Tarifstreit
Wie Bahn und GDL wieder zusammenfinden könnten

Der Tarifstreit zwischen Deutscher Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL ist festgefahren. Annäherungsversuchen folgte Eskalation. Was den Konflikt so schwierig macht und wie Lösungen aussehen könnten.

    Leere Gleisanlagen vor einem Hauptbahnhof.e
    Seit November 2023 läuft der Tarifstreit. Auf welchen Wegen könnten GDL-Chef Weselsky und Bahn-Personalchef Seiler zusammenkommen? (IMAGO / Jochen Tack )
    Im seit Monaten andauernden Streit zwischen Bahn und Lokführergewerkschaft GDL ist keine Einigung in Sicht. Im Gegenteil, der Konflikt ist eskaliert. Die GDL macht Druck: Fünf Tage, 35-Stunden und zuletzt ein kurzfristiger 24-Stunden-Streik. Die Bahn auf der anderen Seite legt kein neues Angebot vor und versucht gerichtlich gegen die Streiks der GDL vorzugehen.
    Über Verhandlungen, zu denen eigentlich Stillschweigen beschlossen wurde, dringen Informationen an die Öffentlichkeit. Und die GDL hat erstmals kurzfristige so genannte „Wellenstreiks“ angekündigt. Leidtragende sind die Fahrgäste und die deutsche Wirtschaft. Wie könnte eine Lösung des Konflikts aussehen?

    Inhalt

    Was ist Kern des Konflikts?

    GDL-Chef Claus Weselsky fordert die Absenkung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Wochenstunden bei vollem Lohn. Mit Blick auf den Personalmangel sei das Ziel, den Beruf attraktiver zu machen.
    DB-Personalvorstand Martin Seiler hält eine 35-Stunden-Woche für „unerfüllbar“, das gefährde „massiv“ das Eisenbahnsystem. Auch er argumentiert mit fehlendem Personal. Außerdem wirft er der Gewerkschaft vor, sie beharre „stur und egoistisch“ auf ihren Maximalforderungen. ‌
    Für den Wirtschaftspsychologen Winfried Neun ist der Tarifkonflikt inzwischen weniger eine Auseinandersetzung in der Sache als vielmehr zwischen zwei Personen. Ihm fehlt die Suche nach einer gemeinsamen Interessensbasis. „Rechthaberei führt niemals zu irgendwelchen Kompromissen“, sagt Neun.
    Außerdem ziehe sich der Konflikt schon lange hin. Aus seiner Beratungspraxis wisse er: „Wenn in Unternehmen solche Situationen zu lange andauern, fährt sich der Karren fest. Und dann wird es wahnsinnig schwierig, den wieder loszubekommen."

    Welche Einigungsversuche hat es schon gegeben?

    Die Tarifparteien haben mehrmals verhandelt. Auch mit Hilfe von zwei Moderatoren, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) und dem früheren Innenminister Thomas de Mazière. Sie schlugen vor, die Wochenarbeitszeit für Schichtarbeitende auf 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich schrittweise zu verringern. Die erste Reduzierung um eine Stunde sollte dem Vorschlag nach Anfang 2026 erfolgen, die zweite Anfang 2028.
    Das kommt der Forderung der GDL sehr nahe. Für den Einigungsvorschlag zeigte die Bahn Bereitschaft, wollte aber kein neues Angebot vorlegen. GDL-Chef Weselsky fordert weiter die Absenkung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden und lehnt den Vorschlag der Moderatoren auch wegen seiner Details zu unter anderem Wochenendregelungen, Altersteilzeit und Entgelterhöhungen ab
    Mit kleineren regionalen Konkurrenten der Bahn hat die GDL bereits eine 35-Stunden-Woche vereinbart. Allerdings greift die neue Arbeitszeit bei den meisten dieser Tarifverträge nur, wenn sie auch beim Marktführer Deutsche Bahn vereinbart wird.
    2008 hatte sich in einem ebenfalls festgefahrenen Tarifkonflikt der damalige Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) eingeschaltet. Bei einem Treffen im Ministerium legten Bahnchef Hartmut Mehdorn und Gewerkschaftsboss Manfred Schell damals Eckpunkte einer Tarifeinigung fest, skizziert auf einem Blatt aus Tiefensees Terminkalender.
    Im Jahr 2024 schließt Verkehrsminister Wissing ein Machtwort aus der Politik aber aus. Klar sei, dass die Bahn im Eigentum des Bundes stehe, so Wissing. „Aber klar ist auch, dass sie ein Unternehmen am Markt ist.“ Als solches müsse sie als Tarifpartei verhandeln. 

