Dienstag, 16. April 2024

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Arbeitnehmervertreter der Commerzbank
Neuer CEO muss "Belegschaft aufrichten"

Stefan Wittmann von der Gewerkschaft Verdi sieht die Probleme der Commerzbank vor allem in der fehlenden Zukunftsperspektive für die Mitarbeiter. Im Dlf sagte er: "Seit der abgesagten Fusion mit der Deutschen Bank, wissen wir nicht, wie es weitergeht". Ein neuer CEO müsse vor allem einen klaren Kurs benennen.

Stefan Wittmann im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.07.2020
Logo der Commerzbank
"Der Kurs ist ein bisschen unklar", sagte der Arbeitnehmervertreter der Commerzbank, Stefan Wittmann, im Dlf zur aktuellen Situation des Geldhauses. (Revierfoto/Revierfoto/dpa)
Am Freitag (03.07.2020) haben sowohl der Vorstandschef (Martin Zielke) als auch der Aufsichtsratsvorsitzende (Stefan Schmittmann ) der Commerzbank ihren Rücktritt erklärt. Zuvor hatte der Finanzinvestor Cerberus, der mit rund fünf Prozent an der Bank beteiligt ist, die geschäftliche Ausrichtung und das Management scharf kritisiert. Sparmaßnahmen, Filialschließungen und Personalabbau werden bei der Commerzbank seit Langem diskutiert.
Was die aktuelle Situation für die Belegschaft bedeutet und wie die Belegschaft die wirtschaftliche Situation der Bank einschätzt, erläutert Stefan Wittmann, Arbeitnehmervertreter der Commerzbank von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
Schild einer Commerzbank-Filiale
Bilanz der Commerzbank - Niedrigzins und Digitalisierung Im Februar 2020 hat die Commerzbank ihre Bilanz für das Jahr 2019 vorgelegt - und die war nicht unbedingt ein Grund zum Feiern.

Das Interview in voller Länge:
Dirk-Oliver Heckmann: Herr Wittmann, Vorstandschef Martin Zielke und der Chef des Aufsichtsrats, Stefan Schmittmann, nehmen den Hut. Das haben sie am Freitag bekanntgegeben. Wie überrascht waren Sie von diesem Schritt? Waren Sie darüber informiert im Vorfeld?
Stefan Wittmann: Wir waren sehr überrascht, die komplette Arbeitnehmerbank. Wir haben es quasi durch die Pressemitteilung erfahren. Und es war auch nicht abzusehen, dass das passiert, dass wir so einen Doppelrücktritt erleben werden.
"Wir müssen die Bank neu aufstellen"
Heckmann: Der zweitgrößte Anteilseigner, der US-Fonds Cerberus – wir haben ihn gerade schon gehört -, der ist ja benannt nach dem dreiköpfigen Höllenhund aus der griechischen Mythologie; deren Vertreter hatten ja massiv Kritik am Kurs der Commerzbank-Führung geübt. Der Vorstand setze viel zu sehr auf Wachstum und zu wenig auf Kostensenkung. Welche Rolle spielen dessen Vertreter bei dieser ganzen Geschichte?
Wittmann: Ich glaube, dass die Rolle von Cerberus momentan groß geschrieben wird. Der Einfluss, den sie tatsächlich auf das Geschehen in der Bank haben, ist aus meiner Wahrnehmung heraus eher klein. Man muss, glaube ich, bei den Angriffen von Cerberus auch zwei Dinge unterscheiden: zum einen die inhaltliche Frage, die Sie aufgeworfen haben, und zum zweiten die Ableitungen, die daraus dann getroffen wurden. Inhaltlich, glaube ich, liegt Cerberus gar nicht so falsch. Das heißt, wir müssen die Bank neu aufstellen. Wir sind dabei, auch in Verantwortung im Aufsichtsrat die Bank neu aufzustellen. Das ist das eine. Da kann man Cerberus in vielen Punkten gar nicht widersprechen und das hat unser Aufsichtsratsvorsitzender ja auch getan, indem er Cerberus zurückgeschrieben hat, dass er ihnen inhaltlich in vielen Punkten zustimmt. Aber das andere ist die Frage nach personellen Konsequenzen und ich glaube, dass es kein Allheilmittel ist, immer nur den Vorstandsvorsitzenden und den Aufsichtsratsvorsitzenden auszutauschen, sondern dass es um die Konzepte geht, die diese Bank voranbringen oder eben nicht.
