
Es ist eine Debatte, die fast so alt ist wie die Partei selbst: Sollte man Vertreterinnen und Vertreter der AfD zu Interviews oder in Talkshows einladen? Oder gibt man der AfD damit eine Bühne, die die Partei missbraucht? Schließlich greifen Vertreter der Partei demokratische Institutionen an, relativieren Fakten und nutzen rassistische Rhetorik.
Friedbert Meurer und Christiane Florin, zwei abteilungsleitende Mitarbeitende des Deutschlandradios, haben dazu unterschiedliche Ansichten.
Sollten AfD-Interviews im Deutschlandfunk stattfinden?
„Wir haben in der Tat die Entscheidung getroffen und behalten Sie bei, dass wir Interviews mit der AfD führen“, sagt Friedbert Meurer. Der Leiter der Abteilung „Aktuelles“ im Deutschlandfunk (Dlf) betont, dass dieser als bundesweiter und öffentlich-rechtlicher Sender eine „Bühne des Dialogs“ herstellen wolle – „für möglichst alle Meinungen in diesem Land“.
Christiane Florin spricht sich dafür aus, dass Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der AfD im Deutschlandfunk nicht stattfinden sollten. Die Leiterin der Abteilung „Kultur aktuell“ erklärt: „Wir sind zur Objektivität und Ausgewogenheit verpflichtet, aber eben nicht zur Neutralität.“ Ausgewogenheit bedeute keinesfalls, die AfD nach einem Proporzsystem speziell in Interviews zu Wort kommen zu lassen. Ausgewogenheit stelle sich über das gesamte Programm her, so die Journalistin.
Wir müssen über die AfD berichten, wir können sie nicht ignorieren, das ist ja klar. Wir müssen auch mit ihren Vertreterinnen und Vertretern sprechen. Aber wir müssen das eben nicht in Live-Interviews tun.
Christiane Florin, Leiterin der Abteilung „Kultur aktuell“ im Deutschlandfunk
Florin begründet ihre Nein-Haltung damit, dass die AfD Menschenrechte missachte und den demokratischen Diskurs zerstöre. Zudem bekämpfe die Partei unabhängigen Journalismus. „Ich finde, indem wir sie einladen, normalisieren wir derart extreme Positionen.“
Meurer betont hingegen, dass es in Zeiten einer sich polarisierenden Gesellschaft umso wichtiger sei, konträre Teile dieser Gesellschaft im Gespräch zusammenzuhalten. „Ich möchte, dass wir für einen Teil der Bevölkerung erreichbar bleiben, die sonst Gefahr laufen, ganz vom System der Öffentlich-Rechtlichen wegzugehen. Das wäre der schlimmste Schaden, den wir anrichten könnten“, ist der Journalist überzeugt.
Fehlt der AfD die Bereitschaft zur Kommunikation?
Die AfD teile keine gemeinsame Kommunikationsbasis. Nicht zuletzt das mache Interviews mit dieser Partei so schwierig, wendet Christiane Florin ein. „Auch für ein kontroverses Interview brauche ich ja eine gemeinsame Basis, dass ich jetzt bereit bin, dieses Interview zu führen – einerseits als Journalist kritische Fragen zu stellen und auf der anderen Seite, dass ich mich auch auf diese Fragen einlasse und dass ich die auch beantworte. Und diese Kommunikationsbasis ist in Anbetracht der Kommunikationsstrategie der AfD nicht gegeben“, sagt sie. Die Kommunikation der AfD ziele auf die Zerstörung des Diskurses.
Für die journalistische Form des Interviews könnte das Folgen haben. Florin: „Wenn ich weiß, dass mein Gegenüber lügt, wenn ich weiß, dass mein Gegenüber Täter-Opfer-Umkehr systematisch betreibt: Muss ich da nicht etwas an meinen journalistischen Formaten verändern? Auch Talkshows zum Beispiel müssten sich eigentlich diese Frage stellen.“
Trotz aller Schwierigkeiten, die Interviews mit der AfD mit sich bringen können, plädiert Friedbert Meurer dafür, sich nicht vor dieser Aufgabe zu drücken. „Es ist der gesamtgesellschaftliche Diskurs, den wir zu führen haben“, sagt er.
Florin stellt klar, dass die AfD keinesfalls vom gesamten Programm ausgeschlossen werden solle und könne. Es gehe bloß darum, nicht mehr ohne Einordung mit dieser Partei zu sprechen. Auch bei allerbester Vorbereitung, sagt Florin, haben Interviews und Talkshows immer den Haken, dass man nicht allen Pfaden widersprechen kann, auf die die AfD führt – „weil es ja zur Strategie der AfD gehört, dass man in einem Satz drei Unwahrheiten unterbringt.“ Auch der am besten vorbereitete Moderator könne vielleicht an einer Stelle Gegenrede leisten, „aber zwei gehen völlig unwidersprochen durch“, sagt Florin. Deshalb müsse man für die AfD andere Formen finden als das Livegespräch und das Interview, so die Journalistin.
