Mittwoch, 24. April 2024

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1953 am Broadway uraufgeführt
Arthur Millers "Hexenjagd" - auf einem Schlachtfeld der Moral

Wie wenige steht der US-Schriftsteller Arthur Miller für einen politisch engagierten und zugleich artistisch brillanten Künstler. 1953 beleuchtete er im Drama „Hexenjagd“ anhand eines historischen Ereignisses zeitlose Phänomene des Massenwahns.

Von Cornelie Ueding | 22.01.2023
Inszenierung von Arthur Miller Drama "The Crucible"  ("Hexenjagd") am 11. Januar 2015 im Nationalen Zentrum für Darstellende Künste Peking
Arthur Millers "Hexenjagd" (" The Crucible") hier inszeniert 2015 im Nationalen Zentrum für Darstellende Künste Peking (imago / Xinhua / imago stock&people)
Arthur Millers Stück „Hexenjagd“ spielt im Jahre 1692 – und ist heute noch ebenso aktuell wie bei seiner Uraufführung am 22. Januar 1953 am Broadway. Denn der Stoff ist hochpolitisch: Am Beispiel der historischen Hexenverfolgung verweist Miller zugleich auf die Jagd auf Kommunisten und kritische Geister in der McCarthy-Ära. Und prompt gerät er unter Anklage wegen „antiamerikanischer Umtriebe“ – denn, so der Autor in der Vorrede zu seinem Drama:
„Die Hexenverfolgung war eine perverse Kundgebung der Angst, die in allen Klassen auftrat, (…) Man kann sie alle nur bedauern, so wie man uns eines Tages bedauern wird. Auch heute noch ist es dem Menschen unmöglich, sein soziales Leben ohne Druck zu ordnen.“

Eine grausame Geschichte so lokal wie universell

Sehr viel verhaltener, wenngleich extrem kontrovers, die Aufnahme des Stückes ein Jahr später, 1954, in Deutschland. Ein Kritiker sieht den Blick „stumpf auf das Ziel seiner Schlussmoral gerichtet“ und vermisst „tiefere Bezüglichkeit“ – dabei hätte es, denkt man an die keine zehn Jahre zurückliegende Nazizeit, Bezüge genug gegeben.
Die perfide, grausame Geschichte, die sich in der kleinen, auf die Pilgrim Fathers zurückgehenden Kommune Salem in Massachusetts vor Jahrhunderten abspielte, ist lokal und universell zugleich. Die Salemer, so Miller, wollten für ihr erklärtes Ziel nicht weniger als ein „Neues Jerusalem“ aufbauen, „eine Theokratie, eine Kombination von religiöser und staatlicher Macht, deren Funktion es war, die Gemeinschaft zusammenzuhalten und jegliche Uneinigkeit zu verhindern.“
Innerhalb dieses rigiden Systems führt jede Abweichung von den vorgegebenen Normen zu drastischen Sanktionen. Im Jahr 1692 jedoch wurde daraus sehr viel mehr: Wie aus dem Nichts verwandelte sich die Gemeinde in ein Schlachtfeld der Moral, auf dem 200 bis 300 Personen zu Tode kamen – gedemütigt, gefoltert, gehängt.

Gnadenlose Vollstrecker einer puritanischen „Moral“

Miller rekonstruiert und dokumentiert akribisch, was damals geschah - sogar die Namen beteiligter Figuren wurden beibehalten. Vor allem aber arbeitet er die Strukturen und Mechanismen heraus, wie aus frommen Kolonisatoren im Namen Christi gnadenlose Vollstrecker einer puritanischen „Moral“ wurden, denn: „Geschlecht‚ Sünde und der Teufel waren früh verkoppelt und blieben es und sind es heute noch.“
Ein bohrendes ständiges Schuldgefühl, lauernde Rachsucht und permanentes Lügen und sich Verstellen gehören folgerichtig zu den zentralen Werten dieser Überwachungskultur - ein winziger Funken, und das System gerät aus den Fugen: Ein paar halbwüchsige Mädchen führen in einer versteckten Waldlichtung nur leicht bekleidet einen Tanz auf. Durch Zufall werden sie entdeckt, was ein moralisches Erdbeben auslöst: Heidnische Exzesse, sexuelle Ausschweifung - die untadelige Gemeinde ist hell entsetzt.

Laszive Sünderinnen zu verhexten Unschuldslämmern

Doch reaktionsschnell flüchten die jungen Mädchen, um den Schuldvorwürfen zu entgehen, zum einen in die Krankheit, zum anderen - weit gravierender - in Lüge und Verleumdung. Es genügt eine Prise Teufelsdämonie und ohnehin in der Luft liegenden Hexenaberglaubens - und aus den lasziven Sünderinnen werden verhexte Unschuldslämmer, die wahllos Verdächtigungen ausstreuen und zu überzeugenden „Opfer-Darstellerinnen“ werden. Ein „Zeuge“ berichtet entsetzt - hier in einer Hörspielbearbeitung von 1954:
„Das Mädchen Abigail Williams …“ / „Redet, Mann, redet …“

„Heute Abend fällt sie plötzlich um. Wie ein erschlagen Tier ... Und sie stößt einen Schrei aus. Und sie ziehen ihr eine Nadel heraus, die zwei Zoll tief in ihrem Leib steckt. Und als man sie fragt, wie’s dazu gekommen wär‘, gibt sie an …“

„Nun, was gibt sie denn an? So sprecht doch, Cheever!“ / „Sie sagte, der Geist eures Weibes wär‘s, der die Nadel hineingestoßen hat.“ 

Ein vehementes `Wehret den Anfängen!`

Der Kult um die jungen Seherinnen nimmt gespenstische Formen an. Relativierende Gegenstimmen gehen im allgemeinen Hype unter. Selbst die des respektierten Farmers John Proctor, der empört aufbegehrt:
„Ist denn der Ankläger immer heilig?... Ich werd‘ Euch sagen, was in Salem umgeht: Rache geht in Salem um! Verrückte Mädchen sehen Gespenster und gemeine Rache schreibt das Gesetz!“
Längst haben sich zu diesem Zeitpunkt das Kollektiv, die Institutionen der Kirche wie auch der Jurisprudenz darauf verständigt, zur systematischen „Hexenjagd“ zu blasen. Ein starkes Stück? Weit mehr: Ein vehementer Weckruf des `Wehret den Anfängen!`