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Marlon Brandos Paraderolle
Als "Endstation Sehnsucht" in die deutschen Kinos kam

Vor 70 Jahren lief Elia Kazans schwermütige Adaption von Tennessee Williams' Broadway-Hit "Endstation Sehnsucht" mit Jungstar Marlon Brando in den westdeutschen Kinos an – und irritierte das Heimatfilm-gewöhnte Publikum.

Von Hartmut Goege | 01.12.2021
Die Hauptdarsteller Marlon Brando und Vivien Leigh in einer Szene in Elia Kazans Film "Endstation Sehnsucht"
Marlon Brando und Vivien Leigh in Elia Kazans Film "Endstation Sehnsucht" von 1951 (picture alliance / United Archives)
„Kann ich Ihnen behilflich sein?“ - „Ich soll eine Straßenbahn nehmen, die heißt ‚Sehnsucht‘, und dann umsteigen in eine andere, und die bringt mich direkt zu den ‚Elysischen Gefilden‘ - „Da ist Ihre Bahn!“
Elysische Gefilde, in der griechischen Mythologie die Insel der Seligen: in Elia Kazans Film ist es die Adresse einer kleinen Zweizimmerwohnung in einem heruntergekommenen Stadtteil von New Orleans. Blanche DuBois, eine Englischlehrerin aus einer alten Aristokraten-Südstaaten-Familie, besucht ihre schwangere Schwester Stella, die mit dem polnischstämmigen Arbeiter Stanley Kowalski verheiratet ist.
Das plötzliche Auftauchen von Stellas kultiviert und psychisch labil erscheinender Schwester in dem rauen proletarischen Milieu, das Stanley und seine Pokerfreunde dominieren, wird für die Ehe zur ernsten Belastungsprobe. Denn Stanley, gespielt von dem damals unbekannten Marlon Brando, entwickelt eine tiefe Abneigung gegen Blanche.

Marlon Brandos Paraderolle

Als der Film am 1. Dezember 1951 in Westdeutschland anlief - wenige Monate nach dem erfolgreichen amerikanischen Start – fand das schwermütige Drama nach dem Bühnenstück von Tennessee Williams hierzulande zunächst wenig Interesse. Das Publikum strömte sechs Jahre nach Kriegsende lieber in Unterhaltungsfilme wie „Fanfaren der Liebe“ oder „Grün ist die Heide“. Die leidenschaftliche Darstellung des Stanley aber sprach sich herum: Kazan hatte Brando bereits 1947 für seine Theateraufführung am Broadway entdeckt. Als der ungehobelte und extrovertierte Mechaniker Kowalski war er so überzeugend, dass sogar Tennessee Williams ihm zu Füssen lag, wie Kazan sich erinnerte:
„Ich sagte zu Tennessee: ‘Das hier wird die ‚Marlon-Brando-Show‘. Jeder, der zu den Proben kommt, fragt ‚wer ist das?‘ Ich sagte ihm, in diesem Stück geht es nicht um Marlon Brando oder um die Figur Stanley. Es geht um diese Frau. Aber Tennessee liebte Brando. Wenn es mal Probleme gab, sagte er: ‚Er ist toll, mach Dir keine Sorgen. Er ist großartig.‘“

Wie Elia Kazan die Schauspielkunst revolutionierte

Kurz nach der Premiere des Theaterstücks gründete Kazan mit anderen die New Yorker Schauspielschule ‚Actors Studio‘, die die Psychologisierung der Schauspielkunst etablierte, eine Methode zur völligen Identifikation des Schauspielers mit seiner Rolle. Brando sollte ihr berühmtester Schüler werden. Und so durfte Kazan dank des sensationellen Bühnenerfolgs ebenfalls die Filmfassung verantworten und auch das gesamte Broadway-Ensemble für den Film einsetzen. Lediglich Hollywoodstar Vivien Leigh musste als Kassenmagnet für die Rolle der Blanche akzeptiert werden.
„Ich mochte Vivien sehr, ich hielt sie nicht für überdurchschnittlich talentiert, aber sie war sehr zielstrebig. Sie würde alles dafür tun, um gut zu sein. Sie war sehr zäh. Es war eine schwere Figur, und Vivien hatte viele persönliche Probleme. Und ich denke, es ist toll geworden.“
Vor allem dem intensiven Zusammenspiel von Brando und Leigh verdankt der Film seine Wirkung. Stanley misstraut Blanche, die den Verlust der aus Geldnot verkauften Familienplantage mit ihrer prätentiösen Art zu verschleiern versucht, und entlarvt sie schließlich als alkoholabhängige Lügnerin, die aufgrund zahlreicher Affären ihren Lehrerberuf verloren hat.

Ein Fall für Hollywoods Selbstzensur

Am Ende treibt Stanleys Aufklärungswut Blanche in den Wahnsinn, was seine ihm bis dahin hörige Ehefrau Stella nicht verzeihen kann: Tennessee Williams Dreiecks-Drama um komplexe menschliche Abgründe unterlag zwar der freiwilligen Selbstzensur Hollywoods: die im Theaterstück thematisierte Homosexualität und auch Szenen einer Vergewaltigung waren tabu. Doch der Film wurde mit Kritikerlob überhäuft und mit drei Oscars ausgezeichnet. Und Marlon Brando startete mit „Endstation Sehnsucht“ eine atemberaubende Weltkarriere.