"Der Bund hält sich sehr zurück"
Heckmann: Aber sie sind ja nicht ausgetauscht worden, sondern haben ihren Rücktritt angekündigt. Offenbar haben sie auch den Rückhalt des Bundes verloren. Oder lesen Sie das anders?
Wittmann: Das kann man durchaus so sehen, wobei belastbare Aussagen aus dem Bundesfinanzministerium schwer zu kriegen sind. Der Bund hält sich sehr zurück, was die Bewertung der Vorgänge angeht. Aber ich gehe mal davon aus, dass ein Vorstandsvorsitzender einer so großen Bank wie der Commerzbank sich mit seinen Großaktionären bespricht, bevor er solche Schritte unternimmt.
Heckmann: Die Vertreter des Bundes hatten sich ja auch hinter den Kulissen zumindest unzufrieden gezeigt. Man hatte ja sogar eine Unternehmensberatung beauftragt, die neue Strategie der Commerzbank zu überprüfen. Hat da Finanzminister Scholz Cerberus möglicherweise die Drecksarbeit machen lassen? Der eine oder andere Beobachter sieht das so.
Wittmann: Kann man so sehen, muss man aber nicht. Es gibt mittlerweile mehrere Gutachten über den Zustand und die Zukunft der Bank und welches Gutachten jetzt letztendlich für den Vorstand bei der Erarbeitung seiner Strategie ausschlaggebend war, ist, glaube ich, Spekulation. Wir kennen das Konzept jetzt zwar in groben Zügen. Man muss jetzt schon wieder sagen das alte. Aber welche Ableitungen sich aus welchem Gutachten ergeben, das wissen wir nach wie vor nicht.
"Der Kurs ist ein bisschen unklar"
Heckmann: Über die Frage, wie es weitergehen soll mit der Commerzbank, darüber werden wir gleich noch intensiver sprechen. Ich will aber noch ein bisschen zurückblicken. Was ist denn schiefgelaufen bei der Commerzbank, dass sie jetzt schon so lange in der Krise ist und einfach nicht rauskommt?
Wittmann: Für uns Arbeitnehmer hat das zwei Gründe. Der erste Grund ist, dass wir seit der abgesagten Fusion zwischen Deutscher und Commerzbank als Belegschaft eigentlich nicht genau wissen, wo es weiter hingehen soll. Das heißt, der Kurs ist ein bisschen unklar. Zunächst hat man uns erklärt, dass ohne die Fusion mit der Deutschen Bank unser Haus keine Zukunft hat. Ein paar Wochen später hat man uns erklärt, dass wir sehr gut alleine überleben können. Das hat viele Mitarbeiter verunsichert. Das ist das eine und das zweite ist, dass wir, glaube ich, als Bank auch nicht abschließend wussten, ob wir jetzt mehr auf Digitalisierung oder mehr auf Filialen setzen sollen. Das hat letztendlich auch nicht dazu beigetragen, die Mitarbeiter ruhiger zu machen, weil sie nicht wussten, bleiben sie im Vertrieb nun in ihren Filialen, oder bleiben sie nicht.
Heckmann: Sie haben die geplatzte Fusion im vergangenen Jahr mit der Deutschen Bank angesprochen. Auch Betriebsrat und Gewerkschaften hatten ja dagegen heftig mobilisiert. Trifft auch die Arbeitnehmervertreter Schuld an der Misere, weil man sonst nicht in so einer Situation wäre, wie man jetzt ist?
Wittmann: Wenn wir der Fusion zugestimmt hätten, dann hätten wir uns schuldig gemacht. Wir haben im Rahmen unserer Verantwortung sowohl im Aufsichtsrat als auch über die Betriebsräte und als Gewerkschaft selbst ja nicht "die typischen Arbeitnehmerargumente" genannt, was den Erhalt von Arbeitsplätzen und dergleichen angeht, sondern wir haben unseren Widerspruch und unseren Widerstand ja betriebswirtschaftlich begründet. Letztlich haben uns ja sowohl die Analysten der beiden Häuser als auch die Analysten des Marktes recht gegeben, dass so ein Merger für beide Seiten keine Vorteile gehabt hätte.
