
"Der Wettermoderator Jörg Kachelmann ist vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden, aus Mangel an Beweisen. Es bestünden begründete Zweifel, ob Kachelmann eine frühere Geliebte mit einem Messer bedroht und vergewaltigt habe, so das Landgericht Mannheim heute in seiner Urteilsbegründung."
Stimmungsmache und Vorverurteilungen in den Medien
"Ja, dieses Verfahren gegen Kachelmann hat natürlich sehr, sehr viel beeinflusst im Nachgang."
Sagt Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin bei der "Süddeutschen Zeitung".
"Allein diese aufgepeitschte Presselandschaft, Springer und die ‚Bunte‘ auf der einen Seite, ‚Spiegel‘ und ‚Zeit‘ auf der anderen.
Jörg Kachelmann selbst will sich inzwischen nicht mehr äußern zu seinem Verfahren. Auf Deutschlandfunk-Anfrage teilt er mit, er ahne schon, "dass nicht die völlig überwältigende Vorverurteilung fast aller Medien Thema sein" werde. Eine Vorverurteilung, die aus seiner Sicht auch mit dem Urteilsspruch nicht endete. 2017 formuliert Kachelmann das bereits im Interview mit dem Magazin "Panorama". "Verurteilt trotz Freispruch", heißt es dort, und Kachelmann über die Folgen für sich:
"Man verliert materiell fast alles bis alles, man wird als Sau durchs Dorf getrieben und es hört einfach nie auf, dass Leute das über einen denken."
Anlass für dieses ARD-Interview 2017 ist ein weiteres und bis heute letztes für Kachelmann erfolgreiches Gerichtsverfahren. Mit ihm untersagt er der Mannheimer Staatsanwaltschaft, bestimmte Aussagen zu verbreiten, die Zweifel an seiner Unschuld aufrechterhalten. Zuvor bereits erreicht er, dass seine Ex-Freundin dafür verurteilt wird, ihn wahrheitswidrig beschuldigt zu haben. Außerdem geht Kachelmann rechtlich gegen Springer und Burda vor und erreicht, dass ihm die Verlage hohe Summen zahlen müssen, im Fall von Burda mit einer außergerichtlichen Einigung. Schmerzensgeld dafür, wie Redaktionen der Verlage, allen voran "Bild", "Bunte" und "Focus", über ihn in der Hauptverhandlung berichtet haben. Eine Art von Berichterstattung, die diesen Namen nicht verdient habe, wie der Hamburger Strafverteidiger Johann Schwenn, Kachelmanns Anwalt, auch heute noch findet:
"Das war im Wesentlichen Stimmungsmache gegen den Angeklagten, gespeist aus irgendwelchen Aussagen von Zeuginnen, die sich da mit dem Burda-Verlag über Honorare geeinigt hatten, allen voran unsere Nebenklägerin. Das war also eine extrem, ja, persönlichkeitsrechtsverletzende Begleitung des Prozesses, die habe ich als absolut indiskutabel erlebt."
"Bunte" und "Focus": Akteure des Burda-Verlages
"Dass nun Zeuginnen der Presse irgendwelche Darstellungen geben, sich dann hinterher verpflichten, das Verlagshaus von Schadensersatzansprüchen freizuhalten und dann längst ihre Angaben gegenüber dem Medium abweichend von den Angaben bei der Polizei vor Gericht auszusagen, also so etwas habe ich weder vorher noch hinterher erlebt."

"Das war doch wohl für einige Medien ein ganz erhebliches Lehrstück, dass jemand, den man schon dauerhaft hinter Gittern glaubte, dass der am Ende als Sieger vom Platz geht."
Aber war es das wirklich?
Journalisten und Justiz – oft ein Gegeneinander
"Ich glaube tatsächlich, dass wir nicht vorverurteilt haben, sondern Verdachtsberichterstattung geübt haben."
Erklärt Chefredakteur Julian Reichelt im Deutschlandfunk gut anderthalb Jahre zuvor – und meint aus seiner Sicht erlaubte Verdachtsberichterstattung, wenn seine Redaktion den Namen Metzelders bereits zu Beginn des Ermittlungsverfahrens nennt. Das Landgericht Köln sieht das anders, spricht von "Vorverurteilung" und verbietet "Bild" die Berichterstattung. Danach sei Metzelder "rigoros gegen jeden Bericht über diese Vorwürfe" vorgegangen, schreibt Annette Ramelsberger, Gerichtsreporterin der "Süddeutschen Zeitung" in einem Vorbericht zum Hauptverfahren.
