Freitag, 29. März 2024

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Erleichterte Einbürgerung
Innenministerin Faeser (SPD): „Es geht darum, dass wir uns als Einwanderungsland begreifen“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat ihre Pläne für eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts verteidigt. Der Widerstand der Union gegen ein modernes Einwanderungsgesetz für Fachkräfte habe sie überrascht. Denn dies sei eine Forderung der Wirtschaft.

Nancy Faeser im Gespräch mit Sarah Zerback | 01.12.2022
Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, gibt eine Pressekonferenz zur polizeilichen Kriminalstatistik 2021 mit der Studie zu Gewalt in der Partnerschaft.
Wenn die Babyboomer-Generation in Rente gehe, werde sich der Mangel an Fachkräften verschärfen, sagte Faeser im Dlf (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Trotz Kritik von Opposition und Teilen der Ampel-Koalition rechnet Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dennoch mit einer raschen Umsetzung des geplanten Einbürgerungsgesetzes. Sie sei überzeugt, dass eine Einigung mit dem Koalitionspartner FDP gelinge, sagte sie im Deutschlandfunk. Die Freien Demokraten seien von Anfang an für eine Reform gewesen, dies sei auch im Koalitionsvertrag vereinbart worden.
Darin hatte die Regierung eine Reform des Staatsbürgerschaftsrechts festgelegt. Jetzt soll sie umgesetzt werden. Vorgesehen sind unter anderem eine Erleichterung für die Einbürgerung und Zuwanderung von Fachkräften, sowie eine Erweiterung der doppelten Staatsbürgerschaft.
Faeser sprach sich im Interview auch für eine Versachlichung der teils erhitzten Debatte um das Thema Einbürgerung aus. Unionspolitiker hatten ihr etwa vorgeworfen, den deutschen Pass zu "verramschen". "Es geht darum, dass wir uns eine andere Willkommenskultur geben, uns als Einwanderungsland auch begreifen, so wie Kanada und die USA", so die Bundesinnenministerin.

Das Interview in voller Länge:

Sarah Zerback: Waren Sie überrascht von diesem harten Widerstand und auch dem ganzen Wirbel, den Ihre Pläne in den vergangenen Tagen ausgelöst haben?
Nancy Faeser: Na ja. Ich bin schon überrascht, dass gerade die Union, die ja sonst auch von sich behauptet, dass sie wirtschaftsnah ist, gerade eine der größten Forderungen aus der Wirtschaft, nämlich ein wirkungsvolles Fachkräfte-Einwanderungsgesetz vorzulegen, nicht aufgreift und den Zusammenhang auch nicht herstellt. Wir haben jetzt schon massiven Arbeitskräftemangel in Deutschland. Das reicht von der Pflege bis zur IT. Und dass gerade die Union nicht an unserer Seite ist in der Frage, dies jetzt aufzulösen und die Hemmnisse, die existieren, abzubauen, wundert mich, hat mich etwas überrascht. Ich glaube aber, dass sie vielleicht auf dem weiteren Prozess dort mitgehen, weil es ist ja ein ganz klarer Zusammenhang. Die Babyboomer-Generation wird bald in Pension, in Rente gehen und dann werden wir noch einen verschärfteren Arbeitskräftemangel haben. Insofern ist es wirklich geboten, da etwas zu tun.

„Beim Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ist die FDP mit beteiligt“

Zerback: Nun muss man sagen, die Kritik, der Gegenwind kommt nicht nur von Unions-Seite, sondern auch vom eigenen Koalitionspartner. Der Hauptkritikpunkt ist, das hätte besseres Timing sein müssen. Warum gehen Sie denn an die Öffentlichkeit mit solchen Plänen, bevor Sie die eigene Partei, die eigene Koalition und vielleicht sogar auch die Opposition überzeugt haben?
Faeser: Ich glaube, man muss zweierlei unterscheiden. Beim Fachkräfte-Einwanderungsgesetz ist die FDP mit beteiligt und von Anfang an ja auch dafür gewesen und möchte mit uns gemeinsam ein modernes Fachkräfte-Einwanderungsgesetz auf den Weg bringen. Das gilt auch für die Fragen der Staatsangehörigkeit. Die Staatsangehörigkeitsfragen, die ich jetzt in der Öffentlichkeit gemeinsam mit dem Bundeskanzler auch vorgestellt habe, das sind die Pläne aus unserem gemeinsamen Koalitionsvertrag, und selbstverständlich habe ich auch mit den Innenpolitikern der FDP das vorher besprochen.

