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Massaker vor 90 Jahren
So kam es zum "Altonaer Blutsonntag"

Am 17. Juli 1932 kam es im damals noch preußischen Altona bei Hamburg zu gewaltsamen Unruhen - provoziert durch den Aufmarsch tausender SA- und SS-Männer durch die "rote“ Stadt: Dieser „Altonaer Blutsonntag“ beschleunigte das Ende der Weimarer Republik.

Von Bernd Ulrich | 17.07.2022
Eine Gedenktafel in einem Hinterhof in Hamburg-Altona zeigt von links nach rechts, August Lütgens, Walter Möller, Karl Wolff und Bruno Tesch. Sie wurden als vermeintliche als kommunistische Rädelsführer am 1. August 1933 in Altona mit dem Handbeil geköpft: die ersten politischen Hinrichtungen der NS-Herrschaft.
Eine Gedenktafel in einem Hinterhof Hamburg-Altona zeigt von links nach rechts, August Lütgens, Walter Möller, Karl Wolff und Bruno Tesch. Sie wurden im August 1933 in Altona mit dem Handbeil geköpft: die ersten politischen Hinrichtungen der NS-Herrschaft. (picture-alliance/ dpa)
Und die Polizei rief dann: ‚Fenster zu, es wird geschossen!‘ Und weil die Leute am Fenster guckten, das ist ja klar, und links und rechts von diesem Zug war Polizei. Es fielen einzelne Schüsse und man sagte, es wären Dachschützen da. Ich muss sagen, ich habe keinen Dachschützen gesehen und habe auch nicht gesehen, dass irgendeiner geschossen hatte von den Arbeitern, die dastanden. Ich habe nicht gesehen, dass Kommunisten oder Sozialdemokraten geschossen haben. Ich habe aber gesehen, dass die SA oder die SS nach Fenstern geschossen hat. Das habe ich beobachten können.“
Was der Zeitzeuge Herbert Bade am Sonntag, den 17. Juli 1932, gesehen hat, ging als „Altonaer Blutsonntag“ in die Geschichte der Weimarer Republik ein. Die Bilanz: 18 Tote, darunter zwei Nazis und zwei Kommunisten. Die anderen Toten waren unbeteiligte Zivilisten, und, ebenso wie die über 60 Verletzten und Schwerverletzten, ganz normale Altonaer Bürgerinnen und Bürger, Hausfrauen, Dienstmädchen, Handwerker und Arbeiter.

SA und SS-Verbot kurz zuvor aufgehoben

Über 7.000 Nazis marschierten in das als „Klein Moskau“ denunzierte Altona ein, eben jenes Altona, das bis zu seiner 1938 erfolgten Eingemeindung nach Hamburg als preußische, selbstständige Stadt zu Holstein gehörte. Herbert Bade beschrieb die Ankunft der gewaltbereiten Truppe. Sie konnte nach dem kurz zuvor aufgehobenen Verbot von SA und SS uniformiert auftreten: „Am Bahnhof, wie die aus den Zügen kamen, und auch mit Lastautos kamen sie, sammelten sich da an, SA und SS.“ -Schon auf dem Marsch nach Altona hinein war es zu ersten Gewaltausbrüchen gekommen:
„Sie haben schon gleich, nachdem sie vom Altonaer Bahnhof, wo sie sich getroffen haben, losmarschierten, auf Passanten eingeschlagen, die ihre Hakenkreuzfahnen nicht grüßten, und haben schon in der Nähe des Altonaer Fischmarkts, in den Nebenstraßen, auf protestierende Passanten geschossen.“

Polizei von Nazis unterwandert?

So der Kommunist Helmut Heinz. Die Kämpfe setzten sich bis in die Altstadt hinein fort. Völlig aus dem Ruder lief der offiziell als Werbemarsch für die NSDAP deklarierte Einfall aber erst, nachdem die Polizei eingriff. Obgleich sozialdemokratisch geführt, fanden sich insbesondere unter den Polizeioffizieren auffällig viele Mitglieder der Nazipartei. Später konnte durch Obduktionen und Untersuchungen an den Leichen einwandfrei belegt werden, dass die Projektile zum größten Teil aus nur von der Polizei genutzten Waffen stammten. Ein Zeitzeuge:
„Alle Toten, auch die ich noch gesehen hatte, waren alle von der Polizei erschossen worden, auch in die Straßenbahnen und in die Fenster hat die Polizei geschossen. Denn viele Tote waren in den Wohnungen erschossen worden, die vielleicht am Fenster gesehen haben oder so.“

Die ersten NS-Justizmorde

 Alle Untersuchungen, die in Richtung Polizei wiesen, wurden indessen unmittelbar nach den Ereignissen ad acta gelegt oder einfach unterdrückt. Als Hauptverdächtigte rückten vielmehr überaus schnell vier KPD Mitglieder ins Visier von Staatsanwaltschaft und Polizei. Allerdings musste das Verfahren gegen sie zunächst mangels Beweisen eingestellt werden – ein Ergebnis, das widerrechtlich nicht zu ihrer Freilassung führte. So gerieten der Seemann August Lütgens, der Klempner Bruno Tesch, der Schuhmacher Karl Wolff und der Arbeiter Walter Möller in die Fänge der Nazis.
Denn unmittelbar nach deren Machübernahme kamen die vier Männer vor ein sogenanntes Sondergericht – eins von vielen im gesamten Reich, die auf Anordnung Hitlers eingerichtet worden waren. Mit ihnen sollten die letzten Reste noch vorhandenen Widerstandes gegen das neue Regime ausgelöscht werden. Der 2003 gestorbene französische Lehrer und Résistance Kämpfer Léon Schirmann hat in einer seiner historischen Studien den „Altonaer Blutmai“ und das ihm folgende Verfahren untersucht. Er kam zu dem Ergebnis:
„Kurz nach dem Blutsonntag wird sich die Altonaer Staatsanwaltschaft auf ausgeklügelte Fälschungen von Beweisstücken einlassen und mithilfe dieser gefälschten Beweisstücke werden dann dieselben Staatsanwälte die vier ersten legalen Hinrichtungen der NS Zeit erwirken.“
Am 2. Juni 1933 erfolgte das erwartbare Todesurteil. Schon kurz darauf, am 1. August 1933, wurde es per Fallbeil im Hof des Altonaer Gefängnisses vollstreckt. Es dauerte in diesem gut belegbaren Fall von Meineiden, Fälschungen und Falschaussagen aber noch bis 1992, bis ein deutsches Gericht das Urteil des Nazi-Sondergerichts aufhob. Léon Schirmann hatte dafür den Weg bereitet.