"Wo wir wirklich behandelt worden sind, ja wie ungebetene Gäste, die man schnell wieder loswerden will. Und wo man uns die ganze Nacht, vor Beginn des Prozesses, auf der Straße hat sitzen lassen im Nieselregen."
"Es geht nicht unbedingt vollkommen anders zu und vor allem auch nicht ganz anders aus, aber die Abläufe sind korrekt und auch transparent. Und man kann es sich einfach nicht erlauben, mal eben irgendwas so nebenbei zu erledigen oder so unter, es wissen ja alle, um was es jetzt geht, und jetzt machen wir das mal so."
"Man muss insgesamt den Angeklagten nicht als bereits verurteilten Täter beschreiben, sondern wirklich als jemanden, über dessen Schuld erst noch geurteilt wird und wo genau untersucht wird im Gerichtsverfahren, ob er auch wirklich diese Schuld hat, die ihm die Anklage zuweist."
Insgesamt sei die Situation leichter bei großen Fällen – so wie bei den Kachelmann-, NSU- oder Lübcke-Prozessen, wenn weite Teile der Medienwelt versammelt seien, beobachtet Ramelsberger:
"Da haben sie 50, manchmal 70 Journalisten im Saal sitzen, die dann berichten. Und Sie haben eine große Auswahl an Berichterstattung, und das korrigiert sich natürlich auch gegenseitig.
Einfluss von regionalen Medien auf die Justiz
"Das hängt damit zusammen, dass natürlich nur wenige Verfahren in der überregionalen Presse behandelt werden. Regionalpresse benutzen sowohl die Richter als auch die Staatsanwälte, ungefähr 90 Prozent, über ihr eigenes Verfahren."
Social Media – also Facebook, Twitter und Co. – spielen auch bei der zweiten 2018 veröffentlichten Studie noch keine große Rolle, wenn es um Effekte auf die Arbeit der Behörden geht.
"Ich habe die Ergebnisse beider Studien bei zahlreichen Treffen mit Richtern und Staatsanwälten bei Vorträgen vorgestellt und im Vieraugengespräch kommt dann immer wieder die gleiche Botschaft: Professor Kepplinger, in Wirklichkeit ist es ja alles viel schlimmer."
Schlimmer im Sinne von: Der Einfluss ist größer, als es die Untersuchungsergebnisse bereits hergeben. Befragt werden die Richterinnen und Staatsanwälte bundesweit über ihre Landesjustizministerien, die Antworten erfolgen anonym. Auf die Frage: "Wie haben Sie spontan auf die kritischen Medienberichte reagiert?" gibt jeweils die Hälfte beider Berufsgruppen gegenüber Kepplinger an, sich bereits mal geärgert zu haben.
"Und das betrifft auch den Einfluss dieses Ärgers auf das Verhalten im Prozess."
Besonders betreffe das die Staatsanwaltschaft, die Medien insgesamt intensiver nutze, erklärt Kepplinger.
"Staatsanwälte haben viel länger Kontakt zu Zeugen, Angeklagten und anderen Personen aus dem Verfahren. Das ist schon im Ermittlungsverfahren der Fall. Richter sind viel distanzierter zu diesen ganzen Personen. Und von daher können Staatsanwälte auch eher beurteilen, ob zum Beispiel ein Zeuge oder ein Angeklagter sein Verhalten im Laufe der Zeit gerändert hat, unter dem Einfluss von Medien. Also, man muss diese Unterschiede auch immer sehr genau interpretieren."
Und wie sieht es aus bei den Abwägungen und Entscheidungen von Richterinnen und Richtern? Spielt ein mögliches Medienecho eine Rolle bei der Urteilsfindung? Das geben die Ergebnisse der Studie nicht wirklich her. Diejenigen, die die Fragen nach Medieneinfluss beantwortet haben, meinen damit vor allem "die Atmosphäre im Gerichtssaal" – aber nicht auf die Entscheidung des Gerichts, also die Schuldfrage oder die Strafhöhe.
Rechtsprechung unter öffentlichem Druck
Doch sie habe all das erst nach und nach bemerkt, erinnert sich Koppenhöfer. Naiv sei das gewesen, sagt sie nun:
"Natürlich beeinflusst es. Und jeder, der das leugnet, der ist weltfremd oder hat es nicht erkannt. Ich glaube, es ist sogar gefährlich den Einfluss zu leugnen. Der Bundesgerichtshof, ein Vorsitzender eines Senats, hat mal eine mündliche Urteilsbegründung mit dem Satz begonnen: Trotz des öffentlichen Drucks haben wir uns so und so entschieden. Das heißt, der öffentliche Druck wirkt sich in jeden Fall auf die Entscheidung aus. Was nicht heißt, dass man so entscheidet, wie der öffentliche Druck es will."
