweltzone Stuttgart - bitte Busse und Bahnen nutzen" hängt.
    Feinstaub-Alarm in Stuttgart (imago/stock&people/Arnulf Hettrich)
    "Elf Millionen Dieselbesitzer werden im Stich gelassen"
    Heckmann: Das sieht die Automobilindustrie völlig anders. Die bezweifelt die Wirksamkeit dieser Maßnahmen und lehnt das deswegen auch ab. Aber noch mal zurück zum Emissionsschutzgesetz. Das Umweltministerium hat gestern klargestellt: Der Bund könne Fahrverbote ja gar nicht verbieten, sondern es gehe nur um Klarheit bei der Verhältnismäßigkeit. Was sagen Sie zu dieser Argumentation?
    Resch: Das ist völlig klar. Wir fordern ja auch keine Fahrverbote, wenn sie entbehrlich sind. Fahrverbote sind ultima ratio. Das heißt, wenn alle anderen Maßnahmen nicht ausreichen. In Frankfurt beispielsweise haben wir erst mal durchgesetzt, dass die Anzahl der innerstädtischen Parkplätze abgebaut und die verbliebenen verteuert werden, dass die Busse sauber gemacht werden, und dann erst kommen die Fahrverbote.
    Wenn eine Stadt wirklich mit anderen Maßnahmen hinkommt - wunderbar! Wir haben aber überall dort, wo es nicht ausreicht, Fahrradwege auszubauen oder auch die Elektromobilität zu fördern, die zwingende Verpflichtung, im nächsten Jahr die Luft sauber zu machen. Leipzig hat gesagt, 2020 ist zu spät. Und vielleicht noch mal zur Hardware-Nachrüstung: Selbst der ADAC, der jetzt nicht unbedingt zu unseren größten Freunden zählt, hat jetzt einen Langzeittest gemacht und festgestellt, die Hardware-Nachrüstung geht in kürzester Zeit und funktioniert.
    Wir haben uns jetzt gerade für ein deutsches Fahrzeug aus den USA eine Abgasanlage als Ersatzteil bestellt, eingebaut ins Auto, in unserem Emissionskontrollinstitut gemessen 85 Prozent Reinigung. Da muss ich nichts entwickeln; ich muss nur aus den USA deutsche Bauteile nehmen, die wegen den dort strengeren Kontrollen ja verbaut werden.
    Heckmann: Wie gesagt, das sieht die Automobilindustrie anders. Herr Resch, wir haben nicht mehr so wahnsinnig viel Zeit. Letzte Frage zum Schluss an Sie: Fasse ich Ihre Haltung richtig zusammen, wenn ich sage, Sie behaupten, der GroKo ist der Schutz der Dieselfahrer so wichtig, dass sie die Interessen von Millionen Stadtbewohnern über die Klinge springen lassen?
    Resch: Exakt! Elf Millionen Dieselbesitzer werden im Stich gelassen. Die sollen Software-Updates akzeptieren, die nicht zur Veränderung ihrer Einstufung führen. Das heißt, die bleiben von Fahrverboten betroffen. Und Millionen Menschen werden weiter leiden. Ich zitiere hier die GroKo. Das Umweltbundesamt hat im März veröffentlicht, 800.000 Menschen erkranken jedes Jahr am Dieselabgasgift Stickstoff-Dioxid, und diese bleiben im Dieseldunst stehen.
    Heckmann: Der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch war das über die Dieselproblematik. Herr Resch, danke Ihnen für Ihre Zeit und für das Gespräch!
    Resch: Einen schönen Tag noch!
    Heckmann: Wünsche ich Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.