Andreas Püttmann vs. Birte Förster Sind die 1920er-Jahre wieder da?
Babylon Berlin, Weimarer Verhältnisse: Die Goldenen Zwanziger sind allgegenwärtig. Polarisierung und Radikalisierung kehren zurück, sagt der Politikwissenschaftler Andreas Püttmann. Die Historikerin Birte Förster betont die Unterschiede: Die Demokratie habe heute andere Probleme als 1920.
Eine zugespitzte Frage, zwei Gäste, zwei konträre Positionen – dazu eine Moderatorin oder ein Moderator und ein weites Themenspektrum, jeden Samstag um 17.05 Uhr. Das ist das Konzept der neuen Sendung. Sind wir zu politisch korrekt? Passen Religion und Aufklärung zusammen? BER und Stuttgart 21 – hat Deutschland das Bauen verlernt? Den Streit wert sind Kunst und Musik, Glaube und Wissenschaft, Lebensstil und politische Kultur. Eine gleich bleibende Debattendramaturgie sorgt für klare Standpunkte, dann folgen echter Austausch, Abwägen und gemeinsames Nachdenken. Im besten Fall wird der Titel so eingelöst, dass wir genau das vorführen: Streit-Kultur.
Die Fernsehserie Babylon Berlin spielt in den "Goldenen 1920er Jahren" (Frédéric Batier X Filme Creative Pool, ARD Degeto, WDR, SKY, Beta Film 2019)
Andreas Püttmann, Politikwissenschaftler und Publizist
"Ja. Die Zwanziger Jahre sind zwar nicht zurückgekehrt, aber bestimmte Muster und Bewegungen, die man damals beobachtet hat, sind in anderer Form unter veränderten Rahmenbedingungen wieder zu beobachten. Ich denke zum Beispiel an die wachsende Polarisierung und Radikalisierung im politischen System. Ich denke an den Schwund der Mitte, den Schwund der Kompromissfähigkeit, an die Verbreitung von Hass und Lügen.
Ich denke an den Aufwuchs von gewaltbereiten, insbesondere, Rechtsextremisten, die ungehemmter auftreten, einschüchtern und morden, wenn wir etwa an Halle und Walter Lübcke denken. Wir sind zu einem Sechsparteiensystem zurückgekehrt wie in der Weimarer Republik. Feindbilder werden gepflegt, besonders gegen eine bestimmte Religion. Wachsende Demagogie in Medien, eine erodierende Weltordnung, wachsende ökonomische Unsicherheit und schließlich eine zurückgehende Zufriedenheit mit der Demokratie – auch das gab es in den 1920er Jahren."
Der Politikwissenschaftler, Journalist und Publizist Andreas Püttmann (privat)
Birte Förster, Historikerin und Autorin des Buches "1919"
"Entschiedenes Nein. Weder sind wir eine Nachkriegsgesellschaft noch sind wir ein Land, in dem große Teile der Bevölkerung die Republik bekämpfen wollen. Wir haben eine ganz andere Verfassung, in der das Parlament eine zentrale Rolle spielt. Was uns auch von der Weimarer Republik maßgeblich unterscheidet: Frauen sind als Politikerinnen – und nicht nur als Politikerinnen – in der ersten Reihe angekommen. Sie sind rechtlich inzwischen vollkommen gleichgestellt.
Wir haben es auch nicht mit den gleichen sozialen Verwerfungen zu tun. Es gibt bessere Aufstiegschancen und der Zugang zu Bildung ist kostenfrei. Das heißt aber nicht, dass wir die aktuellen Gefährdungen unserer Demokratie – Rechtsterrorismus, Angriffe auf Büros von Abgeordneten, Bedrohung von Kommunalpolitikerinnen und -politikern – nicht ernstnehmen müssen. Aber das sind die Probleme des Jahres 2020 und nicht die des Jahres 1920."
„1919. Ein Kontinent erfindet sich neu" von der Historikerin Birte Förster (Buchcover Reclam/ Hintergrund picture-alliance / dpa-Bildarchiv)