Mehr Medienkompetenz für die Justiz
"Wir brauchen professioneller ausgebildete Pressesprecher. Mein Superbeispiel sind da immer die Niederlande. Die haben einen Pressesprecher oder eine Pressesprecherin, das sind Richter, und sie haben einen Communication Officer, das sind Kommunikationsfachleute, und die beiden arbeiten Hand in Hand. Und dann ist natürlich auch die Frage der Einflussnahme durch die Medien eine ganz andere, wenn ich als Richter mit Medienkompetenz weiß, was auf der anderen Seite passiert."
Koppenhöfer berät seit Jahren verschiedene Länder in Europa zur Kommunikation zwischen Justiz und Medien. Als juristische Expertin für den Europarat hat sie ihre Erfahrungen mit dem Thema an Behörden in der Türkei sowie Ländern des Westbalkan und des Kaukasus weitergegeben. Ihre Botschaft: Gerichte müssen aktiv Medienarbeit betreiben.
"Und das brauchen die Deutschen, glaube ich, auch noch dringend, dass das Gericht nicht immer erst nach einer Hauptverhandlung mit so einem Statement reagiert, das kein Mensch versteht: Der Angeklagte wird wegen zweifachen Totschlags in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und so weiter. Da hört ja schon keiner mehr zu."
Wird das Thema in Deutschland zu sehr vernachlässigt? Nein, findet Barbara Havliza. Wie Brigitte Koppenhöfer hat sie als Richterin gearbeitet und in dieser Zeit Verfahren mit großer Medienaufmerksamkeit geleitet, wie etwa das gegen den Angreifer auf Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker. 2015 war das, 30 Jahre nach Ende ihres Jura-Studiums Mitte der 1980er-Jahre, eine Zeit, an die sich Havliza so erinnert:
"Da hat man manchmal den Eindruck gehabt, die Presse ist so der natürliche Feind des Richters und umgekehrt, ja. Also man ging irgendwie nicht gerade nur positiv gesonnen miteinander um."
"Man wächst ja wirklich so mit seinen Aufgaben. Also ein junger Kollege, der gerade mal Richter oder Staatsanwalt wird oder Richterin oder Staatsanwältin wird, der konzentriert sich in erster Linie natürlich erst einmal auf seine originäre Aufgabe."
Die Frage nach der eigenen medialen Wirkung – zweitranging, findet Havliza. Als Richterin sei sie zudem immer dankbar für Rückmeldungen auf ihre Arbeit gewesen. Beispielsweise, wenn ihr Journalistinnen und Journalisten zu verstehen gegeben hätten, dass ihre Sprache zu juristisch und damit zu wenig verständlich sei.
"Das sind ja immer gute Hinweise, um dann auch immer weiter da reinzuwachsen und zu sagen: Justiz und auch Richtersprüche müssen so verständlich sein, dass auch Medien sie in die Bevölkerung so transportieren können, dass man sich erklärt."
Vor Gericht, in den Medien: Es gilt die Unschuldsvermutung
"Wenn man weiß, die Erwartung der Öffentlichkeit ist eine ganz andere jetzt, dann läuft das gedanklich natürlich mit. Aber gleichwohl sind Richterinnen und Richter, und das ist die Hauptsache, so geschult und so firm auch in ihrer Urteilsfindung, dass sie sich davon niemals beeinflussen lassen und auch nicht beeinflussen lassen dürfen."
Eine unbeeinflusste Urteilsfindung – war das auch bei Jörg Kachelmann der Fall? Viele Prozessbeobachter hatten daran Zweifel und haben sie bis heute. Das Gericht machte mit seinem Urteil deutlich, nicht von der Unschuld des TV-Moderators überzeugt zu sein, als es erklärt der Freispruch beruhe nicht darauf, Zitat: "dass die Kammer von der Unschuld von Herrn Kachelmann überzeugt ist". Ein Freispruch zweiter Klasse, sind sich Prozessbeobachter einig. Für Annette Ramelsberger von der "Süddeutschen Zeitung" war die Verhandlung ein "Warnschuss" – vor allem für die Journalistinnen und Journalisten
"Die dann gesehen haben, dass man es auch zu weit treiben kann. Ich habe schon das Gefühl, dass sich viele von uns wieder zurückgenommen haben. Ich habe es gerade wieder beim NSU-Prozess so erlebt, dass da eine große Ernsthaftigkeit war."
Am Ende, da sind sich Journalistinnen und Juristen einig, müsse zunächst die Unschuldsvermutung gelten. Selbstverständlich vor Gericht, aber auch in den Medien.