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Vor 40 Jahren in Paris
Der Terroranschlag auf das jüdische Restaurant "Jo Goldenberg"

Zuerst fiel der Verdacht auf Links- oder Rechtsextreme. Doch offenbar stand ein palästinensisches Terrorkommando hinter dem blutigen Anschlag vom 9. August 1982 auf das Restaurant „Jo Goldenberg“ im einstigen Pariser Judenviertel. Restlos aufgeklärt ist die Tat aber bis heute nicht.

Von Christoph Vormweg | 09.08.2022
Das Restaurant "Jo Goldenberg" im Pariser Viertel Marais dem einstigen jüdischen Zentrum der Stadt nach dem Terroranschlag vom 9. August 1982
Das Restaurant "Jo Goldenberg" im Pariser Viertel Marais nach dem Massaker vom 9. August 1982 (dpa / picture alliance )
Die Rue des Rosiers, die Straße der Rosensträucher, war das Zentrum des alten Pariser Judenviertels. Noch heute gehört es zu den Touristenattraktionen im pittoresken Viertel Marais. Denn im 19. Jahrhundert blieb es von der Begradigungswut des Stadtplaners Georges-Eugène Haussmann verschont.
Doch nur vereinzelt sieht man Kippas, schwarze Filzhüte oder Kaftane. Mode-Boutiquen haben die Bäckereien mit Mohnschnitten und Apfelstrudeln und die koscheren Metzgereien ersetzt. Lediglich ein Falafel-Restaurant und ein Geschäft für jiddische Spezialitäten erinnern noch an das verwinkelte jüdische Viertel von einst.

Maschinenpistolen und Handgranaten

Auch das Restaurant „Jo Goldenberg“, berühmt für seine traditionelle jüdische Küche, gibt es nicht mehr. Am 9. August 1982 geht dieser Name um die Welt.
„Die Mittagessenszeit ist bereits fortgeschritten, als mehrere gut gekleidete Männer, bewaffnet mit Maschinenpistolen vom Typ WZ 63 aus polnischer Fabrikation, gegen viertel nach eins in das Restaurant ‚Jo Goldenberg‘ eindringen.“
So die Beschreibung des Tathergangs auf der Internetseite des Französischen Verbands für Terroropfer.
„Sie werfen eine Granate ins Innere und eröffnen das Feuer auf die Gäste an den Tischen und das Personal. Der Anschlag ist kurz, aber mörderisch - zumal das Kommando, bei seiner Flucht die Straße hoch, weiter um sich schießt und Passanten tötet und verletzt. Mindestens 70 Patronen werden abgefeuert. Die offizielle Bilanz sind sechs Tote, darunter zwei US-amerikanische Staatsbürger, und 22 Verletzte.“

Wer stand mit welchem Motiv hinter der Terrortat?

"Zunächst ist die Fährte der extremen Linken verfolgt worden: Die ‚Action directe‘, die man in Frankreich auf eine Stufe mit der Roten Armee Fraktion in Deutschland stellte, erklärte jedoch, dass sie nicht hinter dem Attentat stünde. Auch die extreme Rechte kam in Betracht – bis dann die Spur in den Vordergrund rückte, die mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt in Verbindung stand. Das erklärt, warum die Ermittlungen so lange auf der Stelle traten und bis heute nachwirken.“
So Marc Hecker, Historiker am Französischen Institut für internationale Beziehungen, IFRI, in Paris. Seine Erklärung: Nach der Pleite im Sechstagekrieg gegen Israel 1967 ändern die Palästinenser ihre Taktik. Denn Israel scheint auf dem Schlachtfeld für die Araber unbezwingbar.
"Sie entscheiden sich für eine Strategie, die den Konflikt exportiert: mit asymmetrischen, keiner Regel folgenden, dafür spektakulären Aktionen wie Geiselnahmen oder Attentaten. Ihr Ziel war es, das Palästinenser-Problem bekannt zu machen – was manche als Werbe-Terrorismus bezeichnet haben. So sollte Druck auf die westlichen Staaten ausgeübt werden, damit sie von selbst auf die israelische Position einwirken und sie verändern.“

Im Auftrag des syrischen Regimes?

Wie professionell die Attentäter in der Rue des Rosiers vorgingen, zeigen auch die widersprüchlichen Zeugenaussagen. Von zwei bis fünf Tätern ist die Rede. Sie sind so gut vermummt, dass niemand ihre Herkunft eindeutig feststellen kann. Dazu Marc Hecker:
„2020 hat es dann eine Auslieferung gegeben - was zeigt, dass die Justiz sogar noch Jahrzehnte danach an dem Fall arbeitet. Wie schon die 2015 vergeblich angeforderten Auslieferungen bezieht auch sie sich direkt auf die Terror-Organisation von Abu Nidal. Es hat noch keinen Prozess gegeben. Aber die Dinge, die in der Presse durchgesickert sind, legen nahe, dass das syrische Regime als Auftraggeber direkt in das Attentat verwickelt sein könnte. Aber einen eindeutigen Beweis gibt es nicht.“
Über Jahrzehnte haben die Attentäter offenbar ein beschauliches Familienleben in Norwegen oder Jordanien geführt. Ihr antisemitischer Anschlag in der Rue des Rosiers zielte nicht auf staatliche Einrichtungen Israels, sondern Mitglieder der jüdischen Gemeinde. In diesem Punkt gleicht er den dschihadistischen Attentaten selbsternannter Gotteskrieger in den vergangenen Jahren. Auch deshalb dürften viele der einstigen Bewohner des Pariser Judenviertels an die Ränder von Paris gezogen sein: in langweilig-beschauliche Vororte des Mittelstands wie Saint-Mandé oder Charenton-Le-Pont.