„Wir werden mit der FDP übereinkommen“

Zerback: Aber genau diese Innenpolitiker der FDP wünschen sich eine andere Zeitschiene und ein Gesetz aus einem Guss, um das mal zu zitieren. Warum haben Sie das nicht in dieser Form präsentiert, nicht erst die Einbürgerungsdebatte, dann die Einwanderungsdebatte geführt oder zumindest angekündigt, dass das in Teilen jetzt auch noch so kommt? Warum diese Art der Kommunikation?
Faeser: Wie gesagt, wir haben beides vorher angekündigt. Die Fachkräfteeinwanderung haben wir ja schon vor einigen Wochen, Hubertus Heil und ich, angekündigt. Wir haben beide schon Namensartikel dazu gehabt. Das war ja schon in der öffentlichen Diskussion. Wir haben sehr lange über die vier Ressorts, die es gestern ja gemeinsam vorgestellt haben, Frau Stark-Watzinger, Herr Habeck, Herr Heil und ich, gestern gemeinsam eine Pressekonferenz dazu gegeben.
Es sind gemeinsame Eckpunkte, die wir gestern im Kabinett beschlossen haben, und auch ein gemeinsamer Gesetzentwurf, den wir jetzt auf den Weg bringen werden. Wir haben schon sehr, sehr viele Details in den Eckpunkten geregelt und ich glaube, das wird was richtig Gutes, um gerade dem Fachkräftemangel in der Pflege, bei IT, bei vielen anderen Bereichen, auch übrigens in der öffentlichen Verwaltung Herr werden zu können und damit auch Wohlstand in Deutschland sichern zu können. Da bin ich sicher, dass wir gemeinsam als Koalition dort vorangehen, und auch bei der Einbürgerung. Das ist ja etwas, was am Ende eines Prozesses steht, und es geht tatsächlich darum: Wollen wir, dass Menschen unsere Werte hier übernehmen, sich dazu bekennen. Ich bin sicher, dass wir dort mit der FDP auch übereinkommen.

„Wir sind ein modernes Einwanderungsland“

Zerback: Und doch ist der Ampel-Streit in der Atomfrage gerade erst verdaut, da kommt jetzt zumindest der Eindruck bei vielen Bürgerinnen und Bürgern an, da gibt es schon wieder Streit in der Koalition. Und auch der Debattenton an sich hat sich zunehmend verschärft in den vergangenen Tagen. Da ist zum Beispiel auch von Verramschen der deutschen Staatsbürgerschaft die Rede. Die Debatte ist dort nicht zum ersten Mal aufgeladen. Wie wollen Sie denn dazu beitragen, dass hier auch mal wieder verbal abgerüstet wird?
Faeser: Ich glaube, dass man darauf hinweisen muss, wir sind ein modernes Einwanderungsland und es geht darum, dass wir am Ende eines Prozesses Menschen die Perspektive in Deutschland geben. Wir sind seit den 60er-Jahren Einwanderungsland. Menschen, die in den 60er-Jahren aus anderen Staaten hierhergekommen sind, haben dazu beigetragen, unser Land aufzubauen, haben ihre Kinder in den Schulen, die Kinder sind hier geboren. Dass wir ihnen jetzt eine Perspektive geben zu sagen, ihr könnt auch vollständig teilhaben, indem sie wählen dürfen in diesem Land und auch mitbestimmen, ich glaube, das ist etwas, was alle auch befürworten.
Ich glaube, es geht um die Versachlichung in der Debatte. Es geht darum, dass wir uns eine andere Willkommenskultur geben, uns als Einwanderungsland auch begreifen, so wie Kanada und die USA. Das Wichtige ist dabei, dass man dann ja auch steuern kann, wer kommt hierher und wie können wir das besser aufsetzen. Ich glaube, darum geht es vor allen Dingen. Ich bin eindeutig für eine Versachlichung in der Debatte. Ich bin da aber auch ganz zuversichtlich, dass wir da gemeinsam als Ampel-Koalition viel erreichen werden.

