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Alice Schwarzer zu ihrem 80. Geburtstag
Beauvoir und Boulevard

Ob Transsexualität oder Krieg gegen Ukraine: Bis heute mischt Alice Schwarzer mit bei gesellschaftlichen Debatten. Und angeeckt ist sie dabei von Anfang an. Ein Blick zurück mit der Journalistin und Frauenrechtlerin.

Von Bettina Köster |
Alice Schwarzer, Autorin und Feministin: Hier Anfang März 2022 bei der Ausstellung "Das andere Geschlecht" in Bonn
Alice Schwarzer, Autorin und Feministin: Hier Anfang März 2022 bei der Ausstellung "Das andere Geschlecht" in Bonn (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
Alice Schwarzer ist beschäftigt in diesen Tagen. Hier noch eine Lesung aus ihrem neuen autobiographischen Buch „Mein Leben“, dort noch ein Talkshow-Auftritt und der Podcast darf natürlich auch nicht fehlen. Die Journalistin und Aktivistin versteht das Geschäft mit und rund um die Medienbranche: Im Gespräch bleiben ist alles. Von Ermüdung gibt es nur wenige Spuren. „Ich liebe den Journalismus. Ich liebe meinen Beruf ungebremst bis heute.“
Ihre journalistische Laufbahn begann schon während ihres Au-pair-Aufenthaltes in Paris nach dem Schulabschluss. Sie schrieb und genoss die Impulse der französischen Frauenbewegung. Interviews mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kamen später hinzu. Alice Schwarzer volontierte bei den „Düsseldorfer Nachrichten“ und schrieb dann auch Reportagen beispielsweise für die Zeitschrift „Pardon“.
Dabei standen Frauenschicksale und Frauenrechte meistens im Mittelpunkt ihrer Berichte. Alice Schwarzer hörte sich die Geschichten von Prostituierten an und schrieb Undercover-Berichte über die Arbeits- und Lebensbedingungen von Fabrikarbeiterinnen. Diese Perspektiven waren sehr ungewöhnlich – damals. Ihr Vorbild beim Schreiben.

Vorbild für viele: „Emma“ statt „Spiegel“

„Ja, das war ein Journalist natürlich, das war Jakob Augstein. Er wollte mich ja 1974 als Reporterin anstellen; ich wäre die erste Frau in dem Job beim Spiegel gewesen. Und dann hat die Redaktion protestiert. Ich war schon als Feministin zu berüchtigt. Dabei hatte ich noch nicht mal ‚Der kleine Unterschied geschrieben‘. Darauf hat er zu mir gesagt: Du kannst trotzdem kommen. Und da habe ich gesagt: Nein, danke, das mache ich natürlich nicht. Zum Glück, denn sonst hätte ich ja die ‚Emma‘ nicht gegründet.“
Mit einer Auflage von 200.000 startete die Zeitschrift von Frauen für Frauen vor 45 Jahren. Was damals ein Novum in der Zeitschriftenlandschaft war – eine Frauenzeitschrift mit feministischem Anspruch – lockte viele Leserinnen. Neue Frauen-Funk und -Fernsehformate ließen sich von Emma inspirieren. Beispielsweise Frau TV beim WDR oder Mona Lisa im ZDF entdeckten die Frauen als Zielgruppe für sich. Und die Publikationen mit feministischem Anstrich wurden über die Jahre immer mehr, wenn auch nicht immer mit Erfolg gekrönt. Die Auflage von „Emma“ ging ebenfalls zurück.
„Also, wir drucken etwa 40.000, und wir haben über 20.000 Abonnenten, und davon können wir leben. Das ist gut. Die ‚Emma‘ lebt nicht etwa von Werbung, die ja niemand mehr kriegt. Von daher ist der Einbruch der Werbung auch kein Drama für uns. Wir leben vom Verkauf des Heftes, die ‚Emma‘ ist ökonomisch total unabhängig. Und das ist natürlich die Grundvoraussetzung für das unabhängige Denken und Schreiben.“

