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Alternative zur Quote
Das Zauberwort heißt Proporz

Der Begriff der "Quote" ist in der medialen Diskussion so ungefähr das Uncoolste, was man sich vorstellen kann, meint Matthias Dell in seiner Kolumne. Sein Vorschlag: stattdessen von "Proporz" sprechen. Denn der werde praktiziert, nicht diskutiert.

Von Matthias Dell | 04.11.2020
Illustration von Frauenbeinen zwischen Männerbeinen.
"Quote" meint nur den berechtigten Anteil am Kuchen, kommt im öffentlichen Reden aber komischerweise so daher, als wolle sie den Kuchen klauen, meint Mathias Dell (imago images / Ikon Images)
Markus Meckel, du alter Chancentod – dachte ich, als ich ein Interview mit dem letzten Außenminister der DDR hier im Sender hörte. 30 Jahre Deutsche Einheit, Meckel erzählte von früher und beklagte, dass seitdem der Osten in der Wahrnehmung des Westens unterrepräsentiert sei. Aber dann sagte er: "Ich will nicht von Quoten reden, das bringt nichts."
Ein ehemaliger Teil der East Side Gallery in Berlin zeigt ein Graffiti mit zwei Männern, getrennt durch einen Riss in der Mauer.
Deutsche Einheit – gespaltenes Land?
Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer - der ehemalige Bürgerrechtler und letzte Außenminister der DDR, Markus Meckel, über Erfolge und Schwierigkeiten beim Zusammenwachsen von Ost und West.

Und ich dachte: Welche Fußballspielerin, die völlig zu Recht ein Foul beklagen könnte, würde von sich aus sagen: Ich will nicht von Freistoß reden, das bringt nichts?
Warum will Markus Meckel keine Quote? Warum nutzt er den Moment der Radio-Öffentlichkeit nicht, um etwas zu fordern, damit daraus bestenfalls eine Debatte wird? Wo er doch gerade in diesem Augenblick am eigenen Leib erfährt, wie das mit der Wahrnehmung so läuft – dass er von den Medien alle Jubeljahre für die Erinnerung an 89/90 angerufen wird, aber die wenigsten von ihm wissen wollen, was er von Grundeinkommen und Steuerpolitik hält?
Markus Meckel, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, spricht am 16.03.2016 in Hamburg auf der Pressekonferenz zur Verleihung des Deutschen Nationalpreises.
Markus Meckel war nach der ersten freien und letzten Wahl zur Volkskammer der DDR 1990 Außenminister der DDR (dpa / picture alliance / Dominik Flügel)
"Quote" meint nur den berechtigten Anteil am Kuchen
Meine Vermutung: Weil der Begriff der "Quote" in der medialen Diskussion so ungefähr das Uncoolste ist, was man sich vorstellen kann. Der dementiert sich praktisch von selbst, wenn er in Artikeln und Interviews vorkommt. Siehe Meckel. Unter der "Quote" rangiert, so vom Ansehen her, wahrscheinlich nur noch "Kommunismus". Dabei meint "Quote" nur den berechtigten Anteil am Kuchen, kommt im öffentlichen Reden aber komischerweise so daher, als wolle sie den Kuchen klauen, vergiften, ungenießbar machen.
Und das ist allen so klar, dass nicht mal in der "Taz" nachgefragt wird, als die CDU-Legende Friedrich Merz im Sommer im Interview behauptete, die Quote für Frauen sei nur die zweitbeste Lösung. Man müsse das "von unten" lösen. Funktioniert super, oder?
Frauen können ein Lied davon singen. Deswegen gab es unlängst den Versuch eines Paritätsgesetzes. Fifty-fifty auf den Wahllisten für die Parlamente. "Parität" hört sich viel besser an als "Quote" – so edel und gut wie Gemeinwohl oder Vereinte Nationen. Hat aber fürs erste auch nichts genützt.
Sitzung des Landtags von Brandenburg
Wie viel Quote verträgt die Verfassung?
Ein Paritätsgesetz in Brandenburg sollte Parteien dazu verpflichten, ihre Wahllisten für Landtagswahlen zur Hälfte mit Frauen zu besetzen. Doch im Oktober 2020 kippte das Brandenburger Verfassungsgericht das Gesetz.
"Proporz" wird praktiziert, nicht diskutiert
Deshalb wäre mein Vorschlag: "Proporz". Man muss diese ganzen Diskussionen über Anteile am Kuchen unter dem Begriff "Proporz" verhandeln. Das mag auf den ersten Blick abwegig scheinen, denn "Proporz" klingt schmierig, nach Hinterzimmer und Kuhhandel, wie Schlemihl, diese dubios-flüsternde Dealerfigur aus der "Sesamstraße".
Aber "Proporz" wird praktiziert, nicht diskutiert. Das ist der Clou. "Proporz" kommt medial kaum vor, obwohl alle wissen, dass es ihn gibt. "Proporz" muss man nicht in Interviews erklären, der ist ganz normal, selbst bei Leuten wie Friedrich Merz.
Regulierung von oben als Todesstoß für die Demokratie? Schauen Sie sich mal die die Parteivorstände an. Was nicht ganz leicht ist, weil die riesig sind. Auch aus dem Grund, damit alle Landesverbände drin vorkommen.
"Quote" ist tatsächlich nur die zweitbeste Lösung
Ich habe mal versucht, bei der CDU durchzuzählen. 22 Menschen decken bei der Partei ohne Quotenregelung im Präsidium 13 verschiedene Bundesländer ab; es fehlen nur Brandenburg, Bremen und Hamburg – Bayern ist durch einen CSU-Mann repräsentiert. NRW ist 5 mal vertreten, Baden-Württemberg 3 mal, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und das Saarland je 2 Mal. Der Rest einmal.
Selbst die AfD, die doch angeblich so anders sein will als die anderen Parteien, huldigt dem Proporz: Sie hat einen 13-köpfigen Vorstand aus neun verschiedenen Landesverbänden.
Und keiner käme auf die Idee zu sagen: Schluss mit der Landesverbands-Quote, es geht allein um Qualität, da spielt Herkunft keine Rolle!
Was lernen wir daraus? Friedrich Merz hat Recht: "Quote" ist tatsächlich nur die zweitbeste Lösung – das Zauberwort heißt "Proporz". Man muss es medial nur öfter aussprechen.
Matthias Dell
Matthias Dell, Jahrgang 1976, studierte Komparatistik und Theaterwissenschaft in Berlin und Paris. Er schrieb von 2004 bis 2014 für das Medien-Watchblog "Altpapier" und veröffentlicht jeden Sonntag nach der Ausstrahlung eine Kritik zum aktuellen "Tatort" beziehungsweise "Polizeiruf" auf Zeit Online. 2012 erschien sein Buch "'Herrlich inkorrekt'. Die Thiel-Boerne-Tatorte" bei Bertz+Fischer.