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Atommüllendlager
Gorleben macht dicht

Mehr als vier Jahrzehnte dauert der Streit um den Salzstock in Gorleben als Standort eines geplanten Atommüllendlagers. 2011 beschloss der Bundestag den Ausstieg aus der Atomenergie. Die Erkundungsarbeiten in Gorleben wurden daraufhin eingestellt. Aber die Widerständler im Wendland trauen der Ruhe nicht.

Von Axel Schröder | 15.04.2019
Salzstock Gorleben, 840 Meter Tiefe, Blick auf den Fahrstuhl, bergmännisch: die Seilfahrtanlage
Salzstock Gorleben, 840 Meter Tiefe, Blick auf den Fahrstuhl, bergmännisch: die Seilfahrtanlage (Deutschlandradio / Axel Schröder)
Noch steht die fünf Meter hohe, stacheldrahtbewehrte Mauer rings um das Bergwerksgelände im Gorlebener Forst, um den Ort, der jahrzehntelang umkämpft war wie kaum ein anderer in Deutschland. Aber schon im Sommer letzten Jahres starteten die Rückbauarbeiten, rissen Bagger den Asphalt auf dem Gelände auf.
In Zukunft erklärt damals Dr. Thomas Lautsch, der Geschäftsführer der BGE, der Bundesgesellschaft für Endlagerung, in Zukunft geht es im Salzstock Gorleben nicht mehr um die Erkundung. Sondern nur noch um die so genannte Offenhaltung.
"Die reine Offenhaltung ist also ein Betriebsregime, das den Standort offen lässt, aber nicht weiter entwickelt. Und deswegen haben wir hier auch nur sehr eingeschränkte Aufgaben, nehmen die auch mit einer reduzierten Belegschaft wahr. Und deshalb passen wir unsere Anlagen dem Zustand an."
Blick auf bereits gebohrte Sprenglöcher im Salzstock Gorleben
Blick auf bereits gebohrte Sprenglöcher im Salzstock Gorleben (Deutschlandradio Kultur / Axel Schröder)
Erschöpft von den jahrzehntelangen Kämpfen um den Standort
Nicht mehr 115, sondern nur noch 20 Bergleute beschäftigt die BGE am Standort Gorleben. Eigentlich sollten dort, tief im Salz, schon vor 20 Jahren die ersten Atommüllbehälter eingelagert werden. Mittlerweile wurde das so genannte Standortauswahlgesetz verabschiedet. Die Endlagersuche beginnt von vorn, mit einer, so die Formulierung: "weißen Landkarte".
Aber ganz so weiß ist diese Landkarte eben nicht: Die Fördertürme oder die mächtige Mauer rings um das Areal, sind nur schwer zu übersehen. Aber das wird sich ändern, so Thomas Lautsch:
"Wir werden ja eine viel weißere Landkarte kriegen. Dadurch, dass wir den Footprint deutlich verringern. Die umzäunte Fläche wird deutlich kleiner werden. Und wenn sie nächstes Jahr kommen, dann werden sie sehen, dass wir schon viel näher dran sind an der 'weißen Landkarte', weil dann die Anlage deutlich verkleinert ist. Aber richtig ist natürlich, dass die Schächte da sind."
Denn immerhin bleibe Gorleben als potentieller Endlagerstandort im Rennen, er wird nur eingemottet. So sieht es das Standortauswahlgesetz vor. In jedem Fall müsse die Gorlebener Bergwerksmauer, auf der einst sogar fest montierte Wasserkanonen installiert waren, erst einmal weg. Das sieht nicht nur Thomas Lautsch so, sondern auch der Werksleiter vor Ort, Frank-Holger Koch:
"Es ist ja so, dass diese Wasserwerfer meines Wissens nie ernsthaft im Einsatz waren, durften auch grundsätzlich nur durch Polizei betätigt werden. Die sind dann demontiert worden. Dann war auch vorgesehen, den S-Draht abzunehmen, der war auch zwischenzeitlich schon mal ab. Diesen Eindruck, den der Normalbürger bekommt, wenn er diese Mauer sieht, um dieses Martialische, diesen Eindruck wegzukriegen, hat man sich letztendlich entschieden, diese Mauer komplett wegzunehmen."
