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An solider Haushaltsführung "mangelt es manchmal"

6,4 Milliarden Euro will sich die Bundesregierung 2014 nach aktueller Finanzplanung noch leihen. Mit dieser Haushaltspolitik sei man zwar auf einem guten Weg, doch man hätte auch "sehr viel ehrgeiziger sein können bei der Konsolidierung", kritisiert Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Joachim Scheide.

Joachim Scheide im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: 17 Milliarden Euro sind es also in diesem Jahr, die die Bundesregierung mehr ausgibt, als sie einnimmt, trotz stabiler Konjunktur, trotz der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt, trotz hoher Steuereinnahmen, die so hoch sind wie noch nie zuvor. Dennoch: Das Schulden machen geht weiter, so der Vorwurf der Opposition, denn der Finanzminister will auch im kommenden Jahr wieder mehr Geld aufnehmen, als er hat. Die Kritiker sprechen von einem Armutszeugnis. Aber Wolfgang Schäuble will leuchtendes Beispiel sein für ganz Europa. Sechs Milliarden neue Schulden für 2014, das sind jedenfalls die Pläne der Bundesregierung.

    Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Professor Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Guten Tag.

    Joachim Scheide: Ja guten Tag!

    Müller: Herr Scheide, warum darf die Politik immer wieder neue Schulden anhäufen?

    Scheide: Das ist eine gute Frage. Eigentlich haben wir ganz gute Zeiten, was die Konjunktur angeht, dass wir auch ohne neue Schulden auskommen sollten. Aber man muss auch dazu sagen, dass die Bundesregierung eigentlich auf ganz gutem Wege ist, was die Schuldenregel in der Verfassung angeht. Wir werden das Ziel voraussichtlich früher erreichen als geplant. Das ist eigentlich die gute Nachricht.

    Die schlechte Nachricht ist: Man könnte es auch etwas stärker machen, man kann die Konsolidierung auch stärker vorantreiben, man kann sogar auch Überschüsse fahren, die sind auch erlaubt, sodass wir schneller von der hohen Schuldenlast herunterkommen, denn wir haben in Deutschland ja auch immer noch eine Staatsschuldenquote von 80 Prozent oder rund 80 Prozent. Die soll deutlich reduziert werden, und das sollte eigentlich möglichst zügig angegangen werden.

    Müller: Also wir könnten jetzt schon längst diese schwarze Null haben?

    Scheide: Ja. Mit einem gewissen starken Willen wäre das natürlich möglich. Dann muss man fragen, wo hätten die Einsparungen stattfinden können. Aber man muss auch dazu sagen, dass der Kurs ja bisher schon so war, dass die Schuldenregel eingehalten wurde, und insofern kann man jetzt im Detail kritisieren, dass das eben nicht schnell genug gegangen ist.

    Und diese Kritik kommt ein bisschen zurecht, denn wir verlangen ja von den anderen Ländern in Europa, dass sie ganz massive Einschnitte vornehmen, und in Deutschland sind es eben recht knappe Einschnitte, weil wir in einer so günstigen Lage sind und das eigentlich nicht machen müssen. Aber dennoch spricht nichts dagegen, das auch zügiger voranzutreiben.

    Müller: Also sind schwarz-gelbe Koalitionen, mit Beteiligung von FDP und Union, finanzpolitisch nicht solider als rot-grüne?

    Scheide: Ja das ist jetzt ein bisschen pauschal gefragt. Das würde ich nicht so sagen. Die Haushaltspolitik in Deutschland ist schon seit längerer Zeit auf einem guten Wege. Wir haben ja auch die Schuldenregel recht früh beschlossen, früher als andere Länder.

    Müller: Die Schuldenbremse?

    Scheide: Die Schuldenbremse früher beschlossen, und da sind wir auf dem richtigen Wege, wie gesagt. Wir hatten auch schon vor der Finanzkrise einen Haushalt, der recht gut dastand, anders als andere Länder. Insofern ist der Handlungsdruck in Deutschland nicht so groß, und man beneidet uns jetzt um die Haushaltssituation, die wir haben.

