
Protest gegen Corona-Regeln und "das System"
Polizei: Hohes Aggressionspotential auf Seiten der Demonstranten

Thüringens Innenminister: "Die Polizei ist am Limit"
„Nein, das ist nicht unsere Taktik. Es gilt nicht das Prinzip ‚Wenn alles friedlich ist, lassen wir laufen‘. Aber, jetzt kommt das Aber: Also, bei 90 Versammlungen – das muss ich Ihnen nicht erklären, was das von der Personalstärke eine Aufgabe ist –, die kann man nicht flächendeckend umsetzen. Wir hatten vorletztes Wochenende über 90 Versammlungen mit 27.000 Teilnehmern. Wir haben viele verletzte Polizistinnen und Polizisten, zum Teil schwere Verletzungen, Nasenbeinbrüche, Knochenbrüche, Knalltraumata. Also, die Polizei ist am Limit.“

„Also, wir befinden uns ja nun seit zwei Jahren in dieser Pandemie. Und da wäre es doch tatsächlich schön, wenn man gewisse Konzepte hat, auch eine gewisse Einheitlichkeit, wo man halt sagt: Wo soll es denn hingehen? Und da muss man einfach dann tatsächlich auch schauen, dass es a) dem pandemischen Geschehen Rechnung trägt und dass es aber am Ende auch händelbar ist.“
Was motiviert die Demonstranten?
Aber was motiviert Menschen überhaupt, zu den Protesten gegen die Corona-Politik zu gehen?
„Weil wir eine Menschheitsfamilie sind und wir alle zusammengehören. Und ich gegen Diskriminierung bin, dagegen, jemanden auszugrenzen ob seines Impfstatus.“

„Ich möchte eigentlich, dass die Menschen zusammengehen und sich verstehen und in Frieden miteinander leben. Und deshalb stelle ich mich hier einfach so hin, ohne weiter was zu sagen.“
„Das Problem ist, dass mir und meiner Partnerin die Lebensgrundlage entzogen wird. Meine Partnerin arbeitet in der Pflege seit 32 Jahren. Und jetzt auf einmal ist es so, dass sie eine Gefahr darstellt – darstellen soll.“
Nur wenige Stimmen aus einem sehr breit gefächerten Demonstrations-Umfeld, das auch für die Wissenschaft nicht leicht darzustellen und einzuordnen ist.
Viele unterschiedliche Motive und Ziele
„Das ist ein Milieu von Menschen, die eine politische Agenda vertreten, die ich mal mit dem Satz zusammenfassen möchte: ‚Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war‘. Die für sich beschreiben, dass sie mit den Prozessen der Fragmentierung und Diversifizierung von Gesellschaft in ganz unterschiedlichen Bereichen sagen: Damit können und wollen sie nicht mitgehen. Ob das Migration betrifft, ob das die Geschlechterfrage betrifft, was auch immer es ist. Und jetzt soll ich mich auch noch impfen lassen!?“

„Es sind völlig krude Kombinationen! Das sind emotionale Schieflagen, das ist Angst. Das ist Kontrollverlust auf der persönlichen Ebene, aber auch vermeintliche Bedrohung bis hin zu der möglicherweise anstehenden Kriegssituation in der Ukraine. Ganz zu schweigen von der Frage: Wie geht es mit Virus, mit Pandemie weiter? Dann kommen hier viele Faktoren zusammen, die bei den normalen Bürgerinnen und Bürgern eine Empfänglichkeit darstellen, eben für Menschen, die vielleicht mit einem Megaphon laut auf der Straße ihnen aus dem Herzen sprechen, weil sie Dinge ansprechen, auf die sie von den demokratisch legitimierten, auf dem Boden der Verfassung stehenden Parteien beispielsweise keine zufriedenstellenden Antworten kriegen.“
Kritik an Corona-Maßnahmen als Einstieg in Staatsskepsis
Diese Komplexität bei Motiven und Zielen, so der Sozialwissenschaftler Begrich mache es Staat und Gesellschaft schwer, angemessen auf die Proteste zu reagieren: „Ich sehe eine ganze Reihe von Leuten, für die die Kritik an den Corona-Maßnahmen, für sie so ein Einstieg war in so eine grundsätzliche Staatsskepsis, ja, also zu sagen: ‚Ein Staat, der uns seit zwei Jahren durch einen Irrgarten der Maßnahmen führt, aber keinen Ausgang zeigt“, da wächst so eine Kultur des Misstrauens‘.“