Friedbert Meurer widerspricht. Wenn AfD-Politiker nicht mehr zu Interviews eingeladen werden, würde der Deutschlandfunk dazu beitragen, dass potenzielle Wählerinnen und Wähler Informationen nur noch direkt und ungefiltert über die Social-Media-Kanäle der AfD aufnehmen. Umso wichtiger sei das „Wie“ bei der Interview-Führung, sagt Meurer: „Nachfragen, entgegensetzen. Auch um den Preis, dass man nicht alles einfangen kann. Das ist nicht möglich.“
Erleichtern es Interviews der AfD, Tatsachen zu verdrehen?
Am 2. Juni 2025 wurde die stellvertretende Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion, Beatrix von Storch, im Deutschlandfunk interviewt. Inhaltlich ging es um anstehende Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul. Von Storch lässt in dem Gespräch erkennen, dass sie die Aggression nicht zuletzt auf Seiten der Ukraine sieht und weniger von Russland ausgehend.
Wenn die AfD-Politikerin in diesem Interview die Tatsachen verdrehe, müsse die Moderation dagegenhalten, sagt Friedbert Meurer und ergänzt: „Und das hat Christoph Heinemann gemacht. Er hat auf die Menschenrechtsverletzungen hingewiesen, auf die schweren Folterungen in Butscha usw. Er hat diesen Gegenstandspunkt selbstverständlich eingenommen.“
Wir geben keine Bühne. Bei uns dürfen sich nicht AfD-Politiker hinstellen und können salbadern und ungestört alles mögliche reden.
Friedbert Meurer, Leiter der Abteilung „Aktuelles“ im Deutschlandfunk
Eine ungestörte Bühne gebe der Deutschlandfunk nicht, betont Meurer. „Sie werden zu einem Interview eingeladen – zu einem kontroversen Interview.“
Auch Christiane Florin sieht die Aufgabe des Moderators als erfüllt an: „Das war es ein kritisch geführtes Interview und Christoph Heinemann hat ihr ja widersprochen.“ Trotzdem hält die Journalistin Interviews mit der AfD generell für keine gute Idee.
Also niemanden zum Gespräch einladen, der Täter-Opfer-Umkehr betreibt? Das ist in den Augen Friedbert Meurers wiederum keine wirkliche Lösung. Nach dieser Logik müsse man schließlich auch das BSW ausschließen, sagt er. „Dann kommen wir auf einen Wähleranteil in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen von weit über 50 Prozent, die wir vom gesamtgesellschaftlichen Diskurs in Bund und Ländern ausschließen werden. Und daraus leite ich ab: Das können wir als Deutschlandfunk nicht machen.“
Verstärkt ein Interview-Ausschluss den Opfermythos der AfD?
Friedbert Meurer warnt: „Wenn wir die AfD nicht interviewen, schaffen wir einen Opfermythos. Wir treiben dieser Partei zusätzliche Wählerinnen und Wähler in die Arme und schaden dabei der Glaubwürdigkeit des Deutschlandfunks.“
Christiane Florin sieht das anders. Einen Opfermythos betreibe die Partei sowieso. „Wenn wir sie nicht einladen, machen sie sich zum Opfer. Wenn wir sie einladen, dann sagen sie ‚Guck mal, wir sind da viel härter angefasst worden als alle anderen.‘ Der Opfermythos gehört zur Ideologie dieser Partei dazu. Den werden wir nicht verhindern.“
Haben Medien die AfD größer gemacht?
Immer wieder keimt die Behauptung auf, nach welcher Medien dazu beitragen, die AfD groß zu machen. Friedbert Meurer verweist auf eine gegenteilige These. Man müsse bloß die AfD hinter die Brandmauer stellen und nicht mit ihr reden, dadurch schwäche man sie. Dieses Konzept sei gescheitert, sagt er.

Nein. Solch ein Konzept wurde bloß nicht geschlossen praktiziert, betont hingegen Christiane Florin, „also ein Konzept, bei dem öffentlich-rechtliche Sender in ihrer Gesamtheit die AfD hinter die Brandmauer gestellt haben“. In Belgien existiert eine solche Übereinkunft, betont sie. Dort gibt es seit mehr als 30 Jahren die sogenannte „Cordon sanitaire“. Die politische Vereinbarung dahinter: keine Zusammenarbeit mit dem Vlaams Blok, einer flämischen Rechtsaußen-Partei – von der lokalen bis zur nationalen und europäischen Ebene.
jma