    Aber wie gesagt, man hätte auch ein bisschen stärker nachbessern können. Zum Beispiel auch in diesem Jahr, im Jahr 2013, wird nicht weiter konsolidiert. Das ist eigentlich das Versprechen der Regierung gewesen, das jedes Jahr zu machen.

    Müller: Geben Sie uns ein Beispiel, Herr Scheide. Wo hätte man sparen können?

    Scheide: Es geht nicht nur um Einschnitte bei Dingen, sondern auch, dass die Ausgaben nicht so stark steigen, wie jetzt geplant. Und vor allem müsste man für die Finanzpolitik eigentlich die Regel aufstellen, wenn man neue Maßnahmen beschließt, dann muss gleichzeitig die Finanzierung dafür klar sein.

    Zum Beispiel wenn man das Betreuungsgeld beschließt, dann fallen Mehrausgaben an, und die müssen irgendwo dann an anderer Stelle eingespart werden. Das wäre eigentlich eine solide Haushaltsführung, und daran mangelt es manchmal.

    Müller: Also ist das unsolide, was der Finanzminister gemacht hat?

    Scheide: Ich bin jetzt mit dem Begriff "unsolide" sehr vorsichtig, weil wie gesagt die Finanzpolitik in Deutschland auf einem recht guten Wege ist. Aber man könnte sicherlich sehr viel ehrgeiziger sein, um die Staatsverschuldung nachhaltig und deutlich zu reduzieren.

    Müller: Aber unsolide ist schon das Gegenteil von solide?

    Scheide: Ja, okay. Dann würde ich den Begriff "unsolide" nicht verwenden. Das ist jetzt Wortklüngelei. Man hätte sehr viel ehrgeiziger sein können bei der Konsolidierung. Aber jetzt zu sagen, dass die Haushaltspolitik in Deutschland unsolide sei, das würde mir zu weit gehen.

    Müller: Wir reden ja, Herr Professor Scheide, mit Ihnen als Finanz- und Wirtschaftsexperte. Wenn ich das jetzt richtig interpretiere, was Sie da sagen, dass man viel mehr hätte erreichen können in den vergangenen Jahren, gerade vor dem Hintergrund der höheren Einnahmen, die so hoch sind wie noch nie zuvor, dann ist das doch keine gute Finanzpolitik?

    Scheide: Wie gesagt, wir haben eine Schuldenregel, die wird eingehalten, und die wird sogar schneller eingehalten, als das Gesetz es vorsieht. Insofern kann man da keine Unsolidität erkennen. Nur wie gesagt, die Staatsverschuldung in Deutschland ist sehr hoch, und es ist auch so, dass der Haushalt im Moment auf ganz gute Faktoren bauen kann, die nicht nachhaltig sind. Zum Beispiel haben wir sehr niedrige Zinsen. Wir haben möglicherweise Belastungen aus der Eurokrise.

    Auch deshalb sollte man den Puffer ein bisschen größer machen zum Abbaupfad, der aus der Schuldenregel folgt. Also man hätte etwas ehrgeiziger sein können. Aber das ganze jetzt als vollkommen unsolide abzustempeln, das würde mir etwas zu weit gehen.

    Müller: Gut. Wir fragen ja danach, inwieweit das zutrifft. Sie sehen das etwas anders. Aber Sie sagen, das sind die Schuldenbremsen beziehungsweise die Schuldenregeln. Wenn die Politik sich selbst Regeln setzt, wie viel Schulden sie machen kann, ist das nicht schon ein Paradoxon an sich?

    Scheide: Okay, das ist eigentlich - - Viele kritisieren die Schuldenbremse als viel zu hart, das ist eine weit überzogene Konsolidierungspolitik. Das würde ich überhaupt nicht sagen. Manche kritisieren jetzt auch, dass das möglicherweise das Wachstum hemmt; das würde ich auch nicht sagen. Die Schuldenregel ist eine im Prinzip gute Regel. Nur muss man eben sagen, man kann auch ehrgeiziger sein, und es muss auch erlaubt sein, dass ein Haushalt mal Überschüsse aufweist, gerade in guten Zeiten, wie wir sie jetzt haben oder wie wir sie fürs kommende Jahr erwarten.

