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Antisemitismus in Tschechien
Streit um jüdische Gedenkstätte

Die jüdischen Gemeinden in Tschechien möchten einen ihrer alten Friedhöfe wieder als Gedenkort einrichten. Doch seitdem die jüdischen Mitbürger den Anspruch auf ihren Friedhof erheben, werden sie derart beleidigt, dass Beobachter vom größten antisemitischen Vorfall der vergangenen Jahre sprechen.

Von Kilian Kirchgeßner | 21.04.2017
    Ein Rabbiner auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Friedhofs in Prostějov hält eine alte Fotografie des Friedhofs mit zahlreichen Grabsteinen, die dort ursprünglich dicht nebeneinander standen.
    Aus den jüdischen Grabsteinen bauten die Einheimischen im Zweiten Weltkrieg Abwassergräben, sie pflasterten damit ihre Höfe oder mauerten Keller (Imago/Ludek Perina)
    Einen eigenen Ordner hat Tomas Jelinek angelegt, in dem er die Beschimpfungen sammelt, die bei ihm und seinen Mitarbeitern eingehen, seit sie sich stark machen für die Wiederherstellung eines alten jüdischen Friedhofs.
    Da kamen konkrete antisemitische Äußerungen: Hier in einem Brief wird jemand als jüdisch-zionistischer Verschwörer bezeichnet, oder hier Zeitungskommentare aus dem Dorfblatt: Jüdische Schande, Proteste gegen Juden, Mit Erpressern verhandelt man nicht.
    Tomas Jelinek ist Vertreter der jüdischen Stiftung, die in der mährischen 45.000-Einwohner-Stadt Prostějov einen alten Friedhof wiederherstellen möchte, der heute als Parkplatz und Grünstreifen dient - ein Ansinnen, das die Wogen hochschlagen lässt. Ein paar Tausend Bürger unterschrieben eine Petition gegen das Vorhaben, und auch die Bürgermeisterin Alena Raskova bezieht eindeutig Position:
    "Unsere Stadt ist nicht zerstritten, keinesfalls! Eine große Mehrheit will den Platz so bewahren, wie er ist, immerhin liegt er mitten in einem Wohngebiet. Aber es gibt keine antisemitischen Stimmungen!"
    Die jüdische Gemeinde möchte den historischen Friedhof zum Gedenkort machen
    Das Problem wurzelt viele Jahrzehnte in der Vergangenheit: Die Nazis haben den Friedhof dem Erdboden gleichgemacht, die Kommunisten anschließend eine Schule direkt daneben gebaut. Tomas Jelinek von der jüdischen Stiftung:
    "Der Grundgedanke war, wieder etwas auf den Stadtplan zurückzubringen, was in der Nazi-Zeit zerstört wurde. Dafür wollten wir Partner finden, um gemeinsam ein historisches Unrecht zu korrigieren."
    Dieses alte Unrecht ist in Prostějov auf viele Orte verteilt: Aus den jüdischen Grabsteinen bauten die Einheimischen im Zweiten Weltkrieg Abwassergräben, sie pflasterten damit ihre Höfe oder mauerten Keller. Als die jüdischen Gemeinden kürzlich ihre Idee vom erneuerten Friedhof vorstellten, boten gleich einige Anwohner ihre Hilfe an. Tomas Jelinek:
    "Es meldete sich ein Herr und sagte, er habe ein Stück eines jüdischen Grabsteins in seinem Garten, nun wolle er den Stein spenden. Wir haben den Stein gereinigt und darauf Reste einer Inschrift gefunden. So konnten wir genau feststellen, um wessen Grabstein es sich handelt - und wir haben einen direkten Nachfahren in den USA ausfindig gemacht."
    Die Vergangenheit trifft recht unversöhnlich auf die Gegenwart
    Dieses Suchen in der Vergangenheit trifft auf eine lebendige Stadt der Gegenwart - und an der Frage, wie man beides miteinander verbinden kann, entzündet sich der Streit. Rings um den einstigen Friedhof herum sind inzwischen Wohnhäuser und eben das Schulzentrum entstanden, argumentiert Bürgermeisterin Alena Raskova:
    "Die Schule ist in den 70er Jahren gebaut werden, es sollte grün und luftig sein. Da kann man jetzt nach 40 Jahren doch nicht einfach kommen und so tun, als gebe es da diese Schule nicht."
    Tatsächlich geht der aktuelle Plan für die Gedenkstätte davon aus, eine Hecke um den einstigen Friedhof zu pflanzen; der Zugang zur Schule soll auf einem alternativen Weg gebaut werden, der nicht mehr über die Gräber führt. Das schränke das Leben in der Stadt aber zu sehr ein, kritisiert die Bürgermeisterin:
    "Wir haben uns ursprünglich mit dem Architekten überlegt, die Gehwege an ihrem Platz zu lassen, nur vielleicht 20 Zentimeter erhöht, damit man nicht über Gräber läuft. Aber dann kam der aktuelle Vorschlag, der eine Hecke um den ganzen Platz vorsieht und nur einen einzigen Zugang. Das ist für uns inakzeptabel - da kamen wir an den Punkt, wo weitere Absprachen nicht möglich waren."
    Immerhin, argumentiert die Bürgermeisterin, fand schon 1908 das letzte Begräbnis auf dem Friedhof statt und es gebe schließlich einen Gedenkstein, der an die zerstörten Grabstätten erinnere. Wie ein Kompromiss aussehen könnte, ist unklar - die Fronten sind auf beiden Seiten verhärtet. Zur Vermittlung hat sich jetzt der frühere tschechische Premierminister Vladimir Spidla eingeschaltet.
    Die Stimmung in Prostějov aber ist aufgeheizt - selbst ein örtliches Anzeigenblatt schreibt offen antisemitische Kommentare - unlängst tauchte in der Stadt ein anonymes Flugblatt auf, dessen Verfasser schrieb, ein Zusammenleben mit Juden sei unmöglich. Die Unterstützer des Friedhofs-Projekts vor Ort würden teilweise offen angefeindet, sagt Tomas Jelinek:
    "Ich glaube nicht, dass die meisten Leute in Prostějov Antisemiten sind, überhaupt nicht! Aber die Häufung dieser antisemitischen Äußerungen an einem einzigen Ort ist für Tschechien, wo man ansonsten der jüdischen Bevölkerung gegenüber sehr entgegenkommend ist, außerordentlich hoch."
    Eins immerhin ist inzwischen erreicht: Der einstige Friedhof ist gerade zum Kulturdenkmal erklärt worden - auch, wenn darauf bislang nur ein Parkplatz steht.