Doppelte Staatsbürgerschaft als Chance zur Teilhabe

Zerback: Mit weiterhin tüchtig Gegenwind von der CDU. CDU-Chef Merz sagt zum Beispiel in Richtung Doppelpass, Mehrstaatlichkeit, das soll der Ausnahmefall und nicht die Regel sein, um – und das ist ein Zitat – den deutschen Pass nicht zu entwerten. Woran machen Sie, Frau Faeser, den Wert eines deutschen Passes fest?
Faeser: Für mich ist der Wert, ob ich mich zu den Werten in unserem Land bekenne, ob ich die demokratische Grundordnung anerkenne und mich damit auch einverstanden erkläre, hier in diesem Sinne zu leben. Das ist doch der Wert der Zugehörigkeit, der Teilhabe. Das sind doch die Werte, die für eine Staatsangehörigkeit wichtig sind. Auch Deutsche können ja, wenn sie im europäischen Ausland sind, die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben. Auch die deutsche Staatsbürgerschaft darf man behalten, wenn man innerhalb der EU eine andere Staatsbürgerschaft erwirbt. Es ist doch eher ein Gewinn, wenn man sagen kann, dass Menschen ihre eigentliche Herkunft, wo sie herkommen, behalten dürfen und zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft erwerben. Das gilt für uns Deutsche auch und deswegen ist das, glaube ich, wirklich etwas, was zu einem modernen Einwanderungsland schlicht dazugehört und etwas Positives ist, um sich zu unserer Gesellschaft zu bekennen.

Einbürgerung und illegale Migration

Zerback: Es wird in dieser Debatte vieles mit vielem verknüpft. Die Union, aber auch die FDP zum Beispiel haben die Debatte um Einbürgerung mit dem Thema illegale Migration verknüpft. Da kommt massiv Kritik von der CSU, zum Beispiel von Joachim Herrmann. Diese Kritik wird Sie sicherlich auch heute noch mal persönlich erreichen auf der Herbsttagung der Innenminister, die in Bayern stattfindet. Warum kommen Sie in der Bundesregierung bei der Bekämpfung illegaler Migration und bei der Rückführung nicht voran?
Faeser: Zum einen habe ich mit Herrn Herrmann gestern schon zusammengesessen und das war sehr harmonisch hier in München. Zum anderen kommen wir dort voran. Ich wüsste nicht, welcher meiner Vorgänger in so kürzester Zeit Regelungen getroffen hat. Wir haben beispielsweise jetzt im Chancen-Aufenthaltsrecht eine Verlängerung der Abschiebehaft mit vorgesehen. Wir haben sehr ausgewogene Migrationspakete. Ich habe mich jetzt sehr stark gemacht in der Frage der Migrationsroute aus dem Balkan. Wir wollen humanitär helfen, aber wir wollen auch denjenigen, die kein Recht haben, hier zu sein, aufzeigen, dass es dann wieder Wege zurückgibt. Das habe ich sehr konsequent gemacht und ich bin sicher, auch da hilft manchmal die Versachlichung der Debatte. Wenn man sich das anschaut, haben wir als Koalition da jetzt schon mehr gemacht als meine Vorgänger.
Zerback: Ich versuche mal, einen Punkt dazu beizutragen. Ein Kritikpunkt der FDP ist, dass Sie es noch nicht mal geschafft hätten, den sogenannten Sonderbeauftragten oder Migrationsbeauftragten zu benennen, obwohl das Teil der Rückführungsoffensive ist. Warum ist das noch nicht gelungen?
Faeser: Das ist eine Abstimmung in einer Koalition mit drei Partnern. Das kann ich nicht alleine entscheiden.