    Müller: Also im Grunde können Sie das nicht richtig verstehen, dass man so hohe Einnahmen hat und immer noch in diese Leihschatulle greifen muss, was man ja hinterher auch teuer zurückbezahlt?

    Scheide: Das ist im Prinzip richtig. Nur, wie gesagt, wir sind in der Nähe der Null und das ist eigentlich, wenn man sich das Umfeld anschaut, eine gute Nachricht. Wie gesagt, man könnte ehrgeiziger sein und auch einen Überschuss machen.

    Müller: Wenn ich Sie richtig interpretiere, ist es ja fast schwerer, diese Null zu verfehlen, als sie einzuhalten?

    Scheide: Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Aber wie gesagt, …

    Müller: Mit den vielen Milliarden Einnahmen. Wir haben darüber ausführlich im Deutschlandfunk berichtet, wir haben darüber auch schon ein Interview geführt. Also Steuereinnahmen, Erhöhungen quasi in Milliardenhöhe, weil viel mehr Arbeitsplätze gesichert worden sind, die dazu gekommen sind, und so weiter. Das sind große Milliardenbeträge, die einfach so in die Kasse geflossen sind.

    Scheide: Ja.

    Müller: Und dennoch wird es irgendwie nicht gegengerechnet, dennoch reicht es nicht. Warum?

    Scheide: Weil die Ansprüche der Bürger an den Staat ja auch nicht abnehmen.

    Müller: Ist das ein Bürgeranspruch, Betreuungsgeld zu fordern?

    Scheide: Offensichtlich. Ich meine, wir können jetzt nicht über jede einzelne Maßnahme sprechen. Aber der Staat muss ja auch zum Beispiel dafür sorgen, dass die Infrastruktur nicht kollabiert, was im Moment offensichtlich der Fall ist. Der Staat investiert im Moment weniger in Straßen, als er das vor ein paar Jahren getan hat. Das ist auch etwas, was man sicherlich kritisieren kann.

    Ich würde jetzt nicht dazu übergehen und sagen, dass die Staatsausgaben ab jetzt stagnieren sollten oder zurückgehen sollten. Wir haben ja auch eine Inflationsrate, allein deshalb müssten die nominalen Staatsausgaben schon steigen, um real gerechnet bei dem gleichen Niveau zu bleiben. Und es gibt jede Menge Ansprüche, man redet über alle möglichen Dinge, die man in der Zukunft noch bezahlen will. Man will die Rente sichern, man will eine Mindestrente sichern, man spricht über Altersarmut, die man bekämpfen will, für Kindertagesstätten will man Geld in die Hand nehmen.

    Das sind auch die Ansprüche, die zum Beispiel von den Bürgern gestellt werden, und die bedient der Staat und da kann man nicht sagen, der Staat gibt jetzt munter Geld aus, was er gar nicht hat. Das halte ich jetzt für eine übertriebene Kritik. Man kann jede einzelne Maßnahme jetzt sicherlich kritisieren, aber zu sagen, das ist alles total unsolide, was da passiert, so weit würde ich nicht gehen.

    Müller: Aber Geld ausgeben, was er nicht hat, ist ja schon der Fall?

    Scheide: Richtig. So ist das gang und gäbe. Aber wir sind ja auf dem Weg dahin, dass wir zu einer Netto-Neuverschuldung von null kommen, und okay, der Weg dahin könnte ein bisschen schneller geschafft werden, aber wie gesagt, wir sind immer noch auf dem richtigen Wege, ganz im Gegensatz zu früheren Zeiten und ganz im Gegensatz zu anderen Ländern.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft. Danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Scheide: Ja, ich danke auch.


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