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Vor 2.260 Jahren in Griechenland
So errechnete Eratosthenes als Erster den Umfang der Erde

Schon in der Antike war bekannt, dass die Erde keine Scheibe, sondern eine Kugel ist. Dem griechischen Gelehrten Eratosthenes gelang es, ihren Umfang mit erstaunlicher Genauigkeit zu berechnen - vor 2.260 Jahren. Seine geniale Methode war buchstäblich fortschrittlich.

Von Dirk Lorenzen | 22.12.2021
Welche Ausmaße hat die Erdkugel?
Die Erde aufgenommen aus der Apollo 17 am 7.12.1972 (imago / Levine Roberts)
Dass die Erde eine Kugelgestalt haben muss, war schon in der Antike allgemein bekannt. Denn bei Mondfinsternissen ist stets ein runder Erdschatten zu sehen, und wenn sich Schiffe auf die Reise machen, verschwindet erst der Rumpf und dann das Segel hinter dem Horizont. Doch welche Ausmaße die Erdkugel hat, ließ sich nicht einmal erahnen – bis der griechische Gelehrte Eratosthenes einen brillanten Einfall hatte:
„Er stellte die Sonne in seinen Dienst. Seine Beobachtungen in Syene, dem jetzigen Assuan in Ägypten, hatten ihn gelehrt, dass zur Sommersonnenwende das Spiegelbild der Sonne im Grunde eines Brunnens erschien. Die Sonne musste am 21. Juni senkrecht über Syene stehen.“

Messung zur Sommersonnenwende

So schildert ein historischer Bericht die große Tat des Eratosthenes, der zu den vielseitigsten Naturforschern der Antike gehörte und jahrzehntelang die Bibliothek von Alexandria leitete. Doch mit dem Brunnen in Assuan, in den nur einmal im Jahr die Sonne scheint, war es nicht getan. Vermutlich im Jahr 240 vor Christus gelang Eratosthenes die entscheidende Messung: Zur Sommersonnenwende konnte er den Schattenwurf eines senkrecht stehenden Stabes präzise verfolgen:
„In Alexandria, an der Mündung des Nils, hatten die Beobachtungen ergeben, dass die Sonne auch am längsten Tag des Jahres Sieben Ein Fünftel Grad vom Scheitelpunkt des Himmels entfernt war.“

Schrittzähler statt GPS-Satelliten

Doch der Gelehrte brauchte noch eine weitere Messung, erklärt Benjamin Männel vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam:
„Und dann als zweite Messung die Strecke zwischen diesen beiden Orten. Man ist sich nicht ganz sicher, wie Eratosthenes das wirklich gemacht hat. Die naheliegendste Methode zur damaligen Zeit waren Schrittzähler."
Eratosthenes von Kyrene: Mathematiker, Geograph, Astronom, Historiker, Philologe, Philosoph und Dichter
Der griechische Universalgelehrte Eratosthenes von Kyrene (imago/Danita Delimont)
Um aus dem Winkelunterschied zwischen Alexandria und Syene den Erdumfang zu berechnen, musste der Abstand zwischen beiden Orten bekannt sein. So wurden einige Monate nach der Winkelbestimmung geschulte Vermesser losgeschickt, die extrem gleichmäßige Schritte machten und einfach abzählten, wie viele nötig waren, um von Alexandria ins südlichere Syene zu gelangen. Mit Erfolg, so Benjamin Männel: „Eratosthenes bestimmte allein mit Mathematik und Geometrie den Umfang der Erde auf 252.000 Stadien.“

Maximal um 16 Prozent daneben

Auch fast 200 Jahre nach dieser Pioniertat war der römische Baumeister Vitruvius noch voll des Lobes. Da aber die Originalarbeit des Eratosthenes nicht überliefert ist, bleibt unklar, wie groß seine Längeneinheit Stadion war. Damals waren verschiedene Werte in Gebrauch. Im günstigsten Fall kam Eratosthenes auf 39.600 Kilometer Erdumfang – damit läge er nur etwa ein Prozent neben dem tatsächlichen Wert von gut 40.000 Kilometern. Nutzte Eratosthenes doch eine längere Einheit, so läge er im schlechtesten Fall gut 16 Prozent zu hoch – auch das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, unterstreicht Benjamin Männel:
„Ich denke, man kann diese Leistung gar nicht hoch genug bewerten. Die ja doch relativ einfache Konzeption wurde dann immer weiterentwickelt. Im 18., 19. Jahrhundert wurden dann sogenannte Gradmessungen durchgeführt. An sich das gleiche Prinzip. Und die Genauigkeit dieser Gradmessungen hat dann ermöglicht, von der Kugelgestalt der Erde auf die Ellipsoidform, also das Erdellipsoid zu schließen.“

Heute exakte Daten durch geodätische Weltraumverfahren

Der Umfang über die Pole gemessen ist gut 60 Kilometer kleiner als der am Äquator, eine Folge der Drehung der Erde, die die Materie am Äquator etwas nach außen drückt. Warum wir das so genau wissen, erklärt Benjamin Männel:

„Heute verwenden wir für die globale Vermessung sogenannte geodätische Weltraumverfahren. Das ist zum Beispiel die Nutzung von Navigationssatelliten-Systemen, also GPS oder Galileo, und können Koordinaten, also Punkte auf der Erdoberfläche, im Bereich von Millimetern genau bestimmen. “
Dass die Erde keine Kugel, sondern eine Scheibe sei, glaubten selbst im Mittelalter nur noch wenige Menschen. Aber der Mythos, dass man damals die Erde für flach hielt, hält sich hartnäckig. Wer selbst heute noch meint, die Erde sei eine Scheibe, begibt sich zurück in die Zeit vor der Antike. Denn schon Eratosthenes wusste genau: Die Erde ist eine Kugel.