„Für Überraschung gut“: Starke Meinungen als Strategie

Und wie kriegt Frau das hin in diesen journalistischen Krisenzeiten? „Ich kann gut wirtschaften, und ich bin gewohnt, sehr bescheiden zu wirtschaften, nicht bei den Gehältern. Die Gehälter sind alle weit übertariflich bei uns, und wir haben keine Schulden. Ich hasse Schulden, und wir haben ein kleines Polster. Also, danke alles bestens.“
Die Werbung für ihr Baby „Emma“ ist Alice Schwarzer selbst. Was tun Mütter nicht alles für ihre Kinder? Bekannt als streitbare Persönlichkeit, die mit ihrer spitzen Zunge keinem Konflikt aus dem Weg geht, mischt sie sich bis heute in aktuelle Debatten, beispielsweise über Transsexualität oder den Krieg gegen die Ukraine, ein.
Ihre Thesen zur Transsexualität, die sie in ihrem Buch unter anderem als mögliche vorübergehende Phase bei Jugendlichen beschreibt, haben beispielsweise zum Aufschrei beim Lesben- und Schwulenverband geführt. Alice Schwarzers strittige Haltung spaltet seitdem Feministinnen in starke Befürworterinnen und Gegnerinnen. Dass sie selbst dabei immer wieder zur Schlagzeile und Zielscheibe wird, ist ihr nicht neu.
„Wenn ich im Fernsehen bin, bin ich immer für eine Überraschung gut. Wenn ich ein Thema wichtig finde, dann überlege ich mir eine Strategie, ‚Wie können wir Emma immer im Gespräch halten‘ und so: Ich habe ja noch nie einen einzigen Pfennig für Werbung gehabt. Wir bezahlen die Mieten und Gehälter, wir lassen das Blatt drucken, wir machen ein gutes Blatt, wir bezahlen unsere Mitarbeiterinnen. Also muss ich mir schon ein bisschen überlegen: Wie bringe ich die ‚Emma‘ ins Gespräch?“

„Reißerischer, provokanter“: Darum gefällt Schwarzer „Bild“

Bis heute steht Alice Schwarzer hinter der Berichterstattung über den Kachelmann-Prozess in der „Bild“-Zeitung, die in der Medienöffentlichkeit sehr kritisch gesehen wurde. Sie habe für das vermeintliche Vergewaltigungs-Opfer, also der Ex-Partnerin von Fernsehmoderator Jörg Kachelmann, Partei ergriffen, so der Vorwurf einiger Medien. Schwarzer weist das zurück. Außerdem war für viele nicht nachvollziehbar, dass sie für ein Boulevard-Blatt geschrieben hatte.
„Ich habe im Prinzip nichts gegen Boulevardpresse. Jeder weiß, was Boulevard ist: dass man da nicht jede Silbe tot ernst nimmt. Ich finde Boulevard sogar witzig. Ich bin immer bekannt gewesen in der Redaktion für meine Neigung zu Boulevardtiteln; also ein bisschen mal ran und reißerischer, provokanter. Die Menschen sind nicht blöd, sie wissen, was ‚Bild‘ ist, sie wissen, was die sogenannte seriöse Presse ist.“

„Ich mache es, solange ich kann“: Die Frage der Nachfolge

Und die meisten wissen, welches Bild sie sich von Alice Schwarzer machen. Die einen meinen, das ist doch die, die immer auf Krawall gebürstet ist. Viele junge Frauen sehen in ihr nicht mehr eine feministische Rebellin und lehnen die Emma sogar ganz ab. Dafür gehören 20 Prozent Männer zur Leserschaft der „Emma“. Die sind besonders von den Analysen und den neuen Perspektiven auf aktuelle Themen im Blatt angetan.
Und wie geht es mit der „Emma“ weiter, wenn die Chefin dann doch irgendwann mal nicht mehr so kann, wie sie will? „Also ich kann Ihnen verraten, das natürlich auch ich immer wieder dieser oder jener Kollegin im Team angeboten habe: Komm macht das doch. Die laufen schreiend weg, weil die wissen natürlich, wie viel Arbeit das ist, das sehen sie an der Alice. Und sie wollen sich das nicht ans Bein binden. Die sind sehr engagiert und sehr fleißig. Aber die sagen auch schon mal: ‚Kann ich nicht eine Vier-Tage-Woche machen, ja? Dann habe ich ein bisschen Zeit für mein Kind und dieses und jenes.‘ Das ist nicht einfach. Ich mache es, solange ich kann und es mir Spaß macht und es Sinn macht, und dann werden wir sehen.“