Nancy Faeser über die WM in Katar

Zerback: Nun sind Sie, Frau Faeser, nicht nur Innen-, sondern auch Sportministerin. Heute spielt die deutsche Mannschaft gegen Costa Rica bei der WM, der wohl umstrittensten WM aller Zeiten. Schauen Sie das Spiel heute mit oder ohne Armbinde?
Faeser: Ich kann es heute nicht mit Armbinde schauen, weil ich sie nicht dabeihabe. Aber ich glaube, es war ein sehr wichtiges Signal, sie in Katar zu tragen, um zu zeigen, dass ich für Offenheit und Vielfalt bin und die Entscheidung der FIFA überhaupt nicht nachvollziehen kann und für einen großen Fehler halte, dass sie das untersagt haben, die zu tragen.
Zerback: Das sehen andere anders, zum Beispiel auch der Energieminister Katars. – Ist es so, egal ob das deutsche Team heute rausfliegt oder ins Achtelfinale kommt, sind wir zumindest schon mal die Weltmeister in Sachen Doppelmoral?
Faeser: Nein, es geht nicht um Doppelmoral. Sie können sich auf der einen Seite nicht verschließen, dass man mit Ländern in der Welt reden muss, auch über die Frage, wie stellen wir uns künftig auf. Auf der anderen Seite finde ich es richtig, dass man auch Missstände anspricht in Ländern und auch mit dazu beitragen kann, dass sich Veränderungen ergeben.
Deutliches Zeichen: Innenministerin Nancy Faeser mit der One-Love-Binde, die die FIFA zu tragen untersagt hat.
Deutliches Zeichen: Innenministerin Nancy Faeser mit der One-Love-Binde, die die FIFA zu tragen untersagt hat. (picture alliance / dpa / Robert Michael)
Ich will ein Beispiel aus Katar nennen, wo es Verbesserungen gibt. Das ist der Bereich der Wanderarbeiter, die dort unter extrem schlechten Bedingungen gearbeitet haben und mitunter keine Löhne bekommen haben. Jetzt sind in den letzten zwei Jahren dort Gewerkschaften entstanden, die werden sehr stark unterstützt, auch von Gewerkschaften aus Deutschland, um diesen Prozess zu begleiten, zu manifestieren, und das ist eine Verbesserung. Man kann sich immer in Deutschland hinstellen und von außen kritisieren, aber damit erreicht man am allerwenigsten. Das kann man dann doch besser vor Ort.

Handelsbeziehungen und Menschenrechte

Zerback: Die Kritik kommt jetzt aus Doha. Die kommt wirklich vom Energieminister Katars höchst selbst, der der „Bild“-Zeitung gestern ein Interview gegeben hat. Der Punkt, auf den die hinauswollen, ist: Einerseits belehren Sie die Katarer über die richtigen Werte. Andererseits wollen wir aber doch ihr Gas. Der Gas-Deal wurde vor zwei Tagen pünktlich zur WM verkündet. Das ist doch ein Widerspruch, der sich schwer auflösen lässt, oder?
Faeser: Noch mal: Wir können uns nicht verschließen. Wir haben auch Handelsbeziehungen zu China und trotzdem sprechen wir Missstände an. Wir haben das gleiche in Katar. Wir haben jetzt einen Gasliefervertrag, wir stellen uns dort diverser auf. Das ist, glaube ich, im Sinne der Bevölkerung auch in Deutschland, dass wir uns nicht mehr abhängig machen von einem Staat, sondern viele verschiedene Verträge haben, um künftig nicht mehr so abhängig zu sein, wie wir es waren. Das war ja ein großer Fehler aus der Vergangenheit und trotzdem kann man diese Dinge ansprechen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.