    Welche Wege führen jetzt noch aus dem Konflikt?

    Wirtschaftspsychologe Winfried Neun betont, in den Gesprächen müssten die beiden Parteien sachlich gemeinsame Interessen herausarbeiten. Dann könnten Lösungen gefunden werden. Wie bei allen Verhandlungen sei es dabei wichtig, den „Verhandlungskuchen“ zu vergrößern. So könnten die Mitarbeiter oder auch das Bahnmanagement weitere Forderungen mit einbringen. So stiegen die Chancen auf einen Kompromiss.
    Neun hält eine professionelle Mediation für nötig. Ein neutraler Mediator sollte versuchen, die beiden Personen zusammenzubringen, so Neun. Die Politik sollte in seinen Augen nicht einschreiten. 
    CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht eine Möglichkeit darin, „dass man die Verhandlungsführer schlichtweg austauscht". Später könne man außerdem über verpflichtende Schlichtungen und feste Fristen vor und zwischen neuen Streiks nachdenken. 
    Der Wirtschaftspsychologe Neun hält das etwas andere Verfahren einer Schlichtung ebenfalls für einen wichtigen Weg. Auch der Vorsitzende Richter am Hessischen Landesarbeitsgericht, der die Berufung der Bahn gegen den Streik abgelehnt hat, regt den Gang in eine formale Schlichtung an.

    Was bedeutet eine Schlichtung?

    Schlichtung heißt, dass Gewerkschaft und Arbeitgeberverband mit Hilfe eines unabhängigen Dritten (Schlichter) versuchen, ihren Streit beizulegen. Der Schlichter wird von beiden Seiten akzeptiert und ist häufig eine Person des öffentlichen Lebens, zum Beispiel ein ehemaliger Minister.
    Anders als die bereits eingesetzten Moderatoren gestalten Schlichter im Verfahren die Verhandlungsführung nach Ablauf und Inhalt. Währenddessen besteht Friedenspflicht. Das Verfahren endet mit der Einigungsempfehlung des Schlichters. Das Schlichtungsverfahren müssen beide Streitparteien wollen, einem Kompromiss schließlich auch beide zustimmen.
    Die Bahn hält eine formale Schlichtung für das gebotene Mittel der Wahl. Bahnvertreter Florian Weh sagt: „Wir sind bereit dazu ohne Vorbedingungen.“
    Der Vorsitzende der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, lehnt eine formale Schlichtung bisher ab. Über "grundgesetzliche Angelegenheiten" lasse sich nicht schlichten, sagte er der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Die Frage, ob ich einen Tarifvertrag für Fahrdienstleiter kriege, gebe ich in keine Schlichterhand", so Weselsky. 
    Im zähen Tarifstreit 2014/2015 zwischen Bahn und GDL hatte Weselsky eine Schlichtung auch erst abgelehnt. Ein Schlichtungsverfahren führte schließlich aber doch zu einer Einigung.

    Sollte die Schlichtung in Zukunft verpflichtend sein?

    Der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing ist überzeugt, dass durch Schlichtung viele Streiks vermeidbar wären. Dieser Versuch sollte künftig verpflichtend sein, bevor das „scharfe Schwert“ des Streiks gezogen werde. Besonders, wenn kritische Infrastruktur betroffen sei.
    Unterstützende Stimmen für diesen Vorschlag kommen aus der Politik. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz betonte: „Wenn diese Streiks vorbei sind, müssen wir darüber nachdenken, wie wir in Zukunft solche Streikexzesse vermeiden. Die Volkswirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ist ein mindestens ebenso hochwertiges Schutzgut wie das Streikrecht der Gewerkschaften.“ Er sei schon seit vielen Jahren der Meinung, dass man zumindest für die kritische Infrastruktur eine stärker verpflichtende Schlichtung haben müsste.
    Auch der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr meint, wahrscheinlich werde man sich die Frage nach einer Modernisierung des Streikrechts stellen müssen. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hingegen ist skeptisch. Mit Blick auf kritische Infrastruktur meint er: Mache man einen Schritt in diese Richtung, kämen immer mehr auf die Idee, auch zur kritischen Infrastruktur zu gehören.