"Die Commerzbank steht auf soliden Füßen"
Heckmann: Keine Vorteile gehabt hätte, aber jetzt steht die Commerzbank auch schlecht da.
Wittmann: Und das bestreite ich. Die Bank steht nicht schlecht da. Wir haben im ersten Quartal keinen Gewinn gemacht, das ist richtig. Aber die Commerzbank steht auf soliden Füßen, hat ein ordentliches Eigenkapital, erfüllt alle Auflagen der EZB und des BaFin, ist gut in der Risikovorsorge, hat sich ordentlich im Geschäftsmodell aufgestellt. All das, was jetzt um die Bank herum passiert, ist letztendlich zwar alles nicht falsch, aber das Grundübel insgesamt, dass wir einen klaren Kurs brauchen, dass wir nach vorne gucken müssen und dass die Mitarbeiter wissen müssen, für was sie denn arbeiten, das führt dazu, dass wir Probleme in der öffentlichen Wahrnehmung haben. Aber die Bank ist ja nicht krank!
Heckmann: Trotzdem wird über eine Verschärfung des Stellenabbaus nachgedacht, diskutiert. Bisher war ja geplant, 4300 Stellen abzubauen. Jetzt stehen zusätzlich 7000 Stellen in Rede, insgesamt über 11.000. Jede vierte Stelle wäre in Gefahr. Ist das aus Ihrer Sicht eine realistische Perspektive?
Wittmann: Nein. Unser Problem ist derzeit ja nicht, wie viele Arbeitsplätze abgebaut werden, sondern die Frage, die im Raum steht, ist, warum. Das heißt: Wenn wir uns stärker digitalisieren, was durch die Arbeitnehmerbank deutlich unterstützt wird, und wenn wir schlankere Strukturen aufstellen, wenn wir uns anders organisieren, wenn wir uns bei Produkten besser fokussieren, dann gehen wir überall mit. Und dass wir dafür weniger Belegschaft brauchen auf Sicht, das ist uns auch bewusst. Nur die Frage, ob das jetzt drei, vier, fünf oder noch mehr tausend Beschäftigte sind, die stellt sich ja erst dann, wenn ich weiß, welcher digitale Prozess funktioniert wie, wie viele Mitarbeiter spare ich dadurch ein, und dann kann ich darüber nachdenken, die Belegschaft abzubauen. Aber momentan macht die Bank das genau anders herum. Sie baut erst die Belegschaften ab, um dann festzustellen, dass die Prozesse noch nicht so weit sind, hat deswegen Schwierigkeiten und kommt in der öffentlichen Wahrnehmung nicht gut weg.
"Ich erwarte, dass personelle Fragen geklärt werden"
Heckmann: Was erwarten Sie denn jetzt von der heutigen Sitzung?
Wittmann: Ich glaube nicht, dass wir uns inhaltlich mit der Strategie beschäftigen können, weil die oder der Vorstandsvorsitzende müssen ja erst mal sich satteln, müssen wissen, wie sie die Bank sehen. Und wenn es ein externer wäre, was ich nicht hoffe, dann wäre es erst recht so, dass er sich erst mal orientieren müsste. Von daher kann ich nicht als Aufsichtsrat jetzt hergehen und über die Strategie des scheidenden CEO reden, um die dann quasi als Fußfessel dem neuen mitzugeben. Ich erwarte von der heutigen Sitzung, dass personelle Fragen geklärt werden, dass wir einen Ausblick kriegen mit einer Zeitschiene, wie es jetzt weitergehen soll, und dass wir uns mit der Strategie dann beschäftigen, wenn wir wissen, wer sie zu verantworten hat.
Heckmann: Aber eine neue Strategie kann man sicherlich auch nicht auf die lange Bank schieben, oder?
Wittmann: Nein, das ist richtig. Aber das heißt, jetzt personelle Entscheidungen treffen, in den nächsten Wochen, und dann mit dem neuen vollbesetzten Vorstand über die Strategie sprechen.
Heckmann: Sie haben gerade gesagt, Herr Wittmann, Sie hoffen, dass es niemand Externes wird. Weshalb? Es wäre vielleicht gar nicht so schlecht, sich externen Sachverstand bei der Bank hereinzuholen.