Und auch die bisher von den Bergleuten genutzten großzügig angelegten Klinkerbauten werden, wenn die Mauer weg ist, anderweitig vermietet. Für die Bergleute stehen dann Container zur Verfügung. Peter Ward war bis vor kurzem Betriebsratsvorsitzender der Kumpel. Als die Rückbaupläne vor zwei Jahren bekannt werden, hat der gebürtige Brite sein Büro noch im alten Klinkerbau. Ward wirkt erschöpft von den jahrzehntelangen Kämpfen um den Standort, ist enttäuscht, dass es in Gorleben nicht weitergeht. Obwohl die Arbeiten untertage noch längst nicht abgeschlossen sind.
"Wir waren hier im Auftrag des Bundes, um diesen Standort zu untersuchen. Über 30 Jahre haben wir das gemacht. Aber zuhause, im Sportverein, im Gesangsverein, unsere Kinder in der Schule wurden teilweise unter sehr Druck gesetzt. Ein Spalt geht hier durch die Gesellschaft in Lüchow-Dannenberg und alle Kollegen, die hier gearbeitet haben das mit sich rumgetragen. Es war nicht immer einfach. Es ist nicht einfach, wenn der Tochter in der Schule gesagt wird: 'Dein Vater ist ein Atom-Schwein!'"
Peter Ward, Geologe und Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern, bei einer Führung in Gorleben.
Peter Ward, Geologe und Betriebsratsvorsitzender der Deutschen Gesellschaft zum Bau und Betrieb von Endlagern (Deutschlandradio / Axel Schröder)
Peter Ward zuckt mit den Schultern. Natürlich seien Fehler gemacht worden. Aber nicht von den Bergleuten, sondern von der Politik: da sind die durch politischen Druck geänderten Expertengutachten zu Gorleben, die unzähligen Großeinsätze der Polizei, die vielen Verletzten auf allen Seiten.
Durch den Rückbau und den Wegfall von Arbeitsplätzen könnten die Kosten am Standort auf nur noch zehn bis zwölf Millionen Euro pro Jahr halbiert werden, betont der Chefaufseher über die neue Endlagersuche, der Präsident des "Bundesamtes für kerntechnische Entsorgungssicherheit", Wolfram König in seinem Berliner Büro. Aber es gehe auch darum, Zeichen zu setzen:
"Natürlich ist das auch symbolisch. Das wäre ja auch verwunderlich. Das ganze Bergwerk, der ganze Begriff 'Gorleben' ist mit Erinnerungen und mit einer Geschichte verbunden. Das ist auch nicht wegzudiskutieren. Es sind eben verschiedene Aspekte, die reinspielen. Insbesondere die Glaubwürdigkeit, dass es ein faires Verfahren ist, wo eben ein Standort nicht schon politisch vorher ausgewählt worden ist. Das ist ja sozusagen die große Befürchtung, dass letztendlich das ganze Verfahren, das jetzt aufgesetzt worden ist, mit dem neuen Standortauswahlgesetz eben doch wieder letztendlich auf Gorleben hinausläuft. Nein! Dem ist nicht so!"
Ohne Widerstand wird auch die neue Suche nicht verlaufen
Denn genauso gut sei es möglich, so Wolfram König, dass der Salzstock Gorleben schon zu Beginn des mehrstufigen Auswahlverfahrens aus dem Rennen fliegt. Den wendländischen Widerstand überzeugt das natürlich nicht. Schon zu Beginn der Rückbau-Arbeiten vor zwei Jahren machte der Sprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, Wolfgang Ehmke, klar:
"Für uns ist das Oberflächen-Kosmetik! Denn im Kern bleibt dieses Bergwerk erhalten. Auf der Oberfläche sieht es aus wie eine normale Industrieanlage, wenn dieser Rückbau so vollzogen wird. Aber man hält diesen Standort im Standby-Verfahren! Und das ist aus unserer Sicht das Ärgerliche. Deshalb wird es keine weiße Landkarte geben mit Gorleben. Da ist dieser dicke schwarze Punkt."
Und erst, wenn es weitere dieser dicken, schwarzen Punkte gibt, erst, wenn auch an anderen Orten in der Republik Bergwerke entstehen, um auch untertage nachzusehen, ob dort Atommüll sicher endgelagert werden kann, erst dann wird die wendländische Protestszene die neue Endlagersuche wirklich ernst nehmen. Ohne Widerstand an den neuen potentiellen Standorten, das ist schon heute klar, wird auch die neue Suche nicht verlaufen.