„Und die vereinigen sich auf der Straße mit Leuten, die ohnehin eine ideologische Agenda haben oder hatten. Da kommen Leute, die sagen, ‚die Bundesrepublik ist eigentlich eine GmbH‘, also diese Reichsbürger-Versatzstücke. Dann kommen Leute, die haben Versatzstücke von diesen verschwörungs-ideologischen Sachen, und dieses Verschwörungsideologische, das hat einen engen Nexus auch mit so einem - ich würde das mal Vulgär-Antikapitalismus nennen, also da werden so vulgärmarxistische Zirkelschlüsse gezogen.“
Antikapitalimus und Verschwörungsideologien
Reporter: „Und warum sollte der Staat das machen?“
„Da gibt es sicherlich Interessen dafür. Das möchte ich ja gar nicht anführen, warum das so ist. Das kann sich jeder selber ausmalen.“
„Verschwörungstheorien sind nur solange Verschwörungstheorien, bis sie sich plötzlich als wahr erweisen. Ja, dann ist es keine Verschwörungstheorie mehr.
Rechte Kleinstparteien wittern ihre Chance
Diverse rechte Kleinstparteien sehen eine große Chance darin, endlich mehr als die eigene Klientel zu mobilisieren und politische Geländegewinne zu machen. Sie heizen die Stimmung an. Polizisten werden als „Söldner“ und „Nazi-Schergen“ beschimpft, immer wieder drängen Demonstranten vor die Häuser von Kommunalpolitikern, beleuchten mit Taschenlampen die Fenster des Oberbürgermeisters – wie hier in Gera.
"Rhetorik des Bürgerkriegs"
„Wenn ich Protest mache, dann will ich mich beteiligen, dann will ich verändern, dann will ich teilhaben. Wenn ich aber 'Widerstand' rufe, dann wähne ich mich in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem meine Beteiligung gar nicht mehr möglich ist. Ergo ich bin in einer Diktatur. Das heißt, es gibt einen begrifflichen und inhaltlichen Zusammenhang zwischen diesem Narrativ der 'Corona-Diktatur' oder 'DDR 2.0' und diesen lauten Rufen nach dem 'Widerstand'.
Also nehmen wir mal die Rhetorik der ‚Freien Sachsen‘. Und denen geht es nicht um Corona, denen geht es um die Delegitimation der Demokratie. Die stellen sich hin und sagen: 'De sächsische Polizei, das sind die Kretschmer-Milizen!', oder einer ihrer Wortführer, Martin Kohlmann, verkündet im Stile eines Warlords einen 'Weihnachtsfrieden'. Das ist wirklich Vigilantismus. Also das ist die Rhetorik des Bürgerkriegs. Das hat mit Protest nichts mehr zu tun.“

Verfassungsschutz hält sich mit Einordnungen zurück
„Und deswegen sind wir auch sehr zurückhaltend und sehr vorsichtig, wenn es darum geht, Aussagen darüber zu machen, wer marschiert dort eigentlich? Wie sind die Leute einzusortieren? Aber diejenigen, die als Organisatoren in Erscheinung treten, da handelt es sich sehr wohl um Reichsbürger, um Querdenker, um bekannte Rechtsextremisten, nicht zuletzt auch die Alternative für Deutschland, die hier sehr klar versuchen, sich im Grunde genommen die Stimmung, die Wut, die sicherlich bei vielen Bürgerinnen und Bürgern nachvollziehbar auch ist, versuchen, sich zu eigen zu machen.“
Bislang scheint das zu funktionieren.
Unbekümmertheit im Umgang mit extremen Rechten
„Ich hab’s noch nicht erlebt, dass hier Personen dabei waren, die rechtsextreme Parolen gerufen haben oder ganz sogar irgendwelche Zeichen gezeigt haben. Also überhaupt nicht, überhaupt nicht. Das sind ganz normale Menschen, die hier ihre Ängste kundtun, die einfach laufen wollen, ihre Ängste sagen, die einfach auch mal 'Frieden, Freiheit, keine Diktatur!' rufen. Und wem kann denn das wehtun?“
David Begrich kennt und beklagt diese Unbekümmertheit vieler bürgerlicher Ostdeutscher im Umgang mit extremen Rechten, deren Normalisierung seit den 90er Jahren. Von PEGIDA z.B., von den „Montagsmahnwachen“. Dokumentiert etwa im Thüringenmonitor, der rechtsextreme und antisemitische Einstellungen bis weit in die bürgerliche Mitte belegt: „Da muss man schon mit Hakenkreuzfahne und Baseballschläger auf der Straße stehen, damit die Leute sagen: 'Ah, das dann lieber doch nicht!' Aber an alle anderen Erscheinungsformen sind weitestgehend normalisiert.“
"Da bleibt was zurück, ein Schaden an unserer Demokratie"
David Begrich sieht keine schnellen Lösungen, sondern eher grundlegende Defizite im Verständnis vom Funktionieren der Demokratie. Er macht Unterschiede aus – zwischen Ost und West:
„Wenn der Westdeutsche ein Problem mit der Politik hat, dann gründet er eine Bürgerinitiative, sammelt Unterschriften und versucht, irgendetwas in irgendwelchen Gremien durchzusetzen - im Stadtrat, im Kreisrat. Die ostdeutsche Methode ist: ‚Wir gehen hier unten solange auf die Straße, bis die da oben machen, was wir wollen‘! Das ist die Verbindung zu ´89, also zu sagen: ‚Der Mechanismus ist der gleiche, beziehungsweise, die Umstände der politischen Kultur sind die gleichen.‘“
Okkupation des ´89-Narrativs
Dieses Narrativ sei nicht neu, sagt Begrich. Immer wieder bemühen gerade AfD-Funktionäre – gern auch die aus dem Westen zugewanderten – Bilder vom Revolutionsherbst ´89 und suggerieren: So schnell könnte es noch einmal gehen.
Denn der Bezug auf 1989 verfange bei vielen Ostdeutschen sowohl emotional als auch in der Erinnerung: Sie haben damals etwas bewegt. Klarer als bisher müsste der Staat der Polizei Vorgaben machen, was erlaubt ist, wen es zu schützen und was es zu verhindern gelte: Aufmärsche vor Wohnungen von Politikern, Angriffe auf Impfzentren, Übergriffe auf Journalisten, Polizisten, Gegendemonstranten.
„Es ist auch eine Qualität einer Demokratie, dass sie bestimmte Protest-Formate einfach aushält und eben nicht immer gleich irgendwie den Polizeiknüppel rausholt. Und jetzt kann man irgendwie inzwischen nun kritisieren, dass die Polizei sich im Rückwärtsgang bewegt. Das sehe ich auch so. Aber trotzdem möchte ich sagen: Die Grundrechte gelten, und die Grundrechte sind auch strapazierfähig.“
Protestbewegung mit Gefahrenpotenzial
„Der eine Schluss ist zu sagen: 'Ich bleibe zu Hause und kümmere mich um mein Sofa oder meine Kinder oder meinen Schrebergarten.' Und der andere Schluss ist zu sagen: 'Jetzt versuchen wir mal etwas Anderes.' Das heißt, dass die Gefahr besteht, dass ein Teil der politischen Akteure, die jetzt auf die Straße gehen, dass es denen irgendwann nicht mehr reicht, auf die Straße zu gehen. Und das ist gefährlich.“