Wittmann: Na ja. Ich sage mal so: An Sachverstand mangelt es uns in der Bank nicht. Wir haben einen sehr guten Vorstand. Ich glaube, dass in der Öffentlichkeit nicht herüberkommt, dass wir einige Vorstandsmitglieder haben, die in den letzten Monaten eine hervorragende Arbeit geleistet haben. Und ich sehe jetzt nicht zwingend, dass wir einen externen Beistand brauchen. Die Frage, wenn wir tatsächlich in Größenordnungen Personal abbauen, könnte ja zum Beispiel auch lauten, müssen es wirklich sieben sein, oder reichen auch sechs.
"Ich hab einen persönlichen Favoriten"
Heckmann: Haben Sie denn einen Favoriten?
Wittmann: Ich habe einen persönlichen Favoriten, aber das werde ich Ihnen nicht verraten – aus dem ganz einfachen Grund: Wenn ich das tue, dann ist er quasi verbrannt, weil die Arbeitnehmer ihn fordern.
Heckmann: Was muss er oder sie denn können?
Wittmann: Sie oder er muss eines können: Die Bank zusammenhalten, die Belegschaft aufrichten, klare Botschaften an die Mitarbeiter schicken und da auch einen klaren Kurs benennen, der nachvollziehbar für alle ist und der letztendlich für Ruhe und Frieden in der Bank sorgt, damit diejenigen, die dort arbeiten, tatsächlich auch am Erfolg der Bank arbeiten können und keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze haben.
Heckmann: Herr Wittmann, die Commerzbank galt ja schon mal als Übernahmekandidatin. Deswegen ja auch diese Pläne, mit der Deutschen Bank zu fusionieren, die dann geplatzt sind. Könnte die Commerzbank jetzt wieder zum Spielball werden?
Wittmann: Für Spekulanten mit Sicherheit ja. Aber ich glaube, dass die Bank gut daran täte, allein zu bleiben. Erstens ist der deutsche Markt nicht so einfach, wie den manche gerne reden. Das sieht man immer wieder, wenn ausländische Banken in Deutschland versuchen, Fuß zu fassen. Da gibt es ja nur wenige Erfolgsbeispiele.
Und zum zweiten: Wenn ein ausländischer Merger stattfinden würde, wenn jetzt was weiß ich, Franzosen, Holländer, Spanier uns fusionieren würden, dann würde das die Probleme der Bank im inländischen Markt ja nicht lösen. Bedeutet: Unsere Ertragsprobleme im inländischen Markt müssen wir mit unseren Kunden hier vor Ort gemeinsam lösen und nicht mit irgendjemand, der uns aus dem Ausland heraus erklärt, wie es vielleicht besser laufen könnte in Deutschland.
"Die Deutsche Bank hat jede Menge Hausaufgaben vor sich"
Heckmann: Wären Sie denn bereit, noch mal über eine Fusion mit der Deutschen Bank nachzudenken, um ein Investment eines ausländischen Investors zu verhindern?
Wittmann: Nein. – Die Deutsche Bank hat jede Menge Hausaufgaben vor sich. Da wünsche ich ihnen viel Erfolg dabei und wünsche ihnen, dass sie sehr erfolgreich sind auch in der Zukunft. Wir sollten unsere Hausaufgaben selber machen, eigenständig bleiben und zusehen, dass wir selber Erfolg haben.
Heckmann: Die letzte Frage bezieht sich noch auf den Vorstandschef Zielke, der ja angekündigt hat, abzutreten. Beziehungsweise er ist ja nicht zurückgetreten, wie es überall heißt, sondern er hat die Auflösung des Vertrages angeboten, zum Ende des Jahres spätestens. Hintergrund sind mögliche Millionen-Abfindungen. Das dürfte auch Thema werden im Aufsichtsrat. Heben Sie dafür die Hand?
Wittmann: Ich glaube nicht, dass unsere Meinung als Arbeitnehmervertreter gefragt ist. Traditionell ist es so, dass in Aufsichtsräten die Arbeitnehmervertreter sich bei Anstellungsfragen und Vergütungsfragen eher zurückhalten. Die Entscheidung, die Herr Zielke getroffen hat, die hat er für sich getroffen. Da musste er uns auch nicht fragen und insofern ist meine Meinung jetzt auch nicht gefragt, wie das aufgelöst wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.