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Kernfusion
Energie-Weltrekord im Versuchsreaktor

Seit Jahrzehnten versucht die Wissenschaft, die Kernfusion – die kontrollierte Verschmelzung von Wasserstoff zu Helium – für die Energieerzeugung nutzbar zu machen. Jetzt gelang zumindest ein Rekord: Ein Versuchsreaktor in England konnte so viel Fusionsenergie erzeugen wie nie zuvor.

Von Frank Grotelüschen | 09.02.2022
Blick ins Innere des JET-Reaktors in Culham (Großbritannien). Hier befindet sich während des Betriebs das Fusionsplasma, aus dem der Fusionsreaktor seine Energie bezieht.
Blick ins Innere des JET-Reaktors in Culham (Großbritannien). Hier befindet sich während des Betriebs das Fusionsplasma, aus dem der Fusionsreaktor seine Energie bezieht. (picture alliance / dpa / EFDA JET)
9. November 1991, der Versuchsreaktor JET in der Nähe von Oxford. Das Zwitschern der Sensoren signalisiert, dass im Inneren des haushohen Ringreifens ein 100 Millionen Grad heißes Wasserstoffgas wütet, im Zaum gehalten durch starke Magnetfelder. Dann kommt das Startzeichen, und über ein Monitorbild fegt ein elektronischer Schauer. Einige der Wasserstoffkerne sind zu Helium verschmolzen, JET hat zwei Sekunden lang eine Fusionsleistung von zwei Megawatt erzeugt. Viel zu wenig für ein Kraftwerk zwar, dennoch markierte das Experiment von 1991 einen Durchbruch, denn seitdem ist klar: Die kontrollierte Kernfusion ist machbar, zumindest im Prinzip.

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30 Jahre später, am 21. Dezember 2021, wird der Versuch wiederholt. Wieder startet das Betriebsteam die Maschine, und erneut erhitzen wuchtige Mikrowellensender das Wasserstoff-Plasma in dem überdimensionalen Metallreifen so stark, dass ein Teil davon zu Helium verschmelzen kann. Sichtlich stolz präsentiert der Physiker Tony Donné einen neuen Weltrekord. Soviel Fusionsenergie hat bislang noch kein Versuchsreaktor geliefert: „Wir haben viele Hürden überwunden, um ein Plasma zu erzeugen, das in einem Fünf-Sekunden-Puls elf Megawatt an Fusionsenergie liefert“, berichtet Donné. „Fünf Sekunden scheinen kurz zu sein, aber das ist die Grenze von unseren Magnetfeldspulen.“

Große Erleichterung

Die Vorbereitungen für diese Experimente hatten Jahre gedauert. „Wenn man am Ende sieht, dass es klappt, will man es zunächst gar nicht glauben und sucht, ob da was falsch sein könnte“, erzählt Athina Kappatou vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching, sie war maßgeblich an den Experimenten am JET beteiligt. „Aber dann ist man natürlich sehr froh, dass alles geklappt hat wie erwartet.“

Um den Rekord zu schaffen, musste der Versuchsreaktor hochgerüstet und mit vielen neuen Komponenten bestückt werden. „Ein wichtiger Schritt war die Installation von einer neuen Wand, also dem Material an der Innenseite, das ganz nah am heißen Plasma ist“, sagt Kappatou. „Die war vorher aus Kohlenstoff, dann wurden Beryllium und Wolfram eingebaut.“ Diese neue Reaktorwand ist deutlich widerstandsfähiger als die alte aus Kohlenstoff. Dadurch konnte der Reaktor länger und bei höherer Leistung laufen.

Bessere Sensoren

Und es gab noch weitere Verbesserungen. „Auf der technischen Seite war es die Diagnostik, also die Instrumente, womit wir das Plasma vermessen können“, erklärt Lappatou. „Sie sind viel schneller und genauer geworden. Und auch beim Verständnis der Plasmaphysik sind wir viel weitergekommen.“

Zwar haben die Fachleute einen neuen Fusionsrekord aufgestellt. Dennoch mussten sie mehr Energie fürs Heizen reinstecken als durch die Fusion erzeugt wurde. Aber dafür war der Versuch auch gar nicht ausgelegt: Es ging den Fachleuten darum, die Kernverschmelzung möglichst detailliert beobachten zu können. Und die Resultate seien ermutigend: „Das bringt Fusion ein Stück näher“, meint Kappatou. „Es ist ein Beweis, dass eine Fusion eine gute Option für eine klimaneutrale Energieerzeugung in der Zukunft ist.“

Nächste Stufe: Megareaktor ITER

Konkret geht es um den Nachfolger von JET, den Versuchsreaktor ITER. Er wird in Frankreich gebaut und soll 2035 seine ersten Fusionsreaktionen zünden. Der Riesenreaktor soll erstmals mehr Energie erzeugen als in ihn hineingesteckt wird und dadurch den Nachweis liefern, dass die Technik das Zeug zu einem Kraftwerk hat. Doch wiederholte Verzögerungen und Kostensteigerungen hatten immer wieder für Kritik an ITER gesorgt. Mit dem neuen Rekord von JET steigt nun die Zuversicht, dass der Multi-Milliarden-Gigant tatsächlich so